Es sind keine Rekorde oder gewonnenen Preise, mit denen Satteins Geschichte schreibt. Es ist das Leben der Menschen von damals bis heute — im Alltag und abseits davon — das es wert ist, niedergeschrieben zu werden. Die Dorfchronik ist ein Werk, das historisches Fachwissen für alle zugänglich macht und mit noch nie gesehenem Bildmaterial illustriert.
TEXT: MARTINA ERHART, FOTOS: GEMEINDE SATTEINS, PRIVAT
In Satteins entsteht mit der Dorfchronik derzeit ein Buch, das beinahe die gesamte Menschheitsgeschichte — stattgefunden an einem kleinen Ort — abbildet und zusammenfasst. Als Herausgeber konnte die Gemeinde Satteins Peter Erhart gewinnen, Leiter des Stiftsarchivs in St. Gallen. Der gebürtige Satteinser ist einer, der mehr über uns und unsere Vergangenheit weiß, als wir ahnen können.
Wie kam es zur Idee, die Satteinser Dorfgeschichte in einem Buch festzuhalten?
Die Idee stand bereits länger im Raum, da es zwar viele Vorarbeiten, aber keine gedruckte Ortsgeschichte gab. Dank dem Engagement von DI Robert Häusle nahmen Bürgermeister Anton Metzler und die Gemeinde das Projekt in die Hand und sind bei der Vorbereitung auf mich gestoßen.
Wie entsteht so ein umfassendes Werk und wo beginnt man mit der Recherche?
Nach der Erstellung eines inhaltlichen Konzepts war vor allem die Suche nach geeigneten Autoren wichtig. Diese habe ich vor allem in den Archiven von Bregenz und Feldkirch gefunden, wo auch ein Teil der Materialien liegt. Die ältesten Quellen zu Satteins liegen aber im Stiftsarchiv St. Gallen, sodass mein eigener Weg zu diesen Urkunden sehr kurz war.
Was fasziniert dich am meisten an der Geschichte deines Heimatortes?
Dass so viele versteckte Schätze im Verlauf der Recherchen gefunden werden konnten. Damit meine ich völlig unbekannte Schrift- oder Bildquellen, vor allem das reiche Fotoarchiv von Karl Ritter, der das Dorfgeschehen von der Wiege bis zur Bahre sehr professionell fotografisch festgehalten hat. Die Analyse ausgewählter Bauten hat ergeben, dass der älteste Teil eines Hauses bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Das ist beinahe älter als die Ruine Schwarzenhorn, die bislang als ältestes noch erhaltenes Gebäude im Dorf gegolten hat. Doch zeugen die Funde auf dem Mugastierbühel und der Vatlära von einer bis in die Bronzezeit zurückreichenden Besiedelung dieses Raumes. Damit überspannt die Ortsgeschichte fast vier Jahrtausende.
Welche Epochen und Großereignisse werden in der Dorfchronik beschrieben?
Die Ortsgeschichte schlägt einen großen Bogen von der weit entfernten Kreidezeit bis in die Gegenwart. Neben der Geologie waren vor allem Historiker gefragt, die je nach Spezialgebiet ein Kapitel übernommen haben. So finden sich als Autoren Spezialisten für die Antike, das Mittelalter, die Frühe Neuzeit und die letzten beiden Jahrhunderte in einem Buch zusammen. Diese haben die jeweils wichtigsten Ereignisse oder Funde im Boden oder im Archiv nach erzählenswerten „Geschichten” untersucht.
Wichtigstes und bis heute allen bekanntes Elementarereignis war der Dorfbrand von 1870, der drei Todesopfer forderte und 52 Wohneinheiten zerstörte. 230 Menschen wurden obdachlos. Aus früheren Zeiten blieb vor allem die Erinnerung an die Pest erhalten, von der die Sebastianskapelle zeugt. Oder der Dreißigjährige Krieg, der mit dem Hauptmannsbild sogar bauliche Spuren am Ortseingang hinterlassen hat.
In welchem Teil der Dorfchronik wird sich die heutige Dorfbevölkerung wiederfinden?
Da es sich um die erste gedruckte Geschichte des Ortes handelt, standen die vergangenen Generationen im Vordergrund. Viele Familien sind schon seit dem Mittelalter im Ort ansässig, ihre Häuser haben einen Rufnamen, einzelne Mitglieder sind ausgewandert oder haben an den Weltkriegen teilgenommen. Erstmals haben wir alle Spuren unserer Vorfahren verfolgt und können viele verschüttete Erinnerungen an sie vermitteln. Wir gelangen zwar bis in die Gegenwart, doch sollen die lebenden Bewohner erst in der nächsten Ortsgeschichte ihren Platz finden. υ
Was macht die Geschichte von Satteins im Vergleich zu anderen Walgaugemeinden einzigartig?
Die unverwechselbar geschützte Lage in einem sonnigen Talwinkel am Eingang zum Walgau war wohl Voraussetzung für die lange Geschichte von Satteins, die allen etwas zu bieten hat. Vom Schwarzen See über eine mittelalterliche Burgruine und eine gotische Kapelle bis hin zu den ältesten Industriebauten im Land. Unverwechselbar sind aber der Dialekt seiner Bewohner, der wohl weltweit lustigste Bach namens Pfudidätsch und natürlich unsere Selbstwahrnehmung: „Sataas gits no aas, sus neanna kaas“.
Wie erlebst du Besuche in deinem Heimatort heute, und was hat sich seit deiner Kindheit besonders stark verändert?
Ich erlebe Satteins immer noch als Ort mit einer intakten Dorfgemeinschaft, in der man sich noch kennt und grüßt. Dass der Ort trotz seiner wunderschönen Lage am Hang des Muttkopfs touristisch unverbraucht geblieben ist, genieße ich im Rahmen meiner Wanderungen und Fahrten mit dem Rad, sei es in der Au oder in der Höhe. Schade finde ich, dass viele Baumgärten verschwunden sind und die Kinder im Sommer nicht mehr barfuß unterwegs sind.
Was wünschst du dir für die zukünftige Entwicklung des Dorfes?
Die Bewahrung von Traditionen und die Offenheit für Neues. Aufgrund der vielen Menschen, die ich im Ort kenne, mache ich mir keine Sorgen. Innovation ist überall spürbar, vom Kalkbrennen bis zur Solarenergie.
Danke für die interessanten Einblicke!
Satteins — Ein Walgaudorf erzählt seine Geschichte
Auf rund 500 Seiten wird die Geschichte des Ortes mit zahlreichen Illustrationen abwechslungsreich dargestellt und von Cornelia Flatz eindrucksvoll gestaltet. Die Dorfchronik Satteins ist ab Dezember im Gemeindeamt Satteins und im Buchhandel erhältlich.