„Ich werde zwar nicht reich damit, aber ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, strahlt Jessica Kreter. Seit gut zehn Jahren macht die Satteinserin in erster Linie das, was sie gerne tut: Sie kümmert sich um ihre Kinder und näht, was das Zeug hält.
FOTOS: TM-HECHENBERGER
Jessica Kreter ist gerne in Bewegung. In den 42 Jahren ihres Lebens ist sie bereits 38 Mal umgezogen. „Ich kenne jede Ecke Vorarlbergs“, lacht sie. Seit 23 Jahren lebt sie nun immerhin schon in Satteins. Dreißig Umzüge allein in ihrer Kindheit haben es aber mit sich gebracht, dass sie sich laufend auf eine neue Umgebung und andere Menschen einstellen und sich deshalb oft alleine beschäftigten musste. „Ich habe viel Zeit in der Natur verbracht, gezeichnet, Blumenkränze gebunden und beobachtet“, glaubt Jessica Kreter, dass diese Umstände dazu beigetragen haben, dass sie immer schon ihre kreative Ader gepflegt und ihre handwerklichen Fähigkeiten trainiert hat.
Eine Nähmaschine gab es zuhause allerdings nicht. Obwohl sie zuvor schon einfache, oft ausgefallene Kleider und Röcke von Hand genäht hatte, sprang der zündende Funke dann erst im Werkunterricht über. An der Hauptschule Lustenau standen nicht nur Maschinen zur Verfügung, die Lehrerin ließ sich zudem auf den Wunsch der Jugendlichen ein, eine richtige Hose zu schneidern.
„Polstervielfalt“
Während der Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und nach der Geburt des ersten Sohnes blieb der jungen Frau nur wenig Zeit zum Nähen. Doch als dann eine enge Freundin ihrer inzwischen verstorbenen Mutter in Bludenz einen Laden eröffnete, in dem sie vor allem selbst produzierte Kissen aller Art und Kinderkleidung anbot, spürte die Kreative sofort, wie das alte Feuer wieder aufloderte. Sie wurde mehrfach bei Andrea Panhofer vorstellig, sie möge sie doch als Gehilfin einstellen, und half einige Zeit lang unentgeltlich in ihrer Freizeit mit, bis sich die Unternehmerin in der Lage sah, eine Mitarbeiterin zu bezahlen. Das war vor rund elf Jahren.
Jessica Kreter schmiss sofort den alten Job hin und saugte fortan alles auf, was man in Sachen Näh- und Verarbeitungstechnik lernen konnte. „Ich wollte immer schon wissen, wie man gewisse Dinge genau macht, habe Kleidungsstücke auseinandergenommen, nur um herauszufinden, was zuerst zusammengenäht werden muss, und wie dann die weiteren Schritte sind“, erklärt die begeisterte Autodidaktin. Sie musste nicht lange überlegen, als Andrea Panhofer sie 2016 fragte, ob sie das Geschäft „Polstervielfalt“ in der Mühlgasse übernehmen möchte. Jessica Kreter hatte sogar schon ein Firmenlogo in der Schublade, das sie viele Jahre zuvor als Label für ihre Kreationen entworfen hatte. „Jess Werkstatt“ ist nun ihr kleines Reich, in dem sie ihre Ideen verwirklicht und ihre Nähleidenschaft auslebt.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema
Bei der Planung ihrer Produktpalette geht sie von ihren eigenen Bedürfnissen aus. Als alleinerziehende Mutter weiß sie etwa, dass es sich nicht immer ausgeht, ständig neue Kleidung zu kaufen, wenn ihre Buben wieder ein Stück in die Höhe geschossen sind. Sie setzt deshalb auf Schnitte und Materialien, die – zumindest eine Zeit lang – mitwachsen. Die Kinderkleidung soll erschwinglich sein und trotzdem aus hochwertigen Materialien und von langlebiger Qualität.
Außerdem hat sich Jessica Kreter – von der Mutter angeleitet – schon von Kindesbeinen an zum Ziel gesetzt, möglichst wenig Müll zu produzieren. Gerne erledigt sie deshalb auch einfache Reparaturen. Sie freut sich mit ihrer Kundschaft, wenn das Lieblingskleid oder das Erbstück von der Oma noch ein bisschen länger in Gebrauch bleiben kann. Immer wieder wird sie von Kundinnen gebeten, die Lieblingshose in einer anderen Farbe nachzunähen oder zu ändern. Auch das erledigt sie mit Begeisterung. Allerdings mahnt sie zu Geduld: „Solche Aufträge können bei mir bis zu drei Monate dauern.“ Es fällt ihr nämlich nicht immer leicht, alles unter einen Hut zu bringen.
Umweltfreundliche Materialien
Wenn es doch etwas Neues sein darf, greift sie zu natürlichen Materialien. Weiche Baumwollstoffe, Hirse- und Dinkelspelzen, Rapssamen, Schafwolle und andere natürliche Füllmaterialien für ihre Wärme-, Kälte-, Yoga-, Stütz- und Schlafkissen kommen aus Deutschland, Trauben- und Kirschkerne sowie Zirbenholzspäne ordert sie in Tirol. Nur in Bezug auf die Nähfäden – sie bevorzugt die reißfesteren aus Polyester – und die Farben ihrer Stoffe zeigt sich Jessica Kreter kompromissbereit in Sachen Umweltschutz.
„Es gibt in Österreich, Deutschland und der Schweiz leider zu wenige Färber und Drucker“. bedauert die Kreative. Es ist deshalb hierzulande gängige Praxis der Stoffhersteller, die rohweiße Ware nach Südeuropa, aber auch nach Übersee zu schicken, um sie mit den bunten Mustern zu schmücken, die Jessica Kreter für ihre Kreationen benötigt. Obwohl sie bei der Auswahl der Stoffe sehr wohl darauf achtet, welche Chemikalien zum Einsatz kommen und wie die Arbeitsbedingungen in den Färbereien sind, ist sie sich bewusst, dass ihre Kontroll- und Einflussmöglichkeiten in diesem Bereich stark eingeschränkt sind. Sie rät ihren Kundinnen und Kunden deshalb immer, Kleidung und Kissenbezüge vorzuwaschen, um eventuelle Reste von Chemikalien, so gut es geht, loszuwerden. Denn Jessica Kreter möchte, dass auch Allergiker ihre Produkte problemlos benutzen können und sie generell das Wohlgefühl steigern.
Hirse als Mittel gegen Verspannungen
Sie liebt es, ihre Kunden zu beraten, welches Kissen für sie am geeignetsten wäre. Denn sie ist überzeugt, dass Hirse beispielsweise die Muskeln und Nerven beruhigt, während Dinkelspelzen den Schweiß besonders gut aufsaugen. Rapssamen empfiehlt sie Menschen mit rheumatischen Beschwerden. Damit alle die individuell angenehmste Füllmenge herausfinden können, stattet sie die Inlets mit Reißverschluss aus, sodass man je nach Bedarf Füllmaterial nachfüllen oder entnehmen beziehungsweise wohltuende getrocknete Kräuter beimischen kann.
Wenn dann Kunden erzählen, dass das neue Zirbenkissen vom Hund annektiert wurde, ist dies für sie das schönste Kompliment. Denn:
„Kinder und Tiere wissen, was gut für sie ist.“
Als alleinerziehende Mutter kann Jessica Kreter die üblichen Öffnungszeiten nicht immer einhalten. Am besten ruft man also vorher an, wenn man in ihrer Werkstatt in der Bludenzer Mühlgasse vorbeischauen möchte: 0680/2221212