„Ich muss jetzt wirklich einmal Urlaub nehmen, um ordentlich Deutsch zu lernen”, erklärt Rob Aiello. Der Amerikaner lebt seit fünf Jahren in Nüziders. Aber zu viel mehr als „Essa ko, sapperlott und servus” hat er es bislang nicht gebracht. Das hat einen guten Grund.
FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT
Denn Rob Aiello arbeitet für eine Firma in New York. Wenn die meisten Menschen in Vorarlberg bald Feierabend haben, melden sich Kollegen und Kunden per Skype, steuert er von Nüziders aus die Rechner im „Big Apple”. Der Zeitunterschied beträgt sechs Stunden. Das Team in New York nimmt um neun Uhr in der Früh die Arbeit auf. Rob Aiello hat dann schon einiges geschafft. Bei ihm ist es ja bereits drei Uhr nachmittags. Sind dann Skype-meetings angesetzt oder taucht ein Problem auf, sitzt Rob Aiello bis spät in der Nacht am Computer.
Er ist Spezialist für Animationen. Seine Firma „321 Launch” produziert „test commercials”. Sobald die Idee für einen Werbespot steht, nehmen Werber renommierter Firmen mit den „Launch-Spezialisten” Kontakt auf. Deren Aufgabe ist es, die einzelnen Szenen zu zeichnen oder mit Fotos zu illustrieren, denen dann Rob Aiello mit aufwendigen Effekten „Leben einhaucht”. Der so entstandene Clip wird einem Testpublikum vorgeführt. Nur wenn sich diese „Fokus-Gruppe” für die „previsions” begeistert, nimmt der Kunde viel Geld in die Hand, um den endgültigen Werbespot mit Schauspielern und kostspieligem Film-Team umsetzen zu lassen. Der Arbeitgeber in New York hatte das Vertrauen, dass Rob Aiello sich auch aus der Ferne mit großem Engagement in die gemeinsamen Projekte einbringt. Die Firma hat für ihren Creative Director und Senior Editor eine gewaltige Ausnahme gemacht. Das klappt bisher ganz gut. Einmal im Jahr fliegt Rob Aiello gewöhnlich für eine Woche nach New York, um den Kontakt zu halten. Ansonsten bespricht er mit Kollegen und Kunden per Video-Konferenz, wie es weitergehen soll, und schickt Daten per Internet nach Übersee.
Parallel dazu arbeitet der Technik-Freak an einer Präsentation, von der er sich langfristig ein zweites berufliches Standbein hier in Vorarlberg erhofft. Er versteht es nämlich auch, am Computer eine virtuelle Umgebung zu schaffen, in der sich Menschen – ausgestattet mit entsprechenden Spezialbrillen – bewegen können. Baufirmen nutzen diese Technologie etwa, um potenziellen Kunden einen Eindruck von der künftigen Wohnung zu vermitteln.
Das notwendige Wissen um „virtual reality”, aufwendige 3D-Effekte, fließende Animationen oder Farbadaptionen hat sich Rob Aiello alles selbst beigebracht. Zu einer Zeit, als noch kaum jemand einen Computer besaß, durfte er als Zwölfjähriger – damals lebte er bei seiner Familie in Chicago – jederzeit den PC eines Nachbarn nutzen. Die Begeisterung für die unglaublichen Möglichkeiten, welche dieses Gerät bietet, hat ihn nie losgelassen. „Ich kenne sonst niemanden, der seine Arbeit mit einer solchen Leidenschaft tut”, erklärt seine Frau Naomi Jacob.
Als Au Pair-Mädchen nach New York
Sie ist auch der Grund für Robs Umzug nach Nüziders. Denn Naomi Jacob ist zwar in Paris geboren, doch in Nüziders aufgewachsen. Ihren amerikanischen Vater, der für die Unesco arbeitete, hat sie nie kennengelernt. Er erlag kurz vor ihrer Geburt einem Herzinfarkt. Ihre Mutter, die gebürtige Nüzigerin Elsa Jacob, kehrte deshalb mit ihrem Sohn und der neugeborenen Tochter in die Heimat zurück. „Ich habe Englisch auch nur in der Schule gelernt”, erzählt Naomi Jacob, die durch ihren Vater aber einen amerikanischen Pass besitzt. Mit 26 Jahren arbeitete sie in einem Steuerberatungsbüro im Unterland, hatte aber das Gefühl, dass sie gerne noch etwas anderes ausprobieren würde. Als sie in der Zeitung eine Stellenanzeige entdeckte, heuerte sie deshalb kurz entschlossen bei einer New Yorker Familie als Au Pair-Mädchen an. Eigentlich nur, um ihr Englisch zu verbessern. „Eine schöne Zeit”, schwärmt sie. Als das vereinbarte Arbeitsjahr um war, wollte sie unbedingt in New York bleiben, aber noch andere Erfahrungen machen. Dank ihres amerikanischen Passes war dies für die Doppelstaatsbürgerin kein Problem.
Büro im 30. Stock in der 5th Avenue
„Ich habe mich bei einer Investmentfirma beworben und die haben mich gleich genommen”, erinnert sich Naomi Jacob an die unglaublichen Glücksgefühle, die sie angesichts eines Büros in der 5th Avenue mit Ausblick auf den Central Park fast überwältigten. „Es war wie im Film.” Der Arbeitsalltag eines „executive assistant” in New York ist allerdings ziemlich anspruchsvoll. „Ich musste ständig zwanzig Sachen gleichzeitig erledigen, habe aber extrem viel gelernt”, schildert sie heute. Nach fünf Jahren wechselte die Nüzigerin zu einer österreichischen Hedgefonds-Firma.
Ihren Mann lernte sie über eine Freundin kennen, die mit einem Arbeitskollegen von Rob Aiello liiert war. Als sich 2007 Tochter Jessie ankündigte, quittierte sie ihren Job.
„Speziell als die Kinder da waren, haben wir immer wieder davon gesprochen, dass wir eigentlich lieber auf dem Land leben würden”, berichtet Naomi Jacob. Auch ein Umzug nach Europa stand immer wieder im Raum. Schlussendlich gab aber Naomis Krebserkrankung den Ausschlag. „Wir wussten, jetzt müssen wir wirklich etwas tun.”
Die beiden verkauften ihr Haus, verschifften ihre Möbel, bauten das Dachgeschoss von Naomis Elternhaus um, zogen mit den beiden Töchtern Jessie und Nickie sowie Dackel Buddy dort ein.
Obwohl der Aufwand damals beträchtlich war – diesen Entschluss haben sie bis heute nicht bereut. Im Gegenteil: „In Nüziders fühlen wir uns wie im Paradies. Wir haben hier so viel mehr Lebensqualität”, sind sich Rob und Naomi einig.
Anfangs konnte die Familie in ihrem neuen Heim kaum einschlafen, weil die gewohnten Geräusche – Hupen und Sirenen auf den Straßen sowie Flugzeuge, die über ihre Köpfe donnerten – fehlten. Dafür genossen sie es umso mehr, in klaren Nächten die Sterne zu sehen. Oder Wasser zu trinken, das nicht mit Chlor und Fluorid versetzt ist. Ohne große Vorbereitungen radeln oder wandern zu gehen. Innerhalb weniger Stunden andere schöne Orte in Europa besuchen zu können. Die Zusammenarbeit mit Handwerkern, die von ihrem Job auch wirklich etwas verstehen. Spazieren zu gehen, ohne zuvor erst eine Stunde ins Grüne fahren zu müssen,…
„Außerdem ist New York unglaublich schmutzig”, erklären die beiden einstimmig. Ihre Kinder konnten sie in Amerika nicht in den Hof hinter dem Haus lassen, da immer alles schwarz verdreckt war. Oder sie gar alleine in die Schule schicken. Naomi Jacob erinnert sich noch gut an ein Telefongespräch, welches sie mit Rob führte, als dieser nach Vorarlberg geflogen war, um Jessie in der Nüziger Volksschule anzumelden. Die Schilderung begann mit „oh my god”. Auf ihr „So schlimm findest du es?”, antwortete der Städter: „Nein, so wundervoll, dass unsere Kinder das erleben dürfen.”
Mehr Lebensqualität in der neuen Heimat
Denn die Volksschule im Ort mutete ihn extrem beschaulich an im Vergleich zur New Yorker „Primary”, wo sich die damals siebenjährige Jessie unter 1400 Schülern behaupten musste. „Die Kinder hatten draußen nur einen Betonplatz, auf dem sie nicht rennen, sondern nur im Kreis sitzen durften”, ist Rob über die Veränderung glücklich. Trotz der guten Aussichten machten sich die Eltern anfangs Sorgen, wie das Mädchen ohne irgendwelche Deutschkenntnisse in der zweiten Klasse zurechtkommen würde. Doch Jessie und ihre damals dreijährige Schwester Nickie überraschten die Eltern. Innerhalb kürzester Zeit konnten sie sich (fast) ohne Akzent mit den anderen Kindern unterhalten. „Wenn ich Jessie eine Nachricht auf Hochdeutsch auf ihr Handy schicke, antwortet sie neuerdings sogar im Dialekt”, berichtet ihre Mutter. Heute besucht Jessie die zweite Klasse der Sportmittelschule, ihre Schwester Nickie geht in die zweite Klasse Volksschule. Auch das Heimweh nach ihren amerikanischen Freunden haben die beiden weitgehend abgestreift.
Wenn ihre Eltern an New York zurückdenken, vermissen sie die Menschen aus allen Nationen der Welt, mit denen sie zuhause im Stadtteil Queens so leicht ins Gespräch kamen und dadurch unterschiedlichste Kulturen kennenlernten. Auch die unglaubliche Toleranz der New Yorker haben sie sehr angenehm in Erinnerung.
Thanksgiving-Schmaus in Nüziders
Feinschmecker und Hobby-Koch Rob vermisst außerdem die Vielzahl an unterschiedlichsten Lokalen, die in der Weltstadt in unmittelbarer Nachbarschaft Speisen aus aller Welt anboten. In seiner Küche in Nüziders versucht er so manches nachzukochen. Er hat in seine neue Heimat eine ganze Bibliothek an Kochbüchern mitgebracht. Seit drei Jahren verwöhnt er Vorarlberger Freunde etwa an seinem „Lieblingsfeiertag” mit einem richtigen amerikanischen „Thanksgiving-Festschmaus”. Doch es ist nicht immer leicht, die Rezepte von zuhause hier umzusetzen. So ist im Ländle etwa kaum ein Truthahn mit entsprechenden Dimensionen aufzutreiben. Oft weiß er nicht genau, welches Stück Fleisch er beim Metzger bestellen soll, und immer muss er mühsam Pfund und Cups in Gramm umrechnen. Doch dies ist ein weiterer Grund, warum sich Rob Aiello jetzt vorgenommen hat, endlich richtig gut Deutsch zu lernen…