Lernen fürs Leben

Im Rahmen von zwei Projekttagen gingen die Erstklässler an der Mittelschule Frastanz der Frage nach, was Geld eigentlich ist.

Wirtschaft spielt in viele Bereiche menschlichen Lebens. Das Wissen um Geldpolitik, Preisentwicklungen, Unternehmertum und berufliche Möglichkeiten soll deshalb verstärkt im Schulalltag an Mittelschulen und an den Unterstufen der Gymnasien verankert werden. 60 Bildungseinrichtungen in ganz Österreich nehmen als „Pilotschule Wirtschaftsbildung” in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle ein. In Vorarlberg konnten drei Mittelschulen – jene in Bludenz, Frastanz und Ludesch – mit ihren Konzepten überzeugen.

FOTOS: VMS BLUDENZ, VMS FRASTANZ, SFGL LUDESCH, TM-HECHENBERGER

„Wir haben schon vor zwei Jahren das Motto ‚Fit fürs Leben‘ ausgerufen, der Schulpilot Wirtschaftsbildung passt da perfekt rein”, freut sich Direktorin Beate Graß von der Mittelschule Bludenz über die Fortbildungs- und Workshop-Angebote sowie Unterrichtsmaterialien, mit welchen die Stiftung Wirtschaftsbildung die Pilotschulen unterstützt. Sie gehört seit 1991 zum „Urgestein” an dieser Bildungseinrichtung und zeichnet seit 2011 für die Leitung verantwortlich. „Viele unserer Schüler starten sofort nach dem Schulabschluss ins Berufsleben”, erklärt sie. Entsprechend viel Zeit widme man vor allem in der siebten Schulstufe dem Thema Berufs­orientierung. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, ihre Stärken und Schwächen realistisch einzuschätzen, und möglichst viele Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernen. „Schließlich können allein in Vorarlberg mehr als 200 verschiedene Lehrausbildungen absolviert werden und Jugendliche kennen oft nicht einmal die genaue Jobbezeichnung ihrer Eltern.” Beate Graß hat immer ein offenes Ohr, wenn Jugendliche in Firmen „schnuppern” wollen, und stellt sie dann vom Unterricht frei. Denn: „Im Idealfall haben unsere Schüler bereits Kontakte zu Firmen geknüpft, wenn sie uns verlassen.” 

Obwohl die Bewerbung aufwendig war und die Dokumentation während der vierjährigen Pilotphase einige Arbeit in Anspruch nimmt, sieht sie das verstärkte Engagement als Pilotschule in Sachen Wirtschaft absolut positiv. „Um fit fürs Leben zu sein, sollte man schließlich auch mit Geld umgehen können.” Das Fach wird zwar möglicherweise weiterhin „Fit fürs Leben” heißen – an der Mittelschule Bludenz steht Wirtschaftsbildung aber künftig jede Woche in einer Unterrichtsstunde auf dem Programm. 

An der Mittelschule Frastanz wird dafür im Stundenplan ebenfalls Zeit eingeräumt. „Wir streichen eine zusätzliche Deutsch-Stunde, die wir vor einigen Jahren eingeführt haben”, erklärt Markus Böck, der auch „schon ewig” in Frastanz unterrichtet und seit zwei Jahren als Direktor verantwortlich zeichnet. „Man kann schließlich auch anhand von Wirtschafts-Themen Deutsch lernen.” Mit dem zu Ende gehenden Schuljahr läuft die Projektphase aus, in der die Angebote der Stiftung Wirtschaftsbildung von den vierzig Erstklässlern vor allem im Rahmen des vertieften Geografie-Unterrichts genutzt werden, ab kommendem Herbst steht die Wirtschaftsbildung dann fix in ihrem Stundenplan. „Wir haben nach etwas gesucht, das die Persönlichkeitsbildung fördert”, erklärt Dir. Böck den Beweggrund für die Bewerbung. Berufsorientierung und Finanzführerschein sind schon seit Jahren wichtige Pfeiler im Schulalltag. „Das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge hilft unseren Schülerinnen und Schülern weiter, wenn sie eine Lehre beginnen oder in eine weiterführende Schule, etwa mit kaufmännischem Schwerpunkt, wechseln”, freut sich Markus Böck, dass nun zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Dadurch können die Bemühungen weiter verstärkt und – vor allem – die Ergebnisse evaluiert werden. Denn die Pilotschulen werden wissenschaftlich begleitet, sodass nach der vierjährigen Projektphase Bilanz gezogen werden kann. Schließlich geht es ja auch um die Frage, ob diese Art der Wirtschaftsbildung nach Ablauf der Pilotphase österreichweit in die Stundentafel aufgenommen wird. 

Bewirk was! – Konkrete Projekte umsetzen

„Viele Jugendliche sind sehr interessiert an Wirtschaftsthemen”, beobachtet Susanne Krämer-Alge, welche die Schule für globales Lernen – eine private katholische Mittelschule mit gut sechzig Schülern – in Ludesch seit drei Jahren leitet. Sie hat die bisherigen Abgänger jeweils kurz vor Schulschluss darüber befragt, wie gut sie sich aufs Leben vorbereitet fühlen und was sie sonst noch gerne gelernt hätten. „Wirtschaftsfragen – zum Beispiel Buchhaltung, Finanzen oder Mietverträge  – waren auf diesen Feedback-Bögen sehr oft Thema”, berichtet sie. Auch Geld und Politik wurden mehrfach genannt. Die Direktorin ist sehr froh darüber, dass das Kollegium durch die Angebote der Stiftung Wirtschaftsbildung nun verstärkt auf einige dieser Fragen eingehen kann. 

Schon bisher wurden Wirtschaftsthemen – wann immer möglich – im Unterricht berücksichtigt. So gibt es an der Schule für globales Lernen etwa jedes Schuljahr Trimesterthemen, zu denen in allen Fächern über mehrere Monate hinweg gearbeitet wird. Unter dem Motto „Made in…” beschäftigen sich etwa aktuell die Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Schulstufe intensiv damit, woher unsere Konsumgüter stammen, wie sie erzeugt werden und wie sie in unsere Läden oder in unsere Haushalte kommen. Die Jüngeren spürten von Jahresbeginn bis Ostern der Frage nach „Wem gehört das Wasser?“ Sämtliche Arbeiten zum Trimesterthema werden jeweils in einem Portfolio gesammelt und beim „Tag des offenen Klassenzimmers“ den Eltern präsentiert.

Die Schule für globales Lernen hat sich dagegen entschieden, ein eigenes Schulfach Wirtschaftsbildung einzuführen und wird die Inhalte – ihrem reformpädagogischen Konzept entsprechend – in Form von Projekten praxisnah vermitteln. 

Die Schülerinnen und Schüler können in dieser Hinsicht bereits einige Erfahrungen vorweisen. So haben die Fünft- und Sechststüfler etwa im letzten Dezember viel Zeit und Energie in die Organisation des „Christkindlpostamts” gesteckt, welches zum zweiten Mal viele Familien anlockte. „Wir haben mit Design Thinking-Methoden einen Projektplan entwickelt, Einsatzpläne ausgearbeitet, Kosten ermittelt, Preise kalkuliert, Requisiten und Kostüme organisiert, Dekorationen gebastelt, Schilder gemalt, Kekse gebacken und, und, und”, berichtet Brigitte Rambichler-Praxmarer. Die langjährige Pädagogin ist überzeugt davon, dass Jugendliche am konkreten Tun nicht nur besonders viel Freude entwickeln, sondern auch besonders gut lernen. 

„Wir haben lange überlegt, wie viel Geld wir für die Kekse und Nusssäckchen verlangen sollen, die wir verkauft haben”, berichtet David Lins. Seine Klassenkameraden und er entschieden sich nach längeren Diskussionen dazu, auf freiwillige Spenden zu setzen. „Das Risiko hat sich ausgezahlt”, strahlt der Schüler. „Viele haben sehr viel gegeben.” Da fiel es nicht ins Gewicht, wenn ein paar wenige Besucher sich bedienten, ohne eine adäquate Gegenleistung zu erbringen. Aktuell steckt die Schule für globales Lernen in den Vorbereitungen für den Klimamarkt der Regio Im Walgau in Ludesch. „Wir werden ein Kinderprogramm organisieren und Second Hand-Kleidung unter dem Motto ‚Gib dein Bestes‘ verkaufen”, verrät Pädagogin Brigitte Rambichler-Praxmarer. David freut sich jetzt schon riesig auf seinen Einsatz am Marktstand.

In jeder Schulstufe steht zudem ein Nachmittag pro Woche unter dem Motto „Bewirk was!” Die Jugendlichen sind angehalten, konkret etwas umzusetzen, was in ihrem Umfeld eine Verbesserung bringt. Aktuell arbeiten beispielsweise zwei Mädchen an einem Jugendmagazin, in dem sie über Umweltthemen informieren, eine andere Gruppe bemühte sich um eine Überdachung an der Bushaltestelle. 

Marktstand am Herbstmarkt

Solche konkreten Projekte schätzen auch die Jugendlichen in Frastanz und Bludenz. „Als unsere Schüler zum Elternsprechtag ein kleines Café einrichten wollten, hatten sie die Idee, die Preise an die Fluktuation anzupassen”, lacht Markus Böck. Der Direktor musste einige Überzeugungsarbeit leisten, um die Jugendlichen von ihrer dynamischen Preispolitik abzubringen. Man einigte sich darauf, die Preise gegen Abend zu senken, um den Absatz noch einmal anzukurbeln, damit nicht allzu viel Kuchen und Getränke übrig bleiben. Streng kalkuliert wurde aber auch, als die jungen Leute unter dem Motto „Schule trifft Frastanz” beim Herbstmarkt selbst gemachte Karten, Schokolade und ökologische Grill­anzünder verkauften. Die Drittklässler opferten sogar einige Stunden in den Ferien, um ein attraktives Sortiment anbieten zu können. Schließlich wollten sie mit den Einnahmen eine Exkursion zur Technikausstellung „Technorama” in Winterthur finanzieren. Weil sie zudem bei der Gemeinde und Frastanzer Firmen um Sponsoring angefragt hatten, ging diese Rechnung auf. „Unternehmertum ist gerade in Vorarlberg etwas Wertvolles”, freut sich Direktor Böck mit den Schülern über den Erfolg. „Uns geht es um eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung”, erklärt er. „Als Pilotschule Wirtschaftsbildung können wir diesen Prozess noch besser unterstützen.” Wer kreativ ist, kann Wirtschafts-Wissen sogar im Kunstunterricht vermitteln. Aktuell entwickelt eine Gruppe an seiner Schule ein Spiel, bei dem es um die Berufswahl geht.

Demokratische Entscheidung

Ein Boxautomat ist an der Mittelschule Bludenz bester Beweis dafür, dass sich Jugendliche gerne mit wirtschaftlichen Fragen und demokratischen Entscheidungsprozessen auseinandersetzen. Im Rahmen des vom Land Vorarlberg ausgeschriebenen Projektes „SchülerInnen-Haushalt” ging es  im letzten Schuljahr nämlich darum, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, wie die zur Verfügung gestellten 3000 Euro zum Wohle der Schulgemeinschaft investiert werden. „Vom Nagelstudio über Sitzsäcke bis zur Dönerbude war alles dabei”, lacht Direktorin Graß. Jeder Vorschlag musste allerdings innerhalb des Budgetrahmens liegen und brauchte fünf Unterstützer, um berücksichtigt zu werden. Am letzten Schultag vor den Osterferien standen Original-Wahlkabinen und Kuverts bereit, welche die Stadt Bludenz zur Verfügung gestellt hatte. Alle 304 Schülerinnen und Schüler konnten per Stimmzettel mitentscheiden – und schlussendlich machte der Boxautomat das Rennen. Der ist immer noch hoch im Kurs und – weil man zwei Euro einwerfen muss, wenn man sich abseits des Turnunterrichts am Punchingball versuchen möchte, kann wohl das nächste Schulfest (landete bei der Wahl an zweiter Stelle) von den Automaten-Einnahmen finanziert werden. 

Alle Drittklässler sollen sich an der Mittelschule Bludenz außerdem in einem konkreten Projekt einbringen. „Sie müssen dafür ein Konzept vorlegen, alles genau planen und gemeinsam umsetzen”, erklärt Beate Graß. Der Erlös kommt entweder in die Klassenkasse oder wird für einen sozialen Zweck gespendet. Jonas Fertschnig organisierte letztes Schuljahr zusammen mit einigen Klassenkameraden ein Fußballturnier. Erst als das Konzept überarbeitet und wirklich überzeugend war, stellte die Direktorin dafür den Turnsaal zur Verfügung. Die Schüler planten den gesamten Ablauf eigenverantwortlich, kümmerten sich um Verpflegung und Aufsichtspersonen, überwachten die Ausgaben und schrieben Abschlussberichte. „Beim Verkauf von Essen und Getränken haben wir uns verkalkuliert”, gibt Jonas Fertschnig zu. Über die Nenngebühr konnte das Minus dann aber ausgeglichen werden, eine Pizza in der Wienwoche wird also drin sein. 

Der Viertklässler ist sehr an Wirtschaft interessiert. Die Schnup­pertage bei den Bergbahnen Brandnertal und bei der Firma Elektro Neyer haben ihm gut gefallen, obwohl er seine Schulzeit nun doch noch um eine Ausbildung an der HTL Dornbirn verlängern will. Besonders begeistert hat ihn das Projekt mit Mathe-Lehrer René Dablander, bei dem jeder Schüler virtuell 5000 Euro investieren konnte. Jonas hat sein „Spielkapital” um tausend Euro vergrößert – schade nur, dass die Aktien von Rüstungsunternehmen – angeheizt vom Ukraine-Krieg – den meisten Ertrag brachten. Seine Schulkollegin Ceylin Topcu war schockiert, als sie bei einem Workshop erfuhr, wie viele Jugendliche oft kurz, nachdem sie ihr erstes Gehalt erhalten haben, bereits tief in den Schulden stecken. Das soll ihr nicht passieren. Konkretes Wissen über Geld und wirtschaftliche Zusammenhänge werden ihr dabei helfen. 

Schulpilot Wirtschaftsbildung

In den Jahren 2021 und 2022 haben österreichweit 93 Mittelschulen und Gymnasien ihr Interesse an einer Teilnahme am Schulpilot Wirtschaftsbildung bekundet und ihre Konzepte vorgelegt. Sechzig Bewerbungen waren erfolgreich. 30 Pilotschulen starteten bereits im Schuljahr 2022/23, 30 weitere im Herbst 2023. Die Pilotschulen werden vier Jahre lang von der Stiftung Wirtschaftsbildung dabei unterstützt, einen inhaltlichen und didaktischen Wirtschafts-Schwerpunkt zu etablieren. Ein Forscherteam des Instituts für Höhere Studien, der Universität Duisburg-Essen und der Österreichischen Nationalbank begleitet das Programm wissenschaftlich. Nach Ablauf der vierjährigen Projektphase werden die Ergebnisse mit jenen von Schulen 

verglichen, die nicht am Programm teilgenommen haben. Interessierte finden weitere Informationen sowie Porträts aller beteiligten Schulen unter stiftung-wirtschaftsbildung.at.

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