Stille Laute

Während ihrer Kindheit schrieb Anni Mathes sich den Kummer von der Seele. Bücher und Geschichten halfen ihr dabei, aus dem schwierigen Alltag in fremde Welten zu entfliehen und sich ihre Träume zu bewahren. Einen davon setzt die inzwischen mehrfach ausgezeichnete Mundart-Autorin derzeit um: Am 23. April wird ihr internationaler literarischer Wanderweg „Stille Laute” offiziell eröffnet.

FOTOS: ANNI UND KLAUS MATHES, TM-HECHENBERGER, WOLFGANG FINK

„Die Idee dazu kam mir bereits vor gut zehn Jahren”, erzählt die Bludescherin. Sie erinnert sich an einen Spaziergang auf dem Runkelinaweg nicht weit von ihrem Zuhause, als sie hingerissen registrierte, wie der Hohe Fraßen und die Kellerspitze am Horizont in der aufgehenden Sonne glänzten. Natur und Literatur sind große Kraftquellen in ihrem Leben – und diese wollte sie mit anderen teilen, alle einladen, sich von Landschaft und Worten berühren und inspirieren zu lassen. Eine schwere Krankheit erwies sich als dicker Stolperstein bei der Umsetzung dieses Projektes, doch im Herbst 2021 krempelte die ausgebildete Diplomkrankenschwester und Kinesiologin mit neuer Energie die Ärmel hoch und setzte alle Hebel in Bewegung. Von Anfang an erlebte sie viel Zuspruch von Freunden, Bekannten und auch von offiziellen Stellen. Denn ihr Plan hatte im Laufe der Jahre sehr konkrete Formen angenommen. 

Anni Mathes geht es darum, mit ihren Impulsen möglichst viele Menschen zu erreichen und dabei das Verbindende in den Fokus zu rücken. „Je kultivierter ein Volk, desto humaner verläuft auch der Umgang mit- und untereinander”, ist sie gerade auch angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen auf europäischem Boden mehr denn je vom Sinn ihres Vorhabens überzeugt. Auf dem 1,4 Kilometer langen Wegstück, das Teil des europaverbindenden Jakobsweges ist, werden im April insgesamt zehn „Texthäuschen” aufgestellt, welche Infos zum Weg sowie hochwertige Lyrik oder Prosa von angesehenen Autoren, Nachwuchs-Literaten, aber auch Jugendlichen enthalten, die in einfacher Sprache, Hochdeutsch, Mundart oder auch einer Fremdsprache verfasst sind. Letztere erhalten jeweils eine Übersetzung beigestellt, alle Texte werden zudem zum Anhören auf der Website www.stille-laute.at aufbereitet und per QR-Code verlinkt. Zwei Mal im Jahr – mit dem Wechsel der kalten und warmen Jahreszeiten – werden die „stillen Laute” ausgetauscht, sodass immer wieder neue Impulse auf die interessierten Spaziergänger warten. Der internationale literarische Wanderweg weist einen Höhenunterschied von nur 28 Metern auf, bietet traumhafte Aussichten auf den Walgau sowie die benachbarte Bergwelt und kann auch mit Rollstuhl oder Kinderwagen mühelos bewältigt werden. 

Die Natur unterstützt die Textbotschaften auf dem Internationalen Literaturwanderweg nach Kräften.

Spannende Texte hat Anni Mathes genügend in petto. Als Mitglied von Literatur Vorarlberg, preisgekrönte Mundartdichterin mit Lesungen im In- und Ausland sowie Organisatorin von Schreib-Workshops, Literatur-Wettbewerben und mehreren internationalen Mundart-Symposien verfügt sie über entsprechende Kontakte. Auch wenn sie selbst sich wahrscheinlich nicht so bezeichnen würde: Anni Mathes ist eine moderne Netzwerkerin, die andere mit ihrer Begeisterung und wertschätzenden Art ins Boot holt. Als Schirmherrin bei der Eröffnung des literarischen Wanderweges agiert etwa die in St. Gallen geborene Autorin und Literaturwissenschaftlerin Univ. Prof. Dr. Hildegard Keller, die an der Zürcher Universität „Storytelling” lehrt und zehn Jahre lang als Jurorin beim renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis mitwirkte. „Wir haben uns bei einem literarischen Spaziergang in Zürich kennengelernt und es hat sofort zwischen uns gepasst”, beschreibt Anni Mathes die erste Begegnung mit der Universitäts-Professorin. Diese beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der argentinischen Autorin Alfonsina Storni, deren Gedicht „Voy a dormir” (Ich gehe schlafen) unmittelbar vor ihrem Freitod entstand. Dieses berührende Abschiedsgedicht wird einer der „Stillen Laute” sein, welche die Menschen im kommenden Frühjahr am Literaturwanderweg erwarten – soviel sei schon einmal vorab verraten. Anni Mathes legt wert darauf, die Menschen zum Nachdenken anzuregen, ohne sie in gedrückter Stimmung zu entlassen. Bei der Text-Auswahl wacht sie streng darüber, dass positive Gedanken und Empathie überwiegen. Denn „in der Fantasie liegt viel Heilung” – das hat sie selbst mehrfach erlebt. 

Klaus Mathes begeistert sich ebenfalls für die Aktivitäten seiner Frau. Gemeinsam haben die beiden den Verein Kulturbrücke Bludesch gegründet.

Fantasie alleine reicht allerdings nicht, um ein so ambitioniertes Projekt wie den internationalen Literaturwanderweg konkret umzusetzen. Immerhin galt es finanzielle Mittel in der Höhe von 13.900 Euro auf die Beine zu stellen. Doch „wenn ich mir etwas in den Kopf setze, mache ich das”, ließ sich die Literatur-Begeisterte nicht unterkriegen, als erste Finanzierungsideen scheiterten. Sie schaffte es, beim Land Vorarlberg, bei Literatur Vorarlberg, bei der Raiffeisenbank und der Gemeinde Bludesch Fördermittel zu lukrieren. Um die restlichen 7.800 Euro aufzubringen, gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Klaus den gemeinnützigen Verein Kulturbrücke Bludesch, startete ein Crowdfunding-Projekt und staunte nicht schlecht über die großartige Unterstützung unterschiedlichster Menschen. Innerhalb nur eines Monats waren die benötigten Gelder beieinander. 

Feierliche Eröffnung am 23. April

Die Texthäuschen wurden in der Werkstätte des AZV in Hohenems gefertigt.

In den letzten Wochen haben junge Tischler-Lehrlinge im Ausbildungszentrum Vorarlberg (AZV) letzte Hand an die hölzernen „Texthäuschen” gelegt, welche ab April die literarischen Impulse beherbergen und vor Wind und Wetter schützen sollen. Anni Mathes ist begeistert davon, mit welcher Wertschätzung sie in der Werkstätte in Hohenems mit ihrer Idee empfangen wurde, vom handwerklichen Können der Mitarbeiter und deren Zuverlässigkeit einmal abgesehen. Die Grundbesitzer entlang des Runkelinawegs haben bereits bekundet, dass sie mit dem Aufstellen der Texthäuschen einverstanden sind, die Bludescher Bauhof-Mitarbeiter stehen dafür bereit, und die Vereine in ihrem Heimatort haben der umtriebigen Dichterin zugesagt, sie bei der Eröffnungsfeier mit kulinarischen und musikalischen Beiträgen zu unterstützen.

Es ist also alles auf Schiene, und Anni Mathes freut sich auf den 23. April, wenn sie bei einer kleinen Feier um 11 Uhr die ersten Besucher auf dem 1. Internationalen Literaturwanderweg in ihrem geliebten Bludesch begleiten darf. „Ich habe so ein reiches Leben”, strahlt die vierfache Mutter und sechsfache Großmutter.

 

„Eppas zua-loo kama eerscht, wemma offa-macht”                      „Etwas zulassen kann man erst, wenn man sich öffnet”

Anni Mathes

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