Fasziniert von altem Handwerk

„Man braucht nur Zange, Pfriem, Baumschere und ein paar Weidenruten und kann damit Behältnisse für alle Zwecke herstellen”, schwärmt Jürgen Hartmann. Als Ausgleich zu seinem Job im Landhaus begeistert sich der Schlinser für altes Handwerk. Vor allem das Korbflechten hat es ihm angetan – und zwar schon als Kind. 

FOTOS: TM-HECHENBERGER

Jürgen Hartmann kann sich noch gut daran erinnern, dass früher im Herbst die Zigeuner von Haus zu Haus zogen – an ihren Armen kunstvoll geflochtene Körbe in allen Größen und Formen. Schon damals habe er sich gedacht: „Das möchte ich auch einmal können.” Später hat er Maschinenbau, Sozialpädagogik und Familientherapie studiert, viele Jahre als Erzieher am Paedakoop Jagdberg, in der stationären Drogentherapie und – Beratung sowie in der Justizanstalt gearbeitet. Heute ist er im Landhaus in der Abteilung Kinder- und Jugendschutz für die Personal- und Qualitätsentwicklung zuständig. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit Themen, von denen andere gern die Finger lassen: Notreisende und Bettler etwa, die er als „extreme Überlebenskünstler” schätzt, und „die ihre Kinder genauso lieben wie wir.” In seinem Bemühen, einen besseren Umgang mit diesen Menschen zu finden, der sie nicht in die Bettelei und Kleinkriminalität treibt, versucht er immer auch, die Talente dieser Menschen aufzuspüren. „Was kann ich von ihnen lernen?” Diese Frage stellt er sich oft. 

Viel Wissen von früher ist verloren gegangen

Denn viel Wissen, das in ärmeren Ländern noch zum Alltag gehört, ist bei uns in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. Kaum einer beherrscht etwa heute die früher selbstverständliche Kunst des Korbflechtens. Indem er auf Märkten oder bei Veranstaltungen präsent ist, möchte Jürgen Hartmann dazu beitragen, dass dieses Handwerk nicht völlig ausstirbt. 

Lehrzeit im Sennwald

Das nötige Rüstzeug dazu erwarb er vor vielen Jahren in Sennwald. Er war gerade einmal Mitte zwanzig, als er sich in Vorarlberg – leider erfolglos – auf die Suche nach einem Korbflechter machte, der ihm die Grundbegriffe zeigen würde. Über einen Korbwaren- und Weidenhändler in Rüthi in der Schweiz erhielt er die Adresse eines 80jährigen Mannes in Sennwald. Mehrfach besuchte er diesen mit dem Motorrad, bevor er den Korbflechter dazu bewegen konnte, ihn in seiner wunderschönen Werkstatt eineinhalb Tage lang in die Grundfertigkeiten einzuweihen. „Er hat wohl gemerkt, dass er mich nicht los wird”, erinnert sich Jürgen Hartmann schmunzelnd. 

Eine Weile lang hat er anschließend fleißig geübt und mit Feuer­eifer Körbe geflochten, dann aber über Jahre keinen einzigen mehr. Den alten Mann hat er 16 Jahre später noch einmal besucht. „Er saß – inzwischen 96jährig – immer noch in seiner Werkstatt und hat bei lauter Musik friedlich seine Körbe geflochten.” Wenige Tage später ist er an der Ofenbank sitzend verstorben. „Er ist irgendwie ein Vorbild für mich”, erklärt Jürgen Hartmann. „Ich glaube, die Menschen sind heute wieder vermehrt auf der Suche danach, selbst etwas mit den Händen herzustellen.”

Letztes Jahr hat er sich deshalb im Garten eine Werkstatt errichtet, in der er nun manchmal gemeinsam mit seinen Kindern – unabhängig vom Wetter – drechseln, alte Fahrräder reparieren und eben Körbe flechten kann. Ein praktischer Zufall ist es, dass sich der Dorfbrunnen direkt vor seinem Haus hervorragend dazu eignet, die langen Weidenruten einzuweichen. Denn nur in nassem Zustand sind sie biegsam genug und brechen nicht, wenn Jürgen Hartmann sie Reihe um Reihe zu einem Fahrradkorb, einem Erntekorb, zu einem Zaun oder einer Umrandung für ein Hochbeet flicht. In rund dreieinhalb Stunden Handarbeit entsteht ein Korb, dem er durch das Verwenden unterschiedlicher Weidenarten ein schönes Farbenspiel verpassen kann.

Farbenspiel der Weiden

Denn in Vorarlberg gibt es viele verschiedene Weiden, deren Rinden von frischem Grün über Braun bis hin zu einem kräftigen Rot alle möglichen Farbtöne bieten. Im Frühjahr macht sich Jürgen Hartmann manchmal selbst auf den Weg, um in den Auen einjährige Ruten für einen Korb zu schneiden. Weil es in der Region aber keine großflächigen Vorkommen gibt, ist er für ein Büschel geeigneter Zweige Stunden unterwegs. 90 Prozent seines Bedarfes an Weiden kauft Jürgen Hartmann deshalb in Deutschland. 

Wenn er bei Veranstaltungen und Märkten sein Handwerk zeigt, sind vor allem die Kinder fasziniert. Jürgen Hartmann freut sich darüber und gibt dann auch gerne sein Wissen weiter. Allerdings sucht er sich diese Auftritte genau aus. „Natürlich freut es mich, wenn jemand einen Korb kaufen möchte.” Aber darum geht es ihm nicht. Er möchte echtes Interesse an diesem Handwerk spüren und sich nicht als nostalgische Deko für den Verkauf von Glühwein missbrauchen lassen.

Wenn das Ambiente passt, bietet es dem leidenschaftlichen Korbflechter oft spannende Inspiration. So ist er etwa in letzter Zeit bei solchen Gelegenheiten einem Seilmacher und einem Besenbinder begegnet und war fasziniert: „Das lerne ich irgendwann auch noch.”

Vorheriger ArtikelWaldwirtschaft und Käferwehr
Nächster Artikel360 Tonnen Käse