Der Spießer

Das Weibchen des Neuntöters unterscheidet sich deutlich von seinen männlichen Artgenossen. So ist der Kopf eher rostbraun als grau gefärbt. Das Gefieder weist eine deutliche, schwarzweiße Zeichnung - Fachleute sprechen von Sperberung - auf. Jungtiere gleichen den Weibchen. Deren Schnabel ist allerdings deutlich heller.

Der Neuntöter oder Rotrückenwürger gehört zu den besonderen Aushängeschildern der Walgauer Vogelwelt. Und er ist weit harmloser, als sein Name vermuten lässt.

FOTOS: GERALD SUTTER, TM-HECHENBERGER

Mag. Georg Amann aus Schlins hat an der Uni Innsbruck Biologie und Erdwissen­­schaften studiert. Der freiberufliche Biologe mit verschiedensten Schwerpunkten widmet sich besonders dem Naturschutz. Seit 2002 behält er den Neuntöter-Bestand im Walgau im Auge.

„Man hätte ihn auch Rosenvogel nennen können”, verweist Biologe Mag. Georg Amann auf die rosa Färbung des Neuntöters und dessen Vorliebe für dornige Rosenhecken, in denen er seine Nester baut. Es sind aber andere Eigenheiten, welche dem maximal 18 Zentimeter großen Vogel die brutal anmutenden Namen einbrachte. Der Neuntöter hat nämlich einen Hang zur Vorratshaltung. Wenn das Nahrungsangebot groß ist, spießt er die Beute zum späteren Verzehr auf Dornen. Der Volksmund behauptet, dass er stets neun Insekten oder auch kleine Säugetiere wie etwa Mäuse erlegt, bevor er sich über seine Nahrung hermacht. Diese Zahl ist aber reine Erfindung, die dornige Vorratskammer kann auch deutlich besser gefüllt sein. Obwohl der Neuntöter nach der Jagd einige Zeit dafür aufwendet, um seine Nahrung aufzubereiten – er trennt etwa die Beine, Fühler und Flügel von Insekten fein säuberlich ab – landen auch unverdauliche Teile wie die Chitin-Panzer von großen Käfern in seinem Magen. Diese würgt er nach der Mahlzeit wieder herauf, um sie auszuspucken. Es ist dieses Verhalten, welches bei sämtlichen Mitgliedern der „Würger-Familie” die Namensgebung beeinflusste.

Der Neuntöter ist im Walgau vielerorts zu entdecken. Ornithologen schätzen das Vorarlberger Vorkommen auf 60 bis 120 Brutpaare. Ein Großteil davon brütet im Walgau. Der Neuntöter besiedelt im Sommer vor allem die sonnigen Magerheuwiesen an den Südhängen etwa in den Jagdberg- und den Blumenegg-Gemeinden oder in Satteins, um dort seine Jungen aufzuziehen. Dafür nimmt er einen weiten Weg auf sich. Die kalte Jahreszeit verbringt der Neuntöter nämlich in Ostafrika. „Er gehört zu den wenigen Zugvögeln, die östlich ziehen”, erklärt Biologe Amann. Während die großen Vogelzugrouten von uns aus Richtung Süden oder Südwesten führen, gelangt der Neuntöter über den Balkan und Israel ins Winterquartier. 

Neuntöter sind Einzelgänger. Ende April/Anfang Mai trudeln erst die männlichen Tiere und etwas später die Weibchen im Ländle ein. Mit ihrem markanten Ruf stecken die Männchen ihr Revier ab, bevor sie sich intensiv um eine Gefährtin bemühen. Sie versuchen, die Weibchen mit ihrem eher leisen Gesang zu beeindrucken. Hat eine Vogeldame angebissen, wird diese mit allerlei Leckerbissen gefüttert, um ihr klarzumachen, dass das Männchen zum Familienvater taugt. 

Die Beziehung muss aber nur einen Sommer lang halten. Gut versteckt in einer dichten Hecke baut das Paar gemeinsam ein Nest. Als Baumaterialien dienen vor allem die groben Stängel von Schafgarbe oder Labkraut, Grashalme, feine Zweige, Moos, Wurzelgeflecht und Federn. Die durchschnittlich fünf bis sechs Eier werden vom Weibchen zwei Wochen lang ausgebrütet. In dieser Zeit wird es vom Männchen gefüttert. „Neuntöter brüten nur einmal im Jahr. Da ist es wichtig, dass der Bruterfolg in der Regel gut ist”, erklärt Georg Amann. Aus rund 70 Prozent der bebrüteten Eier schlüpft Nachwuchs, immerhin noch 40 Prozent der Jungvögel überleben bis zum ersten selbstständigen Ausflug. Doch dafür müssen die frischgebackenen Eltern einiges leisten. Der  Nachwuchs muss  in der wachstumsintensivsten Zeit schließlich alle zwei bis drei Minuten mit Nahrung versorgt werden. Nach rund sechs Wochen werden die Jungvögel dann aber nach und nach in die Selbstständigkeit entlassen. Für die Jagd nach Insekten sucht sich der Neuntöter einen höhergelegenen Platz, der ihm einen guten Überblick bietet. Er lauert von dort aus seiner Beute auf. „Dabei lässt er sich gut beobachten“, weiß Mag. Amann. 

Hobby-Ornithologen sollten insektenreiche Wiesen mit lichten Hecken im Auge behalten. Im Wald fühlt sich der Neuntöter nicht wohl. „Manchmal reicht es, wenn ein einzelner Weißdornstrauch entfernt wird, dass sich der Neuntöter aus diesem Revier zurückzieht.” Georg Amann hat dies etwa in Schlins selbst beobachtet. Was seinen Lebensraum betrifft, ist der kleine Vogel in Vorarlberg deutlich anspruchsvoller wie etwa in Ostösterreich, wo er öfter auch in großen Ackerbaugebieten mit Heckenstreifen angetroffen wird. Im Walgau schätzt er abwechslungsreiche Gebiete mit verschiedenen kleinen Biotopen. Gute Chancen, den Vogel zu Gesicht zu bekommen, gibt es etwa am Ludescherberg oder am Radweg in der Bludescher Au.

Allzu lange sollte man aber nicht mehr warten. Denn bereits im September macht sich der Neuntöter wieder auf den Weg nach Afrika. Er fliegt in den Nächten und muss auf dieser Reise vielen Gefahren trotzen. „Es sind nicht nur Wind und Wetter, die Zugvögeln zusetzen”, erklärt Ornithologe Amann. „In vielen Ländern macht auch der Mensch immer noch Jagd auf Vögel.” 

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