Mit ihrer Kamera erhascht Carola Eugster intime Einblicke in das Leben ihrer Mitmenschen. Als Statement und bleibende Erinnerung spenden ihre Aufnahmen Selbstbewusstsein, Hoffnung und Trost.
FOTOS: CAROLA EUGSTER, TM-HECHENBERGER
Diplomfotografin Carola Eugster ist eine von rund 300 Berufsfotografen in ganz Vorarlberg. Es muss nicht erwähnt werden, dass sie die technische Ausrüstung und das Spiel mit Licht und Schatten beherrscht. Besonders wichtig ist der gebürtigen Thüringerin jedoch das persönliche Zusammenspiel zwischen Fotograf und Model. Es reizt sie, die Schokoladenseiten einer Person in den Fokus zu rücken, hinter denen kleine Makel verschwinden. Dies liegt ihr in ihrer Lieblings-Disziplin – der Aktfotografie – besonders am Herzen. Rund vierzig Prozent ihrer Kunden lassen vor ihren Objektiven die Hüllen fallen. „Mit Aktfotos lässt sich viel verändern”, ist Carola Eugster überzeugt. Sie hat schon oft das erste Strahlen aufblühen sehen, wenn sie den Kunden während des Shootings die ersten Schnappschüsse auf einem großen Bildschirm präsentierte. „Diese Freude am eigenen Bild hält an”, berichten ihr die Kunden von einem neuen Selbstbewusstsein, das ihren Alltag langfristig positiv beeinflusst.
„Jeder Mensch ist schön.”
Achtzig Prozent ihrer Akt-Models sind weiblich. Junge Mütter, die sich nach der Schwangerschaft davon überzeugen wollen, dass sie immer noch schön sind, aber auch reifere Frauen, die nicht (mehr) allen gängigen Idealen entsprechen. Die jüngsten Akt-Modelle sind 18, das bisher älteste 70 Jahre alt. „Jeder Mensch ist anders, aber jeder ist schön”, findet die Fotografin.
In der für viele Menschen anfangs unangenehmen Situation setzt sie auf Professionalität als „Eisbrecher”. 15 Jahre Erfahrung helfen ebenfalls. Die Thüringerin, die während eines Au-Pair-Aufenthalts in New York ihre Liebe zur Fotografie entdeckte, hat nach der Diplomausbildung an der Graphischen Lehranstalt in Wien mehrere Jahre lang bei einem Berufsfotografen in Luzern gearbeitet, der sich auf Aktfotografie spezialisiert hatte. Carola Eugster versteht sich aber auch auf klassische Porträts, Business-Fotos, Familienaufnahmen und vieles mehr.
Eigentlich hatte sie ja immer von einem Leben in Übersee geträumt, nicht nur in Amerika, sondern auch bei Hilfseinsätzen in Afrika spannende Erfahrungen gesammelt. Doch ausgerechnet zu der Zeit, als sie sich auf die Meisterprüfung vorbereitete, lief Carola Eugster ihrem Traummann über den Weg. Und der hat einen großen Makel: Er will nicht weg aus Vorarlberg.
Die junge Frau beschloss deshalb, sich in ihrer Heimat selbstständig zu machen. Anfangs fotografierte sie noch im elterlichen Keller. Doch als beim ersten Firmenshooting eine Gruppe Anzugträger im Wohnzimmer ihrer Mama darauf wartete, fürs Mitarbeiter-Foto auf Socken einzeln in den Keller geführt zu werden, machte sie sich gezielt auf die Suche nach einem geeigneteren Firmenstandort. Den fand sie an der Walgaustraße in Bludesch. Dort fotografiert sie seit zehn Jahren „alles, was mit Menschen zu tun hat” – und scheut sich auch nicht vor besonderen Herausforderungen.
Erinnerungsfotos
Die Mutter von zwei Kindern im Alter von vier und sechs Jahren stellt dies mit ihrer neuesten Mission eindrucksvoll unter Beweis: Carola Eugster hat sich nämlich spontan bereiterklärt, ehrenamtlich „Sternenkinder” abzulichten. Hebamme Yasmin Jäger hatte die junge Frau auf das Leid aufmerksam gemacht, das Eltern zu ertragen haben, wenn ein Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verstirbt. Ein ästhetisches Foto kann ihnen dabei helfen, diesen Schmerz zu verarbeiten. „In Deutschland lernen Hebammen bereits während ihrer Ausbildung, wie hilfreich solche Bilder sein können”, weiß Carola Eugster. Zusammen mit dem Fotografen Andreas Uher und der engagierten Hebamme hat sie vor einem Jahr den Verein „VergissMichNicht – Sternenkinder Fotografie” gegründet und dafür weitere Mitstreiter rekrutiert. Aktuell stellen sich 16 Berufsfotografen und vier weitere Ehrenamtliche in den Dienst dieser guten Sache. Sie rücken nur im Krankenhaus an, wenn die Eltern dies wünschen und sie von den diensthabenden Hebammen gerufen werden. Die Fotos werden meist im Kreißsaal oder bei der Mama im Zimmer gemacht, im Studio bearbeitet, ausgedruckt und gemeinsam mit einem USB-Stick, auf dem die digitalen Daten gespeichert sind, an die trauernden Mütter und Väter geschickt – in einer verschlossenen Box, damit jeder selbst entscheiden kann, wann er oder sie sich für diese Erinnerung bereit fühlt. „Manche öffnen die Box sofort, andere erst nach Jahren”, weiß Carola Eugster. Die rund 50 Einsätze im Jahr bergen für die Fotografen schwierige, aber auch sehr schöne, stimmungs- und friedvolle Momente. „Manchmal weint man auch mit.”
Die toten Kinder verändern sich sehr schnell, deshalb ist rasches Handeln angesagt, wenn das Einsatz-Telefon klingelt. Diese Hektik bleibt dann natürlich auch den eigenen Kindern nicht verborgen. „Sie wollen dann wissen, wie das Baby ausgesehen hat, wie es heißt. Ganz normale Fragen eben.” Ihre Mutter berührt vor allem das Leid der Eltern. Wenn ihre Bilder diesen ein bisschen Trost spenden und bei der Bewältigung des Traumas helfen können, hat sie ihr Ziel erreicht.