Ihr Garten ist nicht besonders ordentlich und gerade deshalb bei Insekten, Vögeln und anderen Wildtieren besonders beliebt. Angesichts der bevorstehenden Gartensaison möchten Paul Amann-Begle und seine Frau Mirjam auch andere zum „Faulsein für die Vielfalt” inspirieren.
FOTOS: TM-HECHENBERGER, GERALD SUTTER, CAROLINE BEGLE, PAUL AMANN, INGIMAGE
Es ist alles ein bisschen wild im Garten von Mirjam und Paul Amann-Begle. Abgestorbene Bäume wurden bewusst nicht gefällt. Schlingpflanzen überwuchern das Bienenhaus, die Wiese ist nicht kurz gemäht, unter den Obstbäumen etwas Laub liegengeblieben. Die Natur erwacht erst langsam aus dem Winterschlaf. Vor dem Haus bietet jedoch bereits eine große Weide ihren Nektar an, Schneeglöckchen durchstoßen die Laubschicht unter dem großen Obstbaum. Samenstände verschiedenster Stauden und Sträucher ziehen Vögel an. Totholz-Haufen bieten Igeln, Mäusen und anderem Getier Unterschlupf. „Unter dem Holderbusch haben heute schon eine ganze Schar Bergfinken nach Essbarem gepickt”, hat Mirjam Begle vom Küchenfenster aus beobachtet. Ein Kleiber und ein Buntspecht zeigen sich beim Fototermin ebenfalls.
Das war vor zwanzig Jahren ganz anders. Als die Familie das Haus am Wiesenbach in Schlins bezog, war die Wiese ums Haus lange Jahre regelmäßig kurz gemäht worden. „Doch biologisch gesehen ist so etwas Wüste”, erklärt Paul Amann-Begle. Als Biologe weiß er, wovon er spricht. „Eindeutige Studien belegen, dass in unserer Region vierzig Prozent aller Insekten verschwunden sind – sowohl von der Artenvielfalt her als auch von der Masse. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Tierwelt und letztlich auf den Menschen.” Das Bienensterben, welches in den letzten Jahren immer mehr zum Thema wurde, ist nur ein Aspekt dieser Entwicklung. „In Hollywood werden Katastrophen immer mit viel Tamtam und Explosionen inszeniert”, erklärt der Schlinser Biologe, „doch das Artensterben passiert ganz leise.” Deshalb sei sich der Mensch der vielfältigen Auswirkungen einfach nicht bewusst. Dabei ist Handeln ein Gebot der Stunde.
„Schneckendiät” schwächt die Igel
„Wenn wir nicht dafür sorgen, dass unsere Gärten Insekten, Vögeln und anderen Wildtieren für Zwischenstopps zur Verfügung stehen, nützen auch Nationalparks nichts, um das Artensterben zu bremsen.” Denn Tiere, die immer weitere Strecken zurücklegen müssen, um Nahrung zu finden, sind geschwächt, anfällig für Parasiten und Krankheiten. Ihre Jungen haben immer weniger Überlebenschancen. Davon ist auch der beim Menschen so gern gesehene Igel betroffen. „Wir sehen nur die toten Igel auf der Straße”, erklärt Paul Amann-Begle. „Dabei gibt es viel drastischere Anzeichen für sein Verschwinden.” Der Igel ernährt sich in unseren Gärten nämlich nur notgedrungen von Schnecken, wenn er nichts anderes findet. Um sich für den Winter eine ordentliche Fettreserve anzufressen, ist er eigentlich auf der Suche nach Insekten. „Das ist ungefähr so, wie wenn wir uns nur von Salat ernähren würden”, veranschaulicht der Biologe die Folgen der „Schneckendiät”. „Wenn die Jungen den Winter überhaupt überleben, sind sie geschwächt und von Parasiten befallen.” Es kommt also nicht von ungefähr, dass dieser stachelige Geselle in unseren Gärten immer seltener zu finden ist.
„In Schlins gab es bis vorletztes Jahr noch zwei Brutpaare des Gartenrotschwanzes”, nennt Paul Amann-Begle ein weiteres Beispiel. Dieser Heckenvogel ist eigentlich typisch für ländliche Gegenden wie den Walgau. Das Brutgebiet hat sich in den letzten Jahren nicht wirklich verändert. Der Biologe führt das Verschwinden dieses häufigen Gasts in unseren Gärten deshalb ebenfalls auf das immer dürftigere Nahrungsangebot zurück.
Zuviel Ordnung schadet
Der Mensch tut sich nichts Gutes, wenn er dem rasanten Insektensterben tatenlos zusieht. Denn Experten beobachten immer wieder, dass Schädlinge meist die besseren Überlebensstrategien haben, wenn sich die Umwelt verändert. Es sind oft die Nützlinge, die auf der Strecke bleiben. Gemeinsam mit seiner Familie hat sich Hobby-Imker Amann deshalb schon vor Jahren dazu entschlossen, den Garten mit möglichst vielen Lebewesen zu teilen.
Hecken bieten Vögeln und Insekten ein Zuhause
Das Rezept ist relativ einfach: Eine Hecke aus heimischen Sträuchern wie Hartriegel, Haselnuss, Holunder oder dem dekorativen Pfaffenhütchen bietet nicht nur Sichtschutz und das ganze Jahr über Genuss fürs Auge. Sie hält zudem Verstecke und Nistplätze sowie Futter für eine Vielzahl an Tieren bereit. Ein Faulbaum zieht Zitronenfalter magisch an – im Gegensatz etwa zur Thuje. Diese beliebte Heckenpflanze sondert nämlich Stoffe ab, welche der heimischen Tierwelt überhaupt nicht behagen. Grashalme und Stauden, die im Herbst nicht fein säuberlich gestutzt werden, nutzen Insekten ebenfalls gerne als Winterquartier, größeren Tieren bieten sie ein Versteck vor Feinden.
Ideal wäre, wenn man zumindest einen kleinen Bereich als „wildes Eck” sich selbst überlässt. Denn die Natur erobert sich diesen Bereich schnell zurück. Im Garten von Mirjams Schwester konnte Familie Amann-Begle dies gut beobachten. Vor drei Jahren wurde dort der Asphalt von einem Parkplatz abgetragen und nur eine dünne Humus-Schicht auf den Untergrund aus Schotter aufgebracht. Als Starthilfe diente eine Wildsamen-Mischung. „Und jetzt werfen wir jedes Mal ein paar Samen dazu, wenn wir von einem Spaziergang welche mitgebracht haben”, lacht Mirjam Begle. Schon im letzten Sommer beobachtete die Familie mit Erstaunen und Begeisterung, wie sich die ehemalige Asphaltfläche in ein Blumenmeer verwandelte. Wiesenkerbel, Lichtnelke, Margeriten, Mohn, Spitzwegerich, wilde Möhre, Honiggras und andere Wildblumen halten auch dann Nahrung für Insekten bereit, wenn im weiten Umkreis fast alles abgemäht ist und die Obstbäume verblüht sind. „Langfristig wird sich dann das durchsetzen, was für diesen Standort ideal ist”, vertrauen die Schlinser Naturfreunde auf die natürlichen Abläufe.
Schattenbaum sorgt für angenehmes Mikroklima
Mittendrin sorgt ein großer Spitzahorn im Sommer für ein lauschiges Schattenplätzchen, während das Licht im Winter ungehindert bis ins Wohnhaus gelangt. „Weil ein Baum zudem über die Verdunstung Wasser an seine Umgebung abgibt, sorgt er für ein angenehmes Mikroklima im Garten”, zählt Biologe Amann-Begle einen weiteren Vorteil des natürlichen Schattenspenders auf, der zudem meist deutlich billiger ist als jede Markise.
Er weiß auch, dass Dünger zwar das Wachstum einzelner Pflanzen befeuern kann, der Vielfalt aber auf jeden Fall entgegenwirkt. Trotzdem wird gerade in privaten Gärten immer noch viel zu viel auf die chemische Keule gesetzt. So mancher Gartenfreund erliegt außerdem dem Irrtum, dass doppelte Dosierung doppelten Erfolg verspricht. Das Gegenteil ist der Fall. „Langfristig vergiftet er seinen Gartenboden”, appelliert Biologe Amann-Begle an alle Gartenfreunde, mehr Geduld zu zeigen und auf die Natur zu vertrauen. Außerdem unterscheiden Pestizide nicht zwischen Schädlingen und Nützlingen.
Für den Gärtner, der auf Vielfalt setzt, erledigt sich hingegen so manches Problem ganz von allein. „Wir hatten anfangs mit Ameisen zu kämpfen”, erzählt Paul Amann-Begle. Seit aber die Wegfugen rund ums Haus von Pflanzen besetzt sind, hat sich jede Maßnahme erübrigt.
„Versiegelung” raubt Lebensraum
Generell sollte man sich gut überlegen, ob die Flächen rund ums Haus asphaltiert werden müssen. „Österreich ist in dieser Hinsicht ohnehin Weltmeister. Jeden Tag wird eine Fläche versiegelt, die 31 Fußballfeldern entspricht”, zählt der Biologe eine weitere Ursache für das Artensterben auf. „Dabei bedeutet das achtlose Zuschütten eines kleinen Grabens manchmal das Aus für eine Art, die genau auf solche Biotope angewiesen ist”, appelliert er für einen
achtsameren Umgang mit den natürlichen Lebensräumen. Er selbst hat einen kleinen Teich im Garten angelegt, der von Sauergräsern fast überwuchert ist. Der Libellen-Experte weiß, dass Libellen solche Biotope als Zwischenstationen und zur Jagd gerne annehmen. „Wer auf Vielfalt setzt, bekommt im Garten oft sogar absolute Besonderheiten zu Gesicht”, freut sich Paul Amann-Begle, dass ihn etwa eine Winterlibelle besucht hat. Diese Arten überwintern als erwachsenes Tier und haben daher im Frühjahr einen Startvorteil bei der Fortpflanzung.
„Man spart sich den Psychotherapeuten.”
Familie Amann-Begle schätzt ihren Garten nicht nur als Rückzugsort und Lieferant für gesundes Obst und Gemüse. „Wenn man Tiere und Pflanzen anschaut, wird man einfach zufrieden und spart sich den Psychotherapeuten”, sind sie überzeugt, dass sie auch persönlich von ihrer „Wildnis” profitieren. Aus ihrer Sicht spricht also alles für etwas Unordnung und fürs „Faulsein” im Garten.