Wie erleben Jugendliche das Ausgesperrtsein aus öffentlichen Räumen? – Unter der Leitung von Tanz- und Theaterpädagogin Brigitte Walk haben 24 Schüler des Bludenzer Gymnasiums ihren Pandemie-Erfahrungen nachgespürt und ihre Empfindungen künstlerisch verarbeitet.
FOTOS: WALK TANZTHEATER, TM-HECHENBERGER
Ein Junge starrt in einer Ecke gebannt auf den Bildschirm seiner Playstation, während eine Jugendliche mit dem Kletterseil über der Schulter durchs Zimmer schleicht, ein Mädchen, das in den Computer-Bildschirm singt… „Corona ist ein dankbares Thema fürs Theater”, erklärt Brigitte Walk. „Pandemie und Lockdown sind grenzwertige Erfahrungen. Alle haben erlebt, dass man da ein bisschen überschnappt.” Dadurch sei es möglich, auch auf der Bühne verrückte Dinge zu zeigen, ohne dass diese den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. „Rede mit deiner Zimmerpflanze”, fordert sie etwa ein Mädchen auf. „Es sind diese Verrücktheiten, die wir brauchen.”
Austausch über Lockdown-Erfahrungen
Die Tanz- und Theaterpädagogin aus Feldkirch arbeitet seit vielen Jahren mit Jugendlichen. Es geht ihr darum, die jungen Leute zu ermutigen, sich einzumischen. Sie sollen in der Gesellschaft sichtbar sein, ihren Platz finden und ihre Zukunft mitgestalten. Normalerweise treffen in ihren Theaterprojekten junge Leute aus unterschiedlichsten Kreisen aufeinander. Flüchtlinge, Lehrlinge, Schüler,… erarbeiten gemeinsam ein Stück, das immer auch sehr viel mit ihrer persönlichen Lebenswelt zu tun hat. Doch diesmal sind viele langjährige Projektpartner abgesprungen, weil Corona und die vielfältigen Folgen der Pandemie die Energieressourcen aufbrauchen.
Hannah Breuker
Ludesch
„Mir haben das Rausgehen und das Taekwondo-Training sehr gefehlt. Corona hat mir aber auch geholfen, offener und leichter mit Freunden zu reden. Wir haben uns über Videocalls und WhatsApp ausgetauscht.”
Paula Emma Kaufmann
Nüziders
„Vor Corona habe ich fast nie etwas mit Freunden unternommen. Wir haben innerhalb der Familie eine enge Beziehung zueinander. Das hat mir genügt. Ich war eher in den Freundeskreis meiner älteren Geschwister integriert. Als ich dann tagelang nur daheim war, ist mir klargeworden, dass ich auch Personen außerhalb der Familie brauche, um mich auszutauschen, damit ich in der Gegenwart bleibe. Ich hatte plötzlich viel Zeit, um über mich und meine Zukunft nachzudenken.”
Yoldas Poyraz
Ludesch
„Während des ersten Lockdowns habe ich viel gezockt. Dann ist mir der Spaß daran aber vergangen. Mir ist klargeworden, dass ich die Zeit viel besser nutzen kann. Gemeinsam mit meinem Cousin habe ich zwei Wochen lang die kleinen Cousins versorgt, als mein Onkel in der Türkei starb. Wir haben uns gegenseitig geholfen und gelernt, mit Druck umzugehen.”
Die 6KA des Bludenzer Gymnasiums ist aber vollzählig an Bord. „Anfangs hieß es ja auch, dass wir dann unsere Projektpartner in Zypern, Palästina und der Türkei besuchen”, lacht Yoldas Poyraz. Die Reisepläne sind der Pandemie zum Opfer gefallen. Trotzdem bringen sich die Jugendlichen, die sich im Gymnasium für den Schwerpunkt Kultur und Sprache entschieden haben, seit Juni mit großem Ernst und viel Begeisterung ein. Das anfängliche „schon wieder Corona” ist der Neugier gewichen. Denn es war äußerst spannend, zu erfahren, wie es anderen in einer Situation geht, die weltweit jeden Einzelnen irgendwie betrifft. Seit Juni tauschen sich die Schüler regelmäßig mit Jugendlichen in Izmir, Nicosia und Ost-Jerusalem aus – per Zoom, WhatsApp, mit Filmen und Fotos haben sie sich näher kennengelernt, sich gegenseitig Einblick in ihren Alltag und ihre Empfindungen gewährt. Da war die Rede von der Einsamkeit in engen Zimmern, heimlichen Verabredungen im Freien, Überlastung im Home-Schooling, Anpassung und Rebellion, aber auch von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Projektpartner in allen vier Ländern entwickelten jeweils eigene Stücke zum Thema und bauten – unter der Gesamtleitung von Brigitte Walk – die Erfahrungen und Filmbeiträge der anderen ein. In Vorarlberg fügte Autor Amos Postner die Texte der Jugendlichen zu einem Ganzen zusammen, das dann in der Bludenzer Lorünser Villa szenisch umgesetzt wurde.
Die Räume im obereren Stock des Jugendstil-Gebäudes sind Schauplatz der Produktion „Places to be”, welche Filmsequenzen, Tanzeinlagen und schauspielerische Elemente vereint. „Das ganze hat eher Performance-Charakter”, erklärt Brigitte Walk. Sie hat sich bei der Entwicklung des Stücks ganz auf die jungen Künstler und die räumlichen Gegebenheiten eingelassen.
Die Regisseurin hat bereits jede Menge Erfahrung im Bespielen von unterschiedlichsten Räumen. „Leerstände reizen mich sehr”, bekennt sie. Auf der Suche nach einem Aufführungsraum hatte ihr der Bludenzer Bauamts-Leiter DI Thorsten Diekmann mehrere Optionen aufgezeigt. Die schöne alte Villa an der Landstraße bietet zwar keinen klassischen Veranstaltungssaal, dafür aber jede Menge Geschichte und ein ganz besonderes Ambiente. „Wir sind Mag. Beat Fleisch sehr dankbar, dass er uns die Villa unentgeltlich anvertraut hat”, freut sich Brigitte Walk über das Entgegenkommen des Geschäftsführers von Primus Immobilien.
Ursprünglich waren fünf Aufführungen mit jeweils rund 50 Zuschauern geplant – und auch bereits ausverkauft. Die Premiere stand am 21. November auf dem Programm. Bei Redaktionsschluss war allerdings nicht klar, ob die jungen Leute ihr Stück auch nur ein einziges Mal aufführen dürfen. Spielverderber war wieder einmal Corona. „Wir sind kein Verein”, erklärt Brigitte Walk. Als professionelle Kulturveranstalterin muss sie die strengen Regeln beachten, die vom Staat ausgegeben werden, und viele der Jugendlichen sind nicht geimpft. Ganz umsonst sollen die Anstrengungen aber auf keinen Fall sein. Es wird zumindest einen Film geben. Interessierte finden unter www.walktheater.com aktuelle Informationen.