Ein Kulturbetrieb wie die Bregenzer Festspiele lebt von der Veränderung. Intendanten, Regisseure, Solisten, Maskenbildner, Bühnenbauer, Sänger, Statisten, Techniker, … kommen und gehen. Eine Konstante gibt es allerdings: Anita Dressel-Malang aus Nüziders singt seit 30 Jahren im Festspielchor – und „es ist mir heute noch eine Ehre, dabei zu sein.”
FOTOS: PRIVAT, BREGENZER FESTSPIELE, TM-HECHENBERGER
Auch wenn es heuer die zweite Auflage dieser Inszenierung von Carmen ist – für Anita Dressel-Malang beginnt nun eine stressige Zeit. Die Bühne mit den kreuz und quer herumliegenden Spielkarten stellt besondere Herausforderungen an alle Mitspieler, „man muss ständig aufpassen, dass man nicht stolpert.” Von 19. Juli bis 19. August stehen 29 Aufführungen auf dem Programm der Seebühne. Während die Hauptrollen dreifach besetzt sind, werden die Mitglieder des Chors bei jeder einzelnen Aufführung gebraucht. Dazu kommen unzählige Proben. „Im Sommer komme ich kaum einmal vor ein, zwei Uhr nachts nach Hause”, lacht Anita Dressel-Malang. Denn das ist es ihr wert. In diesen dreißig Jahren durfte sie Teil großartiger Produktionen sein, konnte viele spannende Erfahrungen sammeln und hat Freunde in der ganzen Welt gewonnen.
Seit März stehen intensive Probenwochenenden auf dem Programm. Die Solisten reisen dann Mitte Juni zu den Regieproben auf der Seebühne an. Sie proben meist tagsüber, während der Chor immer abends auf der Bühne steht. Viele der Sänger sind schließlich berufstätig oder in Ausbildung. Das gesamte Ensemble trifft sich nur an den Wochenenden – anfangs in Zivil, damit man die Bewegungen kennenlernt, dann mit Kostümteilen, zuletzt mit Maske. Und die hat es in sich. Rund 15 Maskenbildner arbeiten wie am Fließband, um die vielen Sänger und Statisten bühnentauglich zu stylen. „Die Haare werden eingeschneckelt, dann kommt so eine Art Strumpfhose darüber, an der die Perücke mit Haarnadeln fixiert wird,” erzählt Anita Dressel-Malang. „Die hält dann wie einbetoniert.” Muss sie auch. Schließlich ist auf der Seebühne mit ordentlichen Windstößen zu rechnen. Es wäre schwierig, beim Singen und Tanzen auch noch auf die Perücke zu achten.
Solche Dinge nimmt Anita Dressel-Malang gelassen. Sie kennt inzwischen alle Schleichwege im Festspielhaus, fühlt sich auf und hinter der Bühne zuhause, Jüngere fragen sie um Rat. Als Arztgattin hat sie zudem immer ein paar „Tröpfle” und Mittel gegen allerlei Wehwehchen dabei. Der Festspielchor wird jedes Jahr neu zusammengestellt. Während die anderen Sänger meist nur ein paar Jahre Erfahrungen sammeln und dann weiterziehen, war für sie immer klar „ich werde nie woanders hingehen”.
Dabei ist sie eher zufällig auf der Festspielbühne gelandet. Die gebürtige Lochauerin hat sich zwar immer schon für Musik begeistert, aber nie eine Musikschule besucht. Als Jugendliche war sie ein großer Fan der kanadischen Folksängerin Joni Mitchell. „Ich wollte singen wie sie.” Immer und immer wieder hat sie sich die Platten angehört, die Lieder mit ihrer Freundin nachgesungen und sich das Gitarrespielen selbst beigebracht. Auftritte in verschiedensten Formationen folgten.
„Amazing Grace” verschaffte der damaligen Bankangestellten dann aber endgültig Eintritt in die Welt der Musik. Sie sang das englische Kirchenlied während einer Rorate in der Bregenzer Mariahilf Kirche. Die junge Sängerin hatte selbst einen deutschen Text dazu verfasst und begleitete sich auf der Gitarre. Damals war auch der Obmann des Bregenzer Festspielchors unter den Gottesdienst-Besuchern – und der war Kunde der Bregenzer Sparkasse. Er sprach Anita Dressel-Malang kurz darauf am Schalter an, lud sie zum Vorsingen ein. „Ich war damals total ehrfürchtig”, erinnert sich Anita Dressel-Malang an die erste Einladung in diesen „Tempel der hohen Kunst”, „und blauäugig.” Sie hatte keine Ahnung, was da von ihr erwartet wurde, ging ohne Noten zum Vorsingen. Der Klavierbegleiter musste deshalb Pause machen. Die junge Frau begleitete sich selbst zum Folksong – und überzeugte. Nachdem Experten ihren Stimmumfang getestet hatten, war sie engagiert, erhielt Gesangsunterricht bei zwei verschiedenen Opernsängern. Diese legten ihr nahe: „Wirf deinen Job weg, geh nach Wien, mach etwas aus deiner Stimme.” Doch das kam für die junge Frau nie in Frage.
Festspielchor-Debüt bei
„Hoffmanns Erzählungen”
Bei „Hoffmanns Erzählungen” stand sie 1988 erstmals auf der Festspielbühne und heuert seither Jahr für Jahr wieder an. Dabei muss sie inzwischen einen ordentlichen Anfahrtsweg in Kauf nehmen. „Ich fahre pro Saison 6500 Kilometer nur für die Festspiele”, hat sie sich einmal ausgerechnet. Denn die Liebe hat Anita Dressel-Malang nach Nüziders geführt. Und auch da hatte die Musik ihre Finger im Spiel. „Wir wurden von einem befreundeten Ehepaar verkuppelt”, gibt sie gerne Auskunft, wie sie den Nüziger Gemeindearzt Bruno Dressel kennenlernte. Nach der Trennung von ihrem ersten Mann fehlte ihr ein Tanzpartner für den Gildenball. Dort wollte sie aber unbedingt wieder hingehen. Trotzdem war sie skeptisch, als die Freunde ihr versicherten, sie würden den Richtigen kennen. Beim Kennenlern-Abendessen zu viert war der für sie Auserwählte aber gleich Feuer und Flamme, als er hörte, dass sie direkt von einer Bandprobe kam. Er hatte sich nämlich das Medizinstudium als Bassist der Band „Sunshine” verdient. Es gab also genügend Gesprächsstoff und „beim Gildenball hat es gefunkt”. Das war 1991. Bei den Festspielen wurde damals ebenfalls „Carmen” gegeben. Weil ihr Zukünftiger mit Oper bisher nicht viel am Hut hatte, wollte Anita Dressel-Malang ihn mit einem Besuch an der Zürcher Oper auf den Sommer vorbereiten. „Er ist bei der Blumenarie eingeschlafen, ausgerechnet bei der schönsten Arie”, kann sie es bis heute kaum fassen. Doch inzwischen ist der Mediziner ins Festspielgeschehen hineingewachsen. Wenn das Paar im Sommer ein Grillfest für das gesamte Ensemble ausrichtet, ist der Ansturm stets groß.
„In diesen 30 Jahren habe ich so viele tolle Künstler kennengelernt”, schwärmt Anita Dressel-Malang, „mein Gästebuch kann sich sehen lassen.” Erst kürzlich war sie an der Mailänder Scala, um ihre Freundin María José Siri zu bewundern, die dort unter der Regie von David Pountney als Francesca da Rimini debütierte. Regelmäßig besucht sie Freunde in Barcelona, Paris, Berlin,…
Sogar im James Bond-Abenteuer „Ein Quantum Trost” ist die Nüzigerin zu sehen. „Ich bin einer der roten Kardinäle in Tosca”, erinnert sie sich an vier total spannende Drehnächte, die das Material für acht Minuten Film lieferten. „Ganz Bregenz stand damals Kopf.” Hauptdarsteller Daniel Craig hatte nämlich einen Doppelgänger dabei, der – wie das Original von Bodyguards umringt – in verschiedenen Lokalen auftauchte. Aber auch das Festspiel-Ensemble war sich nie sicher, ob der Schauspieler selbst oder sein Double im Anmarsch war.
Ein besonderer Höhepunkt in den 30 Jahren Chor-Einsatz war für Anita Dressel-Malang, als sie mit ihren Sänger-Kollegen im berühmten Gefangenenchor von Nabucco weiß geschminkt am Gitter direkt vor dem Publikum stand. „Wir haben unsere Arme durch die Gitter gestreckt und waren so nah dran, dass wir sehen konnten, wie den Leuten die Tränen über die Gesichter liefen.” Bei der Generalprobe trug dann prompt noch ein spontaner Wolkenbruch zu Bildern bei, die den Fotos von der Premiere den Rang abliefen.
Mit einem gewissen Schaudern erinnert sich die Sängerin an eine Probe von „Ein Maskenball” 1999, als der schwimmende „Sarg”, in den der Frauenchor nur wenig später einsteigen sollte, innerhalb von Minuten unterging. Aufgrund eines Lecks hatte sich der Kiel mit Wasser gefüllt. „Wenig später wären wir darin eingeschlossen gewesen. Den 600 Kilogramm schweren Deckel hätten wir niemals aufstemmen können. Und durch den drei Zentimeter dicken Spalt in den Seitenwänden wäre das Wasser eingedrungen.” Glücklicherweise ist damals alles gut gegangen, ihre Begeisterung für die Einsätze auf der Seebühne konnte dieses Erlebnis jedenfalls nicht trüben.
Die Festspiele sind auch für die neueste Mission von Anita Dressel-Malang verantwortlich: Sie möchte nämlich den jungen Flamenco-Gitarristen Andrés Ángel bekannt machen. Der Kolumbianer war vier Jahre lang beim Festspielchor, während er am Feldkircher Konservatorium studierte. Er war Anita Dressel-Malang aufgefallen, weil er kaum einmal ohne Gitarre unterwegs war. Das Ausnahme-Talent wird heute von der Nüzigerin gemanagt. Vor wenigen Tagen spielte er im Rahmen der „Tre Concerti” am Muttersberg.