Landkärtchen

Die Wilde Möhre gehört zu den bevorzugten Futterpflanzen des Landkärtchens.

Das Landkärtchen führt Schmetttterlings-Freunde gerne in die Irre. Weil die Frühlings-Generation sich deutlich von der Herbst- Generation unterscheidet, dachte man lange, es handle sich um zwei Arten.

FOTOS: GERALD SUTTER, TM-HECHENBERGER BUND-NRW-NATURSCHUTZSTIFTUNG.DE/W. SCHÖN

Insekten sind oft wenig erforscht. Das zierliche Landkärtchen bildet in dieser Hinsicht eine ziemliche Ausnahme. Der kleine Falter hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als sich Anfang des 19. Jahrhunderts zweifelsfrei herausstellte, dass sich die Angehörigen verschiedener Generationen optisch stark unterscheiden. Die Flügel jener Falter, die als Puppen überwintern, sind deutlich heller und sehen völlig anders aus als die ihrer Nachkommen in derselben Saison. Allerdings dauerte es einige Zeit, bis man sich diesen Umstand erklären konnte.

Kaum zu glauben, dass es sich bei diesen zwei Schmetterlingen unten um Zugehörige derselben Art handelt. Jene Falter, die als Puppen überwintern und dann im nächsten Jahr früh schlüpfen, sind deutlich heller und kleiner als die Nachkommen im Sommer.

„Es gibt eigentlich nur drei Faktoren, die Einfluss auf die Entwicklung haben können”, erklärt der Mitarbeiter des Bereichs Forschung und Wissenschaft der inatura Dornbirn, Dr. Georg Friebe: „Temperatur, Licht und Feuchtigkeit.” Im Falle des Landkärtchens stellte sich heraus, dass es einen Unterschied macht, ob die Raupe sich an langen Tagen im Juni oder im deutlich lichtärmeren Frühherbst entwickelt. Die Forscher haben im Labor sogar Falter-Varianten gezüchtet, die in der Natur gar nicht vorkommen, indem sie die Lichtmenge während ihres Raupenstadiums entsprechend dosierten. In Vorarlberg galt der zierliche Falter mehr als fünfzig Jahre lang als ausgestorben. 2009 wurde er dann erstmals wieder nachgewiesen und breitet sich seither ordentlich aus. „Es gibt Nachweise bis in eine Höhe von 1200 Metern”, weiß Dr. Friebe. Bevorzugt besiedelt das Landkärtchen allerdings die Talregionen im ganzen Land. Warum der Falter über Jahrzehnte verschwunden war und dann doch wieder auftauchte, ist nicht geklärt. Dr. Friebe vermutet, dass es damit zusammenhängt, dass die Landschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hierzulande allzu oft besonders ordentlich sein musste und sogar die Waldränder „aufgeräumt” wurden. Danach habe langsam ein Umdenken eingesetzt.

Kinderstube in den Brennnesseln

Denn das Landkärtchen braucht Brennnessel-Stauden an halbschattigen, feuchten Standorten, um sich fortzupflanzen. Die weiblichen Tiere kleben durchschnittlich 60 Eier an die Unterseite von Brennnessel-Blättern, die den Raupen später als Nahrung dienen. Dies geschieht äußerst sorgfältig. Ei für Ei konstruiert die Schmetterlings-Dame kleine Säulen, die im rechten Winkel vom Blatt abstehen. Wenn das Wetter mitspielt – eine hohe Luftfeuchtigkeit ist in diesem Stadium überlebenswichtig – schlüpfen die Raupen nach zirka zehn Tagen. Bis sie alt genug sind, sich zu verpuppen, häuten sie sich vier Mal. Die Verwandlung der dunklen, bedornten Raupen in einen bunten Falter benötigt noch einmal 14 bis 18 Tage. Sobald die Flügel nach zwei bis drei Stunden gut getrocknet sind, flattert das Landkärtchen von Blüte zu Blüte, um sich am Nektar von Giersch, Wasserdost oder Wiesenkerbel beziehungsweise Wilder Möhre, Bibernelle oder Gartenminze zu laben und sich wiederum fortzupflanzen. Die Raupen, die jetzt im Spätsommer noch zu entdecken sind, werden in ihren Stürzpuppen überwintern, um dann nächstes Jahr von April bis Juni die nächste Schmetterlingsgeneration zu zeugen.

In Acht nehmen müssen sich Raupen und Falter vor Parasiten, Vögeln und Spinnen. „Ihr größter Feind ist und bleibt allerdings der Mensch, indem er den Lebensraum von Insekten immer mehr einschränkt”, erklärt Dr. Georg Friebe. Wie alle der insgesamt 2500 verschiedenen heimischen Falterarten ist das Landkärtchen auf blühende Blumenwiesen und ein bisschen Wildnis angewiesen. Dr. Friebe freut sich deshalb über die Rückkehr des Landkärtchens nach Vorarlberg.


Dr. Georg Friebe hat in Graz Paläontologie und Geologie studiert. Er arbeitet seit 1993 für die Vorarlberger Naturschau beziehungsweise die inatura in Dornbirn im Bereich Forschung und Wissenschaft. In Zusammenarbeit mit Kollegen hat er kürzlich mitgeholfen, die „Rote Liste” der heimischen Schmetterlinge zu aktualisieren.


Bei der Dokumentation und Forschung sind die Wissenschaftler übrigens dankbar für Hinweise aus der Bevölkerung. Wer sich gerne an der Tagfalterzählung beteiligen würde, ist bei der intatura jederzeit herzlich willkommen. Eine E-Mail an petra.schattanek@hotmail.com genügt.



(ARASCHNIA LEVANA)

Die feinen Linien an der Flügelunterseite haben dem Landkärtchen seinen deutschen Namen eingebracht, während die lateinische Bezeichnung auf Levana, die römische Schutzgöttin der Neugeborenen zurückzuführen ist. Der zierliche Schmetterling ist in ganz Europa weit verbreitet, er kommt auch in Mittelasien bis nach Korea und Japan vor. Während es in vergangenen Jahrhunderten immer wieder aus verschiedenen Gebieten verschwand, gehört das Landkärtchen heute zu den wenigen Falterarten, die ihr Territorium stark ausbreiten – und zwar sowohl nach Süden als auch nach Norden. Die starke Zunahme dieser Art kann deshalb nichts mit der Klimaerwärmung zu tun haben.

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