„Der Bedarf an Pflegebetten ist bis 2020 gedeckt”, konnte Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker bei einer Pressekonferenz zum Jahresanfang vermelden. 51 Pflegeheime gibt es derzeit im Land. Die Kosten dafür sind – trotz hoher Beiträge ihrer 2.380 BewohnerInnen – enorm. Noch viele weitere Millionen für zusätzliche Pflegeheime wären aber notwendig, würde es nicht das Angebot der 24-Stunden-Pflege geben. Hauptsächlich Frauen aus den früheren „Ostblockländern“ leisten diese Arbeit: Gut und günstig. Noch.
Donnerstag, 17 Uhr, vor der Vorarlberghalle in Feldkirch. Eva Bretan wartet mit ihren zwei Koffern und einigen Kolleginnen auf den Bus. Drei Wochen hatte sie durchgehend „Dienst” bei einer 82jährigen Vorarlberger Frau. Jetzt geht es ab nach Hause, in ein 2.200 Kilometer entferntes kleines Dorf im Norden Rumäniens.
Eva ist eine von derzeit 2.600 in Vorarlberg gewerberechtlich als „Selbstständige Personenbetreuerinnen” registrierte 24-Stunden Pflegerin. Für die Vermittlung der Arbeitsstellen, die Abwicklung der Behördengänge, den Transport etc. setzen die allermeisten davon auf die Zusammenarbeit mit Vermittlungsagenturen, die dafür einen Teil des Betreuungslohnes erhalten.
Der von zwei Männern gelenkte Kleinbus mit dem Logo der Firma „Cura Domo” kommt nach rund 30stündiger Anfahrt pünktlich an. Cura Domo ist seit mehr als zehn Jahren österreichweit für die Vermittlung und Betreuung der 24-Stunden Pflegerinnen aktiv. In Vorarlberg gehört sie mit derzeit rund 160 betreuten Klienten zu den führenden Anbietern.
Mag. Jürgen Schuster, Regionalleiter der Vermittlungsagentur in Vorarlberg, begrüßt die „Neuen”, von denen die meisten schon wissen, wohin die weitere Fahrt führt. Marika Rizmisczenko etwa erzählt, dass sie sich schon sehr auf „ihre Frau Schwarz” (*Name geändert) freut, die sie schon seit einem halben Jahr im Drei-Wochen Rhythmus und abwechselnd mit einer Kollegin betreut.
Anders Corina Cigan: Für sie ist es der erste von Cura Domo vermittelte Einsatz. Zuvor hatte sie drei Jahre lang mit einer anderen Agentur gearbeitet. „Bei Cura Domo bleibt mir deutlich mehr Lohn übrig”, freut sich Corina. Das Durchschnittseinkommen in Rumänien liegt bei 426 Euro*. In Vorarlberg können die Pflege-Engel aus dem Osten pro Monat und je nach Qualifikation mit 1.100 bis 1.300 Euro rechnen. Corina ist ausgebildete Krankenschwester mit zwanzig Krankenhaus-Dienstjahren und wird daher im oberen Bereich dieser Verdienstmöglichkeiten landen. Ihr erster Cura-Domo Einsatz wird sie nach Schwarzenberg führen. „Aha. Und wo ist das?”
Das Kofferladen, Ein- und Aussteigen, die Begrüßungs- wie Abschiedsszenen dauern nicht lange. Der Bus wartet nur noch auf Eva Brentan, mit der wir uns zu Beginn unterhalten hatten: Sie verabschiedet sich von Leontin. Es ist ihr Ehemann, dem jetzt drei Wochen Betreuungsdienst im Walgau bevorstehen, während seine Gattin wieder die Betreuung ihrer gemeinsamen drei Kinder in Rumänien übernehmen wird. Für Liebesszenen ist vor der Vorarlberghalle weder der geeignete Platz, noch Zeit. Eine Umarmung, ein Bussi und ab geht es nach Hause.
„Die Frauen und Männer verdienen hier relativ gutes Geld, aber einfach ist es schon nicht”, zeigt Jürgen Schuster Mitgefühl mit Eva, die ihrem Mann mit feuchten Augen aus dem abfahrenden Bus zuwinkt. „Wir achten sehr darauf, dass unsere Klienten bestmögliche Betreuung erhalten und vermitteln daher nur ausgebildete Kräfte mit guten Deutschkenntnissen”, erklärt er. „Uns ist aber auch wichtig, dass sich die Helferinnen hier wohlfühlen.”
„Kummertante” für Kunden und Mitarbeiter
Einen sehr großen Beitrag dazu leistet Marta Burghardt. Die gebürtige Ungarin wohnt seit zwei Jahren in Thüringen. Mit ihren umfassenden Sprachkenntnissen ist sie erste Ansprechpartnerin und „Kummertante” für die Personenbetreuerinnen aus Osteuropa. „Marta leistet aber auch organisatorisch hervorragende Arbeit”, lobt Schuster.
Aus dem Management in der Privatwirtschaft kommend, hat der gelernte Betriebswirt aus Rankweil über seinen von Geburt an unter einem seltenen Gendefekt leidenden und inzwischen verstorbenen Sohn Benni den Weg zum Pflegemanagement gefunden. „Ich weiß, was es bedeutet, einen geliebten Menschen Tag und Nacht betreuen zu müssen. Ohne Hilfe geht das auf Dauer einfach nicht”, erinnert er sich: Auch daran, dass er und seine Frau das lange nicht wahrhaben wollten.
„Diesen Fehler machen viele Menschen, die sich um ihre Angehörigen kümmern”, erklärt Schuster. Man verzichtet auf Hilfsangebote – oft so lange, bis die pflegenden Angehörigen selber körperlich und seelisch am Rande stehen. „Dabei gibt es gerade in Vorarlberg ein dichtes und vielfältiges Netz an Hilfsangeboten”, betont Jürgen Schuster. Die Krankenpflegevereine und Mobilen Hilfsdienste leisten hervorragende Arbeit, dazu gibt es auch in den Pflegeheimen Betten für die Kurzzeitpflege oder Urlaubsbetten und viele weitere Angebote zur Unterstützung pflegender Angehöriger.
Wenn diese Unterstützung nicht mehr reicht, dann bleibt der Gang in das Pflegeheim oder eben die 24-Stunden-Hilfe. „Die allermeisten alten Menschen bleiben lieber zuhause”, weiß Schuster. Auch die Kosten sind ein Argument für die Betreuung zuhause – ein Pflegeplatz im örtlichen Heim ist oft doppelt so teuer.
Bis zu 2500 Kilometer Anreise
Die Betreuerinnen aus Osteuropa sind in der Regel drei Wochen durchgehend im Einsatz, fahren dann – bis zu 2500 Kilometer – nach Hause und werden von einer Kollegin abgelöst. Private Firmen wie die Cura Domo bieten „Rundumservice” sowohl für die Helferinnen, als auch für die Klienten. Man berät über mögliche Unterstützungen, hilft bei der Antragstellung und unterstützt auch bei sonstigen Behördengängen, von denen die Klienten bzw. deren Angehörige nicht wenige zu absolvieren haben.
„Vor allem können wir aber die lückenlose Betreuung der Klienten garantieren”, betont Schuster. Und dabei sind durchaus Managerqualitäten gefragt.
Zum Pflegefall kann man nämlich sehr schnell werden: Nach einem Sturz oder einer Operation können wichtige Körperfunktionen von heute auf morgen ausfallen und dann eine zeitweise oder dauerhafte Betreuung notwendig machen. Für solche Notfälle sind Schuster und Marta Burghardt gerüstet. Sie können über den österreichweit agierenden Betrieb auf einen Pool von rund tausend Personenbetreuerinnen zurückgreifen können.
„Wir rufen dann aber nicht irgendjemanden, der gerade verfügbar ist, sondern bemühen uns um Betreuungskräfte, welche das jeweils notwendige Knowhow mitbringen”, erklärt Schuster. In einem intensiven Gespräch mit dem Klienten und Angehörigen werden die jeweiligen Anforderungen ermittelt. „Unsere Mitarbeiterinnen haben alle eine sprachliche und pflegerische Grundausbildung. Die meisten haben in unserer eigenen Akademie in Wien-Schwechat darüber hinaus Zusatzausbildungen absolviert. Und für uns arbeiten auch diplomierte Krankenpflegerinnen”, so Schuster. Ganz wesentlich ist aber auch, dass die „Chemie” zwischen Betreuerinnen und Klienten passt. Es kommt zwar selten vor – aber wenn Klienten und die zugewiesene Pflegerin „nicht miteinander können”, wird ein Wechsel vorgenommen.
Große Nachfrage
Die Nachfrage nach 24-Stunden-Betreuerinnen ist groß: Nicht nur in Vorarlberg. Auch in den anderen Bundesländern, in Deutschland und der Schweiz setzen viele Angehörige auf die Betreuung durch die Pflege-Engel aus dem Osten. Dazu kommt, dass der Lebensstandard in der Slowakei und in Polen, von wo vor etwa 15 Jahren die meisten der ersten Betreuerinnen gekommen sind, inzwischen deutlich angestiegen ist. Der Lohnunterschied ist nicht mehr so hoch und auch der Bedarf an Pflegehilfe im eigenen Land ist mittlerweile angestiegen. Die meisten der Betreuerinnen stammen inzwischen aus Ungarn und Rumänien, die Suche nach neuen Kräften ist mittlerweile auf Bulgarien, die baltischen Staaten und die Ukraine ausgedehnt.
Der Aufwand für dieses „Headhunting” und die Ausbildung der Nachwuchskräfte ist daher tendenziell steigend, was sich letztlich auch auf die Kosten für die Betreuung auswirkt. Die 24-Stunden-Betreuung werde aber trotzdem noch lange Zeit wesentlich günstiger sein als der Aufenthalt im Pflegeheim, glaubt Schuster. Und für Agenturen wie die Cura Domo bleibt angesichts der immer älter werdenden Menschen auch langfristig viel zu tun.
Selbstständige „Einzelkämpfer”
Zwar gibt es immer wieder Personenbetreuerinnen, die – um Kosten zu sparen – auf die Dienste der Agenturen verzichten und als selbstständige „Einzelkämpferinnen” arbeiten. Jürgen Schuster hat dafür prinzipiell Verständnis und auch Respekt vor den mutigen Unternehmerinnen. Für ihn und die anderen Agenturen ist das andererseits ein Problem, weil sie für die Frauen, in deren Ausbildung sie nicht wenig investiert haben, wieder Ersatz suchen müssen.
Vor allem aber können die „Einzelkämpferinnen” für ihre Klienten und deren Angehörige zum Problem werden. Wenn sie sich etwa – um weitere Kosten zu sparen oder aus Unwissenheit – nicht korrekt anmelden, kann diese Schwarzarbeit teuer zu stehen kommen.
„Und was ist, wenn diese Person durch Krankheit, einen Unfall oder wegen eigener Familienangelegenheiten von einem Tag auf den anderen nicht mehr verfügbar ist?”, stellt Schuster eine für die Klienten bzw. deren Angehörige wichtige Frage in den Raum.
Pflegeheime in Vorarlberg: 51
BewohnerInnen: 2.380, 70 % Frauen, 30 % Männer
Durchschnittsalter bei Eintritt ins Pflegeheim: rund 81 Jahre
24-Stunden-Betreuung*: rd. 2.100 Personen
registrierte gewerbliche „PersonenbetreuerInnen“:
ca. 2.600, davon 93 % Frauen, 7 % Männer
*nach §21b BPGG geförderte Menschen ab Pflegestufe 3 und höher
*(Quelle: EURES, Stand November.2015)
Fotos: Fotolia / Ingo Bartussek, TM-Hechenberger, Cura Domo