Glückskind mit vielen Talenten

Autorin Nadine Kegele hat in ihrem Leben schon einiges geschafft: Bürolehre, Jobs als Nachtsekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei und als Mediaeinkäuferin in einer Werbe­agentur, Studienberechtigungsprüfung, Hochschulstudium, Schriftstellerei…. 2013 holte sie beim renommierten Ingeborg Bachmann Wettbewerb den Publikums­preis. allerhand! traf die Sprachkünstlerin kurz vor der Präsentation ihres neuen Buches.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, LITERATURHAUS WIEN

Das Schreiben ist der gebürtigen Bludenzerin nicht in die Wiege gelegt. Obwohl sie immer schon davon träumte, Schriftstellerin zu werden, hat sie in ihrer Jugend kaum gelesen, war eher ein „Fernsehkind”. In der Pubertät begann sie, romantische Geschichten niederzuschreiben, von der Entwicklung eines eigenen Stils oder gezielten Formulierungen noch keine Spur. „Ich habe erst mit zwanzig Jahren wirklich angefangen zu lesen, als ich die Wiener Buchhandlungen entdeckte”, berichtet Nadine Kegele. Dabei weiß sie heute: 

„Das Schreiben kommt mit dem Lesen.”

Relativ früh war sie sich sicher, dass sie aus Vorarlberg weg wollte. Ihre Familie zog oft um. Als „Zuagraste” mit wenig Geld und alleinerziehender Wiener Mutter standen die Kegeles immer wieder im Mittelpunkt des Klatschs. „So habe ich es jedenfalls empfunden. Heute wäre das sicher anders. Alleinerzieherinnen sind ja nicht mehr so selten wie in den 1980ern”, hat sie für sich erkannt. Die Freundinnen und deren Familien waren ihr damals ein wichtiger Halt. 

Eine Freundin war es auch, die ihre Berufswahl maßgeblich beeinflusste. „Eigentlich wollte ich ja bei Heinzle´s Erben die Lehre zur Buchhändlerin machen”, erinnert sich Nadine Kegele zurück. Weil sich Ivonne nicht alleine bei den Illwerken bewerben wollte, begleitete sie die Freundin. Beide Mädchen wurden genommen und zu Bürokauffrauen ausgebildet. Das Schicksal hielt noch einige weitere Umwege für sie bereit, bis Nadine Kegele dann doch bei den Büchern landete.  

Ihr Ziel, in die Welt zu ziehen, verfolgte sie allerdings konsequent. An ihrem letzten Tag in der Berufsschule surfte sie im Internet, um sich in Wien einen Job zu suchen. Sie bewarb sich für eine Stelle als Sekretärin einer Werbeagentur und wurde prompt genommen. Anfang Juli 1998 schloss sie ihre Lehre ab, Ende Juli lebte sie bereits in Wien. „Eine Super-Stadt, es hat sich für mich noch nie die Frage gestellt, ob ich woanders hingehe”, schwärmt sie zwanzig Jahre später.  

„Du schaffst das.”

Ihr erster Chef in der Bundeshauptstadt erwies sich als großer Förderer. Als die Sekretärin bekannte, dass sie „theoretisch gerne Literatur studieren würde”, finanzierte er ihr die Studien­berechtigungsprüfung, obwohl ihm klar sein musste, dass sie sein Unternehmen danach verlassen würde. „Das Geld hätte ich damals einfach nicht gehabt. Vor allem aber hat er mich emotional bekräftigt”, ist Nadine Kegele heute noch dankbar. „Ich dachte damals, dafür muss man wahnsinnig intelligent sein.” Der damaligen Sekretärin fehlte es an Selbstwertgefühl, doch ihr Chef war sich sicher: „Du schaffst das.” – Und behielt recht. 2004 begann Nadine Kegele, Germanistik zu studieren. Weil es gut mit den Vorlesungsterminen in Einklang zu bringen war, heuerte sie als Nachtsekretärin bei einer großen Rechtsanwaltskanzlei an. Damals hatte das Hauptpostamt in Wien noch die ganze Nacht offen. Ihre Aufgabe war es, eilige Schriftsätze vom Band oder nach Diktat abzutippen und sofort zur Post zu bringen. 

Gender Studies als Schwerpunkt

Als Schwerpunkte ihres Studiums wählte sie Theaterwissenschaften und Gender Studies – ein Thema, das sie bereits seit 15 Jahren beschäftigt. „Bei der Einführungsvorlesung wurde mir vieles klar”, bekennt sie. Als Kind hatte sie gedacht, dass ihre Mutter sie eben weniger mag als ihre Brüder, wenn sie das Mädchen zur Hausarbeit oder zum Kinderhüten verpflichtete. Im Hörsaal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: „Das ist nicht Privatsache, sondern das Rollenverständnis, wenn man traditionell erzieht.”

Die Geschlechterrollen, Beziehungen zwischen Mann und Frau sowie sexuelle Übergriffe sind denn auch häufig Thema der Texte, die sie für verschiedene Zeitschriften und Buchprojekte verfasst. „Lieben muss man unfrisiert” bezeichnet sie als ihr wichtigstes Buch. „Dabei ist das Ausgangsmaterial eigentlich von anderen Leuten!” Nadine Kegele hat dafür 19 Frauen und Transpersonen unterschiedlichsten Alters und in verschiedensten Lebenssituationen interviewt. 

Arbeit mit Flüchtlingen ist sinnstiftend

Gerne beschäftigt sie sich aber auch mit Flucht und den Vorurteilen gegenüber anderen Kulturen. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitet sie bei der Volkshochschule als Basisbildungstrainerin. Es sind unter anderem Menschen aus Afghanistan, die aus Geldmangel oder wegen des Krieges nie eine Schule besuchen konnten, welche sie in Deutsch, Mathematik und im Umgang mit dem Computer schult. Wenn diese bekennen, „jetzt verstehe ich erst, was meine Kinder bei der Hausübung machen”, ist dies eine große Genugtuung für die Schriftstellerin, die das Glück hat, in einer gemeinnützigen Siedlung in Grinzing zu leben. Durch die geringeren Mietkosten als in Wien üblich hat sie mehr Luft für ihre künstlerische Arbeit. Zwar könnte sie  – trotz zahlreicher Auszeichnungen und Stipendien – vom Schreiben nicht dauerhaft leben, doch der Job als VHS-Trainerin ist „eine sinnstiftende Arbeit”, an der sie auch die freie Zeiteinteilung schätzt. Und viele Erlebnisse fließen in ihre Bücher ein. 

Kritischer Blick auf die Gesellschaft

Ihr neuestes Werk liegt seit rund einem Monat in den Buchhandlungen auf. „Und essen werden wir die Katze” ist eine Sammlung an unterschiedlichsten Texten, in denen sie sich kritisch mit aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft auseinandersetzt, aber auch Collagen aus alten Fotos, Zeichnungen, mit Stickereien aus rotem Faden betont. Wenn sich etwa die alte Frau aus Angst vor den Fremden im Asylheim gleich gegenüber immer mehr isoliert, sinniert sie vor sich hin: „Der Anni ihre Enkelin ist aber auch so eine schöne Frau. Die könnte Laufsteg. Die müsste nicht in die Dritte Welt. Aber es ist was Wahres dran: Wenn wir vor Ort helfen, werden wir hier nicht überrannt.” Meist jedoch nimmt Nadine Kegele die Perspektive jener ein, die in der Heimat keine Perspektive mehr hatten und nun in einer fremden Welt zurechtkommen müssen. Sie beobachtet die Kinder, die sie unterrichtet, und erkennt: „Syrien ist heimlich in Polen verliebt.” Sie spielt mit Worten, macht es den Lesern nicht immer leicht. 

Texte sind auch komisch
Am 17. Oktober präsentierte Nadine Kegele ihr neuestes Buch im Literaturhaus Wien.

Dass ihre Bücher oft schwierig zu lesen sind, hört sie allerdings nicht gern. „Das ist nicht demokratisch”, erinnert sie sich an ihren eigenen Bildungsweg. „Aber es macht nichts, wenn man nicht alles genau versteht. Hauptsache, man ist mit der Stimmung dabei”, lautet ihr Anspruch. Wer findet, dass ihre Bücher traurig und schwer sind, dem empfiehlt sie, zu einer Lesung zu kommen. „Denn die Texte sind auch komisch.” Das versucht sie mit der Art, wie sie liest, herauszustreichen. 

Zurzeit arbeitet Nadine Kegele an einem Theater­stück für das Walk-Tanztheater. Es geht um das Schicksal von Therese Zauser. Die Feldkircherin zog einst als Tänzerin durch die Welt, als eine unbedachte Äußerung sie ins Visier der Nazis brachte. Sie wurde im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet. Die Recherchen dafür werden sie in nächster Zukunft öfter nach Vorarlberg führen. Doch inzwischen kommt sie gerne, ist nur nicht mehr gewohnt, auf Bus-Zeiten zu achten, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. 

„Ich war ganz oft ein Glückskind”, resümiert Nadine Kegele, „habe immer wieder Menschen getroffen, die an mich geglaubt haben.” Ihr Lebensweg soll anderen Mut machen, ihre Träume zu verwirklichen. Das ist auch ein Grund, warum sie nie unter einem Pseudonym veröffentlicht hat. „Die Leute sollen wissen: 

Die Nadine hat es geschafft.”
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