Bauwerk der Superlative

Mit den Kraftwerken Kops II (2008) und Obervermunt II (2019) setzten die illwerke vkw internationale Maßstäbe für den Bau von Pumpspeicher-Kraftwerken. Lünersee II übertrifft beide noch einmal deutlich und soll bis 2037 das größte Kraftwerk seiner Art in Mitteleuropa werden. Der 39-jährige Michael Rettenberger aus Bürs ist mit allen drei Projekten bestens vertraut.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, ILLWERKE VKW



Bohrung 1
Schofläger, 300 Meter tief
Bohrung 2 Ogstaböda, 420 Meter
Bohrung 3 Kleine Zimba, 630 Meter
Bohrung 4 Kleine Zimba, 640 Meter
Bohrung 5 Saulajoch, 500 Meter
Bohrung 6 Stebruch, 150 Meter

Bohrdurchmesser gesamt 96,3 Millimeter
Durchmesser des für die geologische
Analyse gewonnenen Bohrkerns: 63,5 Millimeter

Das Lünerseewerk I mit dem künstlich geschaffenen Stausee war bei der Eröffnung 1959 das größte Kraftwerk Österreichs. Diese Position soll Lünersee II nach seiner Fertigstellung 2037 erneut einnehmen.

Es ist ein sehr bescheidenes Büro, das Michael Rettenberger beim Umspannwerk in Bürs eingerichtet worden ist. Dabei plant und koordiniert er hier mit seinem jungen Kollegen Mathias Peter die Umsetzung der umfangreichen Erkundungsmaßnahmen, die für  ein solches Mega-Projekt unerlässlich sind.

„Das Büro ist schon ok”, meint der leidenschaftliche Techniker, der noch bis vor einem Jahr im hochmodernen illwerke vkw zentrum Montafon (izm) in Vandans untergebracht war. „Durch das Baubüro im Umspannwerk Bürs spare ich mir einige Fahrwege und bin schneller auf der Baustelle”, sieht der in Bürs wohnhafte Rettenberger auch Vorteile. So bleibt ein bisschen mehr Zeit für seine Familie mit Frau und zwei kleinen Kindern (fünf und sieben Jahre alt). Spätestens wenn es im Jahr 2030 mit der Baustelle losgeht, wird diese gemeinsame Zeit bis zur geplanten Fertigstellung im Jahr 2037 ein sehr knappes Gut sein, wie er aus Erfahrung weiß.

Von filigraner Arbeit zum Mega-Projekt

Als Jugendlicher war der heutige Kraftwerks-Zampano ganz beeindruckt von den Arbeitern, die in seinem Elternhaus einen bis dato ungenutzten Dachboden umgestalteten. Er half gerne mit und so reifte sein Entschluss, sich beruflich dem Innenausbau zu widmen. Die Ausbildung dazu absolvierte er an der Fachschule in Imst. 

In einem renommierten Bludenzer Architekturbüro begann seine berufliche Laufbahn. „Da gab es ganz unterschiedliche Projekte und immer wieder neue Aufgaben”, erinnert sich Rettenberger. Schon bald wurde ihm auch die Bauleitung für einzelne Projekte übertragen. Mehr und mehr entwickelte sich sein Interesse aber weg vom Innenausbau (das war mir einfach ein bisschen zu filigran”) und hin zur eigentlichen Bauplanung. 2005 schließlich wechselte er zu den illwerke vkw, wo er bald mit der technischen Bearbeitung von Konstruk­tions­plänen für das damals in Bau befindliche Pumpspeicherkraftwerk Kopswerk II befasst war. „Teil eines so großen und bedeutenden Projektes zu sein, das war natürlich eine ganz neue Dimension”, zeigt sich Rettenberger noch heute begeistert.

 Nachdem ein Bauleiter verletzungsbedingt für längere Zeit ausfiel, musste er kurzerhand für diesen einspringen: und war damit der jüngste Bauleiter beim Kopswerk II. Dabei bewährte er sich offenbar bestens und wurde noch während der Baustelle Kopswerk II in der Abteilung Engineering Services Bau der illwerke vkw fix angestellt. 

Als es 2014 an die Umsetzung des Obervermuntwerks II ging, wurde ihm erneut die Bauleitung für einen Abschnitt (Energietransport, Ausbau der Krafthauskaverne und Materialseilbahn) übertragen.

Matura und Masterstudium berufsbegleitend

Während er bei den illwerke vkw mehr und mehr Verantwortung übernahm, vergaß Rettenberger aber nicht auf seine private Weiterbildung. So machte er über die HTL Rankweil nebenberuflich die Matura und absolvierte später ein Masterstudium für Bauwirtschaft.

Seit Jahresbeginn 2022 leitet er vor Ort die Umsetzung der Erkundungsmaßnahmen für das nächste, bisher größte Kraftwerksprojekt der illwerke vkw: Das Lünerseewerk II wird mit 1000 Megawatt Leistung mehr Strom erzeugen als das Kopswerk II (525 MW) und das Obervermuntwerk II (380 MW) zusammen. Damit wird es das leistungsstärkste Kraftwerk Österreichs sein.

Schon bis zur offiziellen Vorstellung des Projektes Lünerseewerk II im Herbst 2021 war viel Planungsarbeit geleistet worden. Und noch bis 2025 wird das Projekt im Detail weiterentwickelt, bis alle Unterlagen für das umfangreiche behördliche Genehmigungsverfahren beisammen sind. 

Bauleiter Michael Rettenberger, MBA: Im hochalpinen Gelände sechs bis zu 670 Meter tiefe Löcher in den Berg zu bohren, ohne eine Spur in der Natur zu hinterlassen – das war keine leichte Übung. Aber nichts im Vergleich zu dem, was noch bis zur Lünerseewerk II-Eröffnung im Jahr 2037 ansteht…

Heuer wurden unter der Federführung von Bauleiter Michael Rettenberger in einer Kette vom Lünersee im hinteren Brandnertal bis zum „Schofaläger” beim Gavalinajoch auf Seehöhen von 2.000 bis 2.250 Metern insgesamt sechs Bohrungen durchgeführt: 150 bis 640 Meter tief in die Berge – dorthin, wo einmal die rund zehn Kilometer lange Triebwasserführung vom Lünersee bis zum unterirdischen Krafthaus in der Nähe des Umspannwerkes Bürs errichtet werden soll.

Umweltschutz schon in der ersten Phase

Besonders wichtig schon in dieser Phase war der Umweltschutz. Die tonnenschweren Bohrgeräte wurden in mehreren Teilen per Hubschrauber zu den Bohrstellen gebracht, wodurch hochalpiner Straßenbau vermieden werden konnte. Für die mit der Aufgabe betrauten Fachleute aus Norddeutschland und Wien wurden direkt bei den Bohrstellen mobile Wohncamps eingerichtet. Zwei Trupps mit je zehn Mann bewohnten diese Camps abwechselnd für jeweils zwei Wochen ohne eine Möglichkeit, ins Tal zu gelangen. Das schmeckte den Betroffenen zu Beginn zwar überhaupt nicht, mit der Zeit empfanden die „Flachländler” aber Gefallen am Camp im Hochgebirge. Außerdem wurden durch diese Arbeitseinteilung die Hubschraubertransporte auf ein Minimum reduziert. Die Baustelleneinrichtung für die Bohrgeräte wurde nach getaner Arbeit jeweils restlos entfernt – wie auch sämtliche anderen Spuren verschwanden. Darüber wachte mit Adleraugen die ökologische Bauaufsicht der illwerke vkw, namentlich DI Matthias Stutz. Er ist übrigens wie Rettenberger ebenfalls ein Bürser.

Das Thema Umweltschutz wird auch in der Umsetzungsphase ständig präsent sein. Für das Lünerseewerk II müssen keine neuen Wasserressourcen angezapft werden, und bereits bestehende Anlagenteile wie der Walgaustollen können genutzt werden. Das Gestein, das für Stollen und Schächte, für das Wasserschloss und für die Krafthauskaverne aus dem Berg ausgebrochen werden muss, kann für die Herstellung des notwendigen Betons genutzt werden. 

Das tonnenschwere Bohrgerät wurde zerlegt und per Hubschrauber transportiert. So konnte man sich den Bau von Wegen ersparen. Nach den Erkundungsbohrungen wurden die sechs Baustellen samt Fundamenten wieder gänzlich demontiert und renaturiert.

Ein weiterer Pluspunkt ist, dass der Stromtransport vom Krafthaus zum nahegelegenen Umspannwerk Bürs sehr kurz ist und unterirdisch erfolgt, dafür also auch keine langen Stromtrassen errichtet werden müssen. Trotz allem werden in der Bauphase viele Transporte und auch der Einsatz von „schwerem Gerät” notwendig sein.

Keine neuen Freilandleitungen nötig

Auf der anderen Seite steht der gesamtökologische Nutzen, auf den bei der Projektpräsentation im Oktober 2021 im Landhaus der damalige Energie-Landesrat und jetzige Gesundheitsminister Johannes Rauch verwies: Das Lünerseewerk II ist nicht nur ein Leuchtturmprojekt auf dem Weg zur angestrebten Energieautonomie Vorarlbergs. Es wird im Prinzip auch den europaweit forcierten weiteren Ausbau der erneuerbaren Energie absichern: Wenn nämlich Windkraftwerke still und Photovoltaikanlagen unter Wolken oder im Dunkeln stehen, braucht es den Strom aus den alpinen Pumpspeicher-Batterien, um die Spitzen abzudecken. 

Zwei Milliarden, die sich langfristig rechnen

Und dann wäre noch die wirtschaftliche Dimension des Projektes. Auf gut zwei Milliarden Euro werden (derzeit) die Kosten für das Lünerseewerk II geschätzt. Das entspricht dem gesamten aktuellen Jahresbudget des Landes Vorarlberg. „Wir sehen uns grundsätzlich in der Lage, diese Investition selber zu finanzieren”, erklärte dazu illwerke vkw-Finanzvorstand Christof German bei der offiziellen Projektvorstellung. 

Das sieht auch Landeshauptmann Markus Wallner so, der das Projekt schon seit den ersten Ideen kennt und befürwortet. Als Eigentümervertreter der illwerke vkw ist er davon überzeugt, dass sich diese Investitionen langfristig rechnen. Und zwar nicht „nur” finanziell…   

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