Entschleunigung an der Druckerpresse

Akribische Vorarbeit und dann ein Moment des großen Glücksgefühls, wenn das Papier vom Druckstock abgezogen wird. – Seit 2012 gibt sich Gabi Jörger dem Zauber des traditionellen Holzschnitts hin.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT

In Deutschland zählt der Holzschnitt zum Immateriellen Kulturerbe, und auch in Österreich laufen Anstrengungen in diese Richtung. Denn diese Art der Vervielfältigung ist älter als der Buchdruck. Schon im alten Ägypten war es üblich, Holzstempel zu schnitzen, die in weichen Ton gedruckt wurden, um Abbildungen zu vervielfältigen. Dieses Prinzip wurde ab zirka 1400 vor allem in alpenländischen und bayrischen Klöstern verfeinert. Auf diese Weise wurden erste Flugblätter hergestellt, mit denen Abbildungen der Pestheiligen, medizinische Ratschläge und bald auch umstürzlerische Ideen unters Volk gebracht wurden. Aber auch für die kunstvollen Illustrationen alter Bücher wurden einst Schnitzer angestellt, welche plangeschliffene Holzplatten so bearbeiteten, dass nur mehr jene Teile des Motivs erhaben waren, die später farbig hervortreten sollten. Renaissance-Künstler wie Albrecht Dürer nutzten den Holzschnitt, um ihre Werke zu reproduzieren.

In Zeiten von Scanner, Laserdrucker und Fotokopierer hat diese arbeitsintensive Technik ausgedient. Nur noch wenige Menschen beschäftigen sich im deutschsprachigen Raum mit der alten Handwerkskunst. 

Gabi Jörger ist eine der wenigen. Die Deutsch- und Französisch-Lehrerin aus Gurtis stieß vor acht Jahren zufällig im Zuge einer Fortbildungsveranstaltung der Pädagogischen Hochschule auf diese Technik, die sie nach wie vor fasziniert. Mehrere Kurse später – unter anderem in der ehemaligen DDR, wo das traditionelle Druckhandwerk bis heute hoch in Ehren gehalten wird – hat sich in ihrem Atelier eine beträchtliche Anzahl an farbenfrohen Drucken angesammelt. Sie hat ihr Können inzwischen so verfeinert, dass sie selbst Kurse gibt und sich sogar über die Feinheiten des Japanischen Farbholzschnitts drübertraut. 

„Holzschnitt ist die totale Entschleunigung”, schwärmt Gabi Jörger. Sie weiß, dass Bruchteile von Millimetern das Endergebnis beeinflussen. Entsprechend konzentriert schneidet sie die Details mit dem Holzschnittmesser aus der fein geschliffenen Lindenholz-Platte. Dabei vergisst sie meist alles rund um sie herum, erwacht erst Stunden später aus dem künstlerischen „Flow”. Ihre Motive findet sie überall. Mal ist es die Nahaufnahme einer Pflanze, mal sind es Figuren in einer Zeitung oder detaillierte Zeichnungen von Tieren, welche sie abwandelt und mit Kohlepapier spiegelverkehrt auf die Holzplatte überträgt. Bei mehrfarbigen Drucken muss sie sich besonders intensiv mit dem Motiv beschäftigen. Wenn die hellsten Teile des Motivs gedruckt sind, nimmt sie neuerlich das Schnitzmesser zur Hand und befreit den Druckstock fein säuberlich von allen Teilen, die so eingefärbt bleiben sollen. Auf diese Weise arbeitet sie sich in mehreren Lagen bis zur dunkelsten Farbe durch. Dieser Prozess braucht Zeit – vor allem dann, wenn sie großformatige Motive umsetzen möchte.

Grußkarten und kleine Bilder bis maximal DIN A4-Größe kann sie nämlich mit einer kleinen Presse direkt in ihrem Atelier in Gurtis drucken. Dort verwendet sie wasserlösliche Farben, die relativ schnell trocknen, sodass der nächste Druckvorgang bald in Angriff genommen werden kann.

Für größere Bilder setzt sich Gabi Jörger hingegen mehrmals ins Auto und fährt ins Unterland. Denn das Druckwerk in Lustenau bietet nicht nur eine sehenswerte Ausstellung über die Entwicklung des Druckhandwerks. Kreative haben dort außerdem die Möglichkeit, alle Werkzeuge, Maschinen und Druckerpressen zu nutzen. Mitglieder des Vereins zur Förderung von Druckgrafik und Typographie kümmern sich verlässlich darum, dass diese Zeugen längst vergangener Zeiten immer bestens in Schuss sind.

„Es ist ein unglaubliches Glück, dass wir so etwas bei uns im Land haben”, freut sich Gabi Jörger jedes Mal wieder auf das inspirierende Ambiente und den Austausch mit anderen Krea­tiven. Ihr persönlich hat es eine reich verzierte Dingler´sche Kniehebelpresse, Baujahr cirka 1850, besonders angetan. Während die Siebdruck-Utensilien im Druckwerk laufend in Gebrauch sind, hat Gabi Jörger dieses schwere Ungetüm, das ihr einiges an Muskelkraft abfordert, meist für sich allein. Sind die Ölfarben im gewünschten Farbton gemischt, trägt sie diese mit einer Walze hauchdünn auf den geschnitzten Holzblock auf. Der wird genauestens justiert, bevor die Druckkünstlerin behutsam einen Bogen Papier auflegt und einen Hebel von einschüchternden Dimensionen betätigt, der dieses Sandwich unter die tonnenschwere Presse schiebt. 

Wenige Sekunden später stellt sich dann heraus, ob die Vorarbeit gelungen ist. Schon kleine Unebenheiten können das Druck-Bild stören. Doch Gabi Jörger weiß inzwischen, wie sie dem abhelfen kann. Sie schiebt einen Papierschnipsel unter den Druckstock, um die Höhe auszugleichen, mischt die Farbe neu, trägt sie noch dünner auf oder entfernt einen kleinen Fusel auf dem Druckstock. Erst wenn die Probedrucke ganz nach ihren Vorstellungen ausfallen, greift sie zu ihren wertvolleren  Papierbögen, von denen sie inzwischen ein gut gefülltes Lager hütet. „Es ist jedes Mal ein ganz großes Glücksgefühl”, beschreibt sie den Moment, wenn sie einen perfekten Druck aus der Presse nimmt. Der muss nun mehrere Tage lang völlig durchtrocknen. Dies gibt ihr jede Menge Zeit, den Druckstock für die nächste Farbschicht zu bearbeiten. Dann geht diese Prozedur mit all ihren Unwägbarkeiten und Fehlerquellen von vorne los.

So ein Holzschnitt erfordert Zeit und exaktes Arbeiten. „Doch man muss auch loslassen können”, hat Gabi Jörger inzwischen gelernt. Das war nicht immer so. „Ich bin nämlich eine ziemliche Perfektionistin und stehe mir dann oft selbst im Weg”, gibt sie gerne zu. Bei den besten Ergebnissen und ihren schönsten Werken hatte immer wieder auch der Zufall seine Finger im Spiel. Gabi Jörger freut sich, wenn sie in ihren Kursen beobachtet, wie sich Einzelne ganz auf dieses Spiel einlassen können, sich ganz dem Rhythmus der jahrhundertealten Technik hingeben. 

Holzdruck-Ausstellung in Batschuns

Über die Jahre kam sie auch mit anderen Druckkünstlern in Kontakt. Es gibt sogar eine internationale Vereinigung der Holzschneider, deren Mitglied sie inzwischen ist. XYLON wurde 1953 gegründet. Die aktuelle Gemeinschaftsausstellung der Sektionen Österreich und Schweiz wurde im Oktober im Bildungshaus Batschuns eröffnet. Dort sind die Werke moderner Holzschnitt-Künstler – so Corona dies zulässt – noch bis 20. Dezember zu bewundern. Gabi Jörger hat sich bereits angesehen, was ihre Kollegen draufhaben und ist beeindruckt. Sie ist aber ebenso stolz, dass auch eines ihrer eigenen Werke für die Ausstellung ausgewählt wurde.

Obwohl sie sich natürlich freut, wenn ihre Werke anderen gefallen und Käufer finden – in erster Linie geht es ihr beim Drucken um den kreativen Prozess und das befriedigende Gefühl, mit eigenen Händen etwas Schönes zu schaffen.

Interessierte finden unter www.holzschneiderei.com weitere Informationen.

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