Die Sturnengasse war in früheren Jahrhunderten wohl so etwas wie das Ghetto von Bludenz. Etwas abseits lebten hier die ärmeren Bewohner in bescheidenen Häusern. Die Patrizier machten sich lustig über die Menschen im „Narragässle”. Die Sturnengasse liegt heute immer noch etwas abseits des Geschehens. Doch hinter den beschaulichen Altstadt-Fassaden zieht seit ein paar Jahren ein Geist der Nachhaltigkeit und Kreativität seine Kreise.
Eindeutig geklärt ist die Herkunft des Namens Sturnengasse nicht. Historiker Prof. Manfred Tschaikner geht aber im Bludenz Lesebuch (www.unartproduktion.at) davon aus, dass er sich von dem romanischen Übernamen „stuorn” ableitet. Diesen übersetzt er mit „verwirrt, verrückt, betrunken”. Ein paar Witzbolde könnten sich so über die Bewohner lustig gemacht haben, indem sie diese als „die aus der Narren- oder Säufergasse” betitelten. Dass sich ein so wenig schmeichelhafter Name über die Jahrhunderte gehalten hat, erklärt sich der Historiker damit, dass man die Bedeutung „im Gefolge der zunehmenden Germanisierung des Vorarlberger Oberlandes bald nicht mehr kannte”.
Fotos: Christa Engstler, Aquarell: Privatbesitz
1. Seit 1856 Bäckerei und Gasthaus Fuchs – 160 Jahre
Wige-Obmann Hanno Fuchs: „Die Sturnengasse hat sich in den letzten Jahren zur Handwerkergasse entwickelt.“
„Mir ist es egal, wenn unser Füchsle in der Narrengasse steht”, hat Hanno Fuchs kein Problem mit dieser Erklärung. Er führt in vierter Generation den Bäckerei-Betrieb in der Sturnengasse 2, und auch das dazugehörende Gasthaus gehört zu den beständigsten Einrichtungen der Altstadt. Im „Füchsle” kann man nicht nur bodenständige Gerichte genießen, am Stammtisch diskutieren und Karten spielen, sondern auch der Geschichte nachspüren. „Unser Haus ist 160 Jahre alt, früher war es sogar das Gerichtsgebäude”, weiß Hanno Fuchs aus alten Unterlagen. Das dunkle Kellergewölbe wurde einst als Gefängnis genutzt. Ein Gerichtsgebäude also als Pforte zur ”Narren- und Säufergasse”? „Ja, das war wohl praktisch”, lacht Hanno Fuchs. Als Obmann der Wirtschaftsgemeinschaft beobachtet er mit viel Freude, dass sich in den letzten Jahren in der Sturnengasse einiges getan hat. Das einstige „Narragässle” zieht offensichtlich solide Handwerker und kreative Geister besonders an.
2. Linda Mischitz will nur nähen.
Schräg gegenüber sitzt die 23jährige Linda Mischitz an der Nähmaschine. Feine Stoffe gleiten durch ihre Finger. „Ich wollte immer Schneiderin werden”, strahlt sie. Vorbild war ihre Mutter Brigitte, bei der sie in Feldkirch die Lehre absolvierte und in insgesamt sieben Berufsjahren praktische Fertigkeiten erwarb. Nach einem kurzen Intermezzo in einem Reisebüro wusste sie endgültig: „Ich will nur nähen.”
Seit Oktober 2014 bietet sie im eigenen Geschäft ihre Dienste als Änderungsschneiderin an. Linda Mischitz bereut nicht, dass sie sich in so jungem Alter in die Selbstständigkeit gestürzt hat. „Es läuft gut, ich habe immer Arbeit.” Mit Hingabe flickt sie alles, was unter ihre Nähmaschinenfüßchen geht, ersetzt defekte Reißverschlüsse oder passt auch mal einen Hunde-Mantel den Proportionen des vierbeinigen Lieblings an. „Die Leute haben so eine Gaudi, wenn sie ihre Lieblingssachen nicht wegschmeißen müssen”, freut sich Linda Mischitz an ihrem Beruf.
3. Lederwaren mit lebenslanger Garantie
Alessandro Santella ist Schuhmacher. Wenn man seinen kleinen Laden in der Sturnengasse 6 betritt, hat man nicht das Gefühl, dass dies ein aussterbender Beruf ist. Meist drängen sich mehrere Kunden vor dem Tresen.
Der 31jährige hat sein Handwerk in der fränkischen Heimat, in Bayreuth, von der Pieke auf gelernt. Ein Ferienjob bei einem Schuh- und Schlüsselservice hat in ihm die Liebe zu seinem ungewöhnlichen Beruf geweckt. Nach zwei Gesellenjahren zog es ihn raus in die Welt, „in meinem Lehrbetrieb hatte ich keine Aufstiegschancen.” Mehrere Jobs in der Gastronomie führten ihn ins Ländle. „Meine erste Wohnung war in Bludenz – und dann wollte ich nicht mehr weg.”
2013 hat Alessandro Santella sein Geschäft in der Sturnengasse eröffnet. Er repariert dort Lederwaren aller Art. Schuhe, Handtaschen, Gürtel, auch den Sattel einer Harley Davidson, Baujahr 1929, haben ihm seine Kunden schon anvertraut. Sonderanfertigungen machen ihm besonders viel Spaß. So hat er etwa schon Arbeitsköcher für Floristinnen gefertigt, maßgeschneiderte Werkzeugtaschen und Beutel für die Besitzer von Oldtimern oder Hundehalsbänder und Hundegeschirr. Einmal bat ihn eine Kundin, aus einem Pelzmantel eine Handtasche zu kreieren. Egal, ob er etwas Neues schafft oder eine Reparatur durchführt: „Die Optik ist das A und O.”
Wenn ihm etwa jemand seine Stiefel anvertraut, weil der Schaft enger oder weiter gemacht werden soll, achtet er penibel darauf, dass später niemand erkennen kann, dass das Stück verändert oder repariert wurde. „Ich überlege immer, ob ich das Stück – so repariert – selbst tragen würde. Das hilft mir dabei, selbstkritisch und besonders gewissenhaft zu arbeiten.” Auf seine hochwertigen Gürtel gibt er deshalb guten Gewissens lebenslange Garantie.
4. „Zweite Haut” ganz individuell
„Trage ich ein Kleid, das wirklich meines ist, so trägt es mich. Es ist mein Schutz, mein Siegel, meine Botschaft an das Leben.” Diese Zeilen von Lyrikerin Christine Hartmann umschreiben die Philosophie von Gabriele Kastl. Die Damenschneidermeisterin hat ihre kreative Werkstatt gerade erst aufgesperrt. Die Tirolerin lädt Frauen dazu ein, sich mit ihr gemeinsam auf eine Reise zu sich selbst zu begeben. Denn Kleidung ist für sie eine zweite Haut, die es wert ist, aus hochwertigen Stoffen individuell gestaltet zu werden. Die Tirolerin hat die Fachschule für Damenkleidermacher in Innsbruck absolviert, war in der Meisterklasse in Dornbirn und hat sich in Sachen Dessous und „Drapieren an der Puppe” in München weitergebildet. Viele Jahre Praxis geben ihr die Sicherheit, dass sie sich ganz auf ihre Kundinnen einstellen und deren Persönlichkeit in ihren Entwürfen aufgreifen kann. „Wir loten gemeinsam Grenzen aus und spielen mit den Möglichkeiten. Denn je nach Styling kann ich ganz unterschiedliche Botschaften vermitteln”, will sie den Frauen Mut machen zu mehr Individualität. Als Unternehmerin hat sich die Kleidermacherin ganz der Gemeinwohlökonomie verschrieben. Sie legt Wert darauf, dass ihre maßgeschneiderten Einzelstücke nachhaltig produziert sind – vom Entwurf bis zum fertigen Stück.
5. „Windlkind” in Second Hand-Jeans
Wenn auf der Sturnengasse Kinderwagen in allen Größen und Formen parken, ist dies ein Zeichen dafür, dass Isolde Adamek und Evi Kettner den Laden ein paar Schritte weiter geöffnet haben. Bei „Sörecycling” gibt es Röcke, Schürzen, Kinderkleider und kreative Accessoires, die aus „Secondhand-Jeans” gefertigt wurden. Vor Jahren gab ein Film den Anstoß: „Bei der Herstellung einer einzigen Jeans werden 8000 Liter Wasser verschmutzt und große Mengen Energie verbraucht”, erklärt Isolde Adamek, warum es für sie Sinn macht, einer Jeans zumindest ein zweites Leben zu gönnen. Gesagt getan. Rasch fand sich eine Gruppe von sechs nähbegeisterten Frauen zusammen, die unter Anleitung von Textilkünstlerin Maria Baumschlager erste Kleidungsstücke fertigten. „Wir haben dabei festgestellt, dass Kreativität ansteckend ist”, denken Evi Kettner und Isolde Adamek sehr gerne an die Anfänge zurück. Mit dem neu gegründeten Label „sörecycling” fanden sich die kreativen Frauen bald im Radio, in Zeitungen und auf der Wearfair in Linz wieder. Noch bevor „aus Alt mach Neu” plötzlich modern wurde, standen die sechs Frauen plötzlich im Mittelpunkt einer wachsenden Fan-Gemeinde.
Die Kinderwagen parken aber nicht nur wegen der hübschen Kinderkleider in der Sturnengasse. Denn Evi Kettner und Isolde Adamek haben noch eine andere Mission: Windelkind – Die beiden Kindergärtnerinnen machen sich für die gute alte Stoffwindel stark. Dafür haben sie ganz rationale Gründe: Ein Wickelkind produziert eine Tonne Müll, eine Wegwerfwindel hat eine Verrottungszeit von 200 bis 400 Jahren. Mit Stoffwindeln erspart man sich mehr als 1000 Euro pro Wickelkind. Vor allem aber ist das Wickeln für die beiden Frauen „ein Zeitgeschenk, welches die Eltern ihren Kindern machen. Da werden Beziehungen aufgebaut.” Erstes Lernen gehe über die Haut. Evi Kettner und Isolde Adamek können nicht verstehen, wenn sie in der Werbung hören, dass es gut sein soll, wenn eine Windel zwölf Stunden lang nicht gewechselt werden muss. Sie halten es mit der Kinderärztin Emmi Pikler, die schon in den 1940er-Jahren für mehr „Achtsamkeit in der Pflege” plädierte, damit sich Kinder optimal entwickeln. Gerne beraten die beiden junge, interessierte Eltern und zeigen ihnen umweltschonende, gesunde und kostengünstige Alternativen zur Wegwerfwindel.
6. Ein Sprungbrett für kreative Talente
Im Sprungbrett Lädele der Caritas Werkstätte Bludenz schräg gegenüber wird konzentriert gearbeitet. Mit unendlicher Geduld gestalten elf Menschen mit Beeinträchtigung formschöne Keramiken, Geschenkpapier, Gebrauchsgegenstände und Deko aus Glas, Holz und vielem mehr. Sie freuen sich immer, wenn Besucher in den Laden kommen und sich für ihre Arbeit interessieren. Im Sprungbrett erleben sie Tagesstruktur und erleben, was es heißt, gebraucht zu werden.
Einer der Künstler ist der 28jährige Georg Fitz aus Göfis. Er arbeitet auf dem ersten Arbeitsmarkt, in der Ateliergemeinschaft ART quer in Frastanz, und hat sich sogar einen Künstlernamen zugelegt: Als WolfGeorg – der gefährlichste Künstler des Landes – fertigt er fantasievolle Tierskulpturen mit spitzen Zähnen. Dem Wolf fühlt er sich besonders verbunden.
Jeden Freitag streift Georg Fitz das Heimweh ab und verzichtet auf seinen freien Tag, damit er mit Projekt-Leiterin Monika Fischer, den wechselnden Zivildienern und den Arbeitskollegen von früher werken kann.
7. Bunte Gemeinschaft in der ehemaligen Tischlerei
Vom Sprungbrett sind es nur wenige Schritte zur Sturnengasse 26. In der ehemaligen Tischlerei Alfred Feuerstein hat Christine Lederer ein Grüppchen zusammengetrommelt, um gemeinsam „Altes zu erhalten und ganz natürlich zu beleben.” Wer einen der fünf Eingänge gefunden hat, trifft auf sechs ganz unterschiedliche Menschen, die sich die ehemaligen Werkstätten und Büroräumlichkeiten auf insgesamt drei Stockwerken teilen. „Die Tischlerei ist ausgezogen und wir ein,” erklärt Christine Lederer das Offensichtliche. Weiße Farbflächen an den Wänden, die wie Passepartouts für graue Farbflächen wirken, sind einst entstanden, als man die Möbel beim Streichen der Wände aussparte. Aufhängevorrichtungen, ehemals zum Lackieren benutzt, dienen zur Präsentation von Kunstwerken, die Böden spiegeln viele Jahre Arbeit wider.
Orientierungssystem fürs Städtle
Dieses Umfeld passt wie angegossen. Neben Christine Lederers massivem Schreibtisch stapelt sich in einer Ecke Geschirr. Es wurde vor einem Umbau aus einem alten Bludenzer Keller gerettet. Der Staub vieler Jahre durfte von den Tassen nicht entfernt werden. Denn Christine Lederer packte diese auf eine Palette und präsentierte sie mit einer sauberen weißen Tischdecke in einer Ausstellung in Feldkirch – als Mahnmal der Vergänglichkeit.
Christine Lederer ist diplomierte Kommunikationsdesignerin. Außerdem hat sie Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert. Diese Verbindung prägt ihren Arbeitsstil. „Ich sehe meine Aufgabe als Grafikerin nicht nur in der Gestaltung, sondern erarbeite jeweils ein Konzept, in dem spezifische Eigenschaften und Ziele des Kunden festgehalten werden.” Vor allem mittelständische Unternehmen aus Vorarlberg und Deutschland vertrauen auf ihr Gespür und lassen Freiräume in der Zusammenarbeit und Gestaltung zu. Erst kürzlich hat die Bludenzerin ihrer Heimatstadt ihren Stempel aufgedrückt, indem sie ein Orientierungssystem fürs Städtle entwickelte. „Das sind zum Teil sehr langwierige Prozesse”, erklärt die Grafikerin, lässt sich aber mit viel Leidenschaft darauf ein.
Erfolge als Künstlerin beflügeln die knapp 40jährige Mutter eines Sohnes – der DAAD-Preis für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender etwa, die Anerkennung als „rookie of art bodensee” oder die Einladung des vorarlberg museums, eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu kuratieren. „Unter dem Motto „Greatest Hits by Christine Lederer” bespielt sie mit ihrem Konzept und ihrer Auswahl insgesamt zwei Jahre lang das Museum. Zurzeit steckt sie mitten in den Vorbereitungen für eine Ausstellung im ORF Landesstudio, die am Dienstag, 13. April eröffnet wird. Unzählige Zettel mit kleinen Notizen, Fotografien, Zeichnungen und eine Vielzahl unterschiedlichster Gegenstände zeugen momentan in ihren Räumen vom kreativen Schöpfungsprozess.
8. Leidenschaftlicher Bludenzer mit Hang zur Geschichte
Dagegen wirkt der lichtdurchflutete Bürobereich von Christof Thöny geradezu penibel aufgeräumt. Der Professor für Religion und Geschichte wickelt von hier aus die Geschäfte des Lorenzi Verlages ab. Der ist nach einem streitbaren Bludenzer benannt, der mit großen Talenten gesegnet war, aber schlussendlich am herrschenden Machtsystem scheiterte. Christof Thöny ist zum „leidenschaftlichen Bludenzer” geworden, seit er vor zehn Jahren von Dalaas ins Städtle zog. Dem Klostertal ist er dennoch immer noch besonders verbunden. Seit 15 Jahren engagiert er sich als Gründungsobmann des Museumsvereins Klostertal. Fünf Jahre lang war er Geschäftsführer der Regionalplanungsgemeinschaft Klostertal, bevor er am Bludenzer Gymnasium „anheuerte”. Aus Liebhaberei hat er immer wieder Einzel-Publikationen herausgegeben, bis er Ende 2015 den ersten Bildband des Lorenzi Verlages präsentieren konnte. „Klostertal – zwischen Arlberg und Bludenz” – erhältlich unter www.lorenzi-verlag.at sowie im gut sortierten Buchhandel – zeigt neue Blickwinkel auf ein Tal, das viele nur als Durchreisende wahrnehmen – eingefangen von dem Brazer Fotografen Andreas Gaßner und Christof Thöny als Autor. Der Historiker hat dafür natürlich auch viele spannende Details über die Geschichte des Tales ausgegraben.
Inzwischen gibt es aber längst ein neues Projekt. Momentan beschäftigt er sich nämlich mit den Lebenserinnerungen von „zwei Pionieren des modernen Vorarlberger Tourismus” – Hubert Schwärzler und Heinrich Wagner. Nie losgelassen hat ihn außerdem sein Vorhaben, die Geschichte des Schisports aufzuarbeiten. Die Organisation von und Mitarbeit in zahlreichen anderen kulturellen und wissenschaftlichen Projekten hält den umtriebigen Bludenzer ebenfalls auf Trab.
9. Spannende Einblicke mit der Kamera
Fotografin Christa Engstler hatte über viele Jahre die Ausrüstung immer dabei. Mit einem Rollkoffer voller Objektive, Lampen und Kameras reiste sie bei berühmten Köchen an, um ihre kulinarischen Kreationen zu fotografieren, wartete an der Küste von Sylt auf den richtigen Moment, um auf den Auslöser zu drücken und achtete bei Menschen und Bauten auf ein hervorragendes Abbild. Nach dem Studium an der Grafischen in Wien, erwarb sie Foto-Praxis im Studio von Luzia Ellert in Wien und machte sich 1995 selbständig. Seit 2000 fotografiert sie vor allem für verschiedene Buchverlage, für mittelständische Betriebe, Architekten oder etwa das vorarlberg museum und kulturelle Veranstalter. „Die Kamera gibt mir Zutritt in Bereiche, die normalerweise nicht zugänglich sind”, freut sie sich in ihrem Berufsalltag über vielerlei spannende Einblicke. Christa Engstler arbeitet gerne mit Menschen, die ihr Raum für Ideen geben, sodass sich „gemeinsam etwas entwickelt.” Mit den Mitarbeitern und Genossenschaftern der Sennerei Schnifis ist dies etwa möglich. Gemeinsam wurde ein Konzept für das neue Kochbuch zum Jubiläum erarbeitet, welches auch die Kreisläufe der Natur im Wechsel der Jahreszeiten mit einbezieht. „Schließlich ist auch die Landschaft Voraussetzung für den Käse, der in der Sennerei produziert wird.”
Zwar arbeitet Christa Engstler auch heute noch gerne „on location”, doch „auf die Dauer ist das anstrengend”. 2014 hat sie deshalb im Erdgeschoss der Sturnengasse 26 eine solide Basisstation aufgeschlagen – und freut sich darüber, dass bereits viele Bludenzer Geschäftsleute spontan auf sie zugekommen sind, wenn sie gute Fotos benötigten.
10. „Sauberkeit, Verlässlichkeit und Menschlichkeit”
– das ist die Devise im obersten Stockwerk der Sturnengasse 26. Von hier aus managt Martina Ganahl inzwischen zwölf Mitarbeiterinnen, die als Raumpflegerinnen in vielen Privathaushalten und Unternehmen beste Dienste leisten. Martina Ganahl ist ausgebildete Lebens- und Sozialberaterin, sie hat zwei Jahre bei der Rufhilfe des Roten Kreuz und mehrere Saisonen in der Gastronomie gearbeitet. Seit 2009 ist sie in einer Branche selbständig, die nicht unbedingt dafür gerühmt wird, dass sie ihre Mitarbeiter besonders gut behandelt. Genau das ist Martina Ganahl aber besonders wichtig. „Und im Gegenzug erwarte ich hervorragende Arbeit”, erklärt die zweifache Mutter ihr Erfolgsrezept. Ihre Kunden wissen dies zu schätzen.
11. Vom Zürichsee über Finnland nach Bludenz
Textildesignerin Dorothea Rosenstock hat sich im ehemaligen Tischlereigebäude einen Platz geschaffen, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Aufgewachsen am Zürichsee ist die heute 36jährige vor zehn Jahren nach Finnland ausgewandert. „Doch irgendwann habe ich eingesehen, dass es für mich da keine berufliche Perspektive gibt.” Neben dem Masterstudium kellnerte sie damals in Pubs, um über die Runden zu kommen. Die studierte Textildesignerin suchte europaweit. Immerhin – ein Praktikum konnte sie bei der Firma Getzner ergattern. Der Rückflug nach Finnland war bereits gebucht, als ihr am letzten Tag eine Stelle in der Afrika-Abteilung des Bludenzer Unternehmens angeboten wurde. „Ich komme in drei Monaten zurück”, entschied sie kurz entschlossen und brach in Finnland alle Zelte ab. Heute entwirft sie für die Firma Getzner moderne Textil-Designs. Ihre Masterarbeit hat sie im Frühling 2013 bereits in der Sturnengasse geschrieben.
Erst kürzlich begegnete Dorothea Rosenstock bei einer Konferenz in Helsinki einer ehemaligen Lehrerin. Die zog anlässlich der Pensionierung Bilanz über ein ganzes Berufsleben: „Insgesamt wurden einige Millionen Meter Stoff nach meinen Entwürfen gefertigt.” – Und ihre ehemalige Schülerin dachte: „So weit bin ich schon lange.” Nach sechs Jahren bei der Firma Getzner ist sie immer noch beeindruckt von der Produktion des weltweit erfolgreichen Bludenzer Unternehmens.
Die Arbeit am Webstuhl in der Sturnengasse ist ein Ausgleich ohne Produktionsdruck. Jeden Montag stellt sich Dorothea Rosenstock in der Nummer 26 ein und widmet sich ganz der Kunst. Wenn sie ihre Ideen mit hauchfeinem und auch dickerem Papiergarn aus Finnland umsetzt, schätzt sie vor allem auch den Austausch mit den anderen Kreativen im Haus.
12. „Jedes Kind zeichnet. Ich habe nur nie aufgehört.”
Nur ein, zwei Meter entfernt mischt Judith Batlogg Farbpigmente in eine Lösung aus Eigelb, Leinöl und Wasser, um genau den Farbton zu erhalten, den sie für ihre feinsinnigen Malereien im Kopf hat. Schon die alten Ägypter haben die Umhüllungen ihrer Mumien mit Portraits in Tempera verziert. Judith Batlogg schätzt an dieser alten Technik, dass sie lasierend malen kann – fast wie mit Aquarellfarben – und trotzdem eine Struktur erhält. Als Untergrund verwendet sie Leinwände – mal feinere, mal gröbere -, die sie selbst auf Holzrahmen aufzieht. „Es soll von Anfang an mein`s sein”, erklärt die Künstlerin, die „einfach nie aufgehört hat zu zeichnen.” Für Judith Batlogg ist die Malerei kein Hobby. „Ich brauche das.” Da sie von der Kunst allein nicht leben kann, steht sie nur jeden Montag vor der Staffelei – regelmäßig. Inspiration findet Judith Batlogg „in allem, was mich umgibt. Die Natur, Menschen in ihren Beziehungsgeflechten, all das findet man – abstrahiert – in meinen Bildern wieder.”
Vom Suchen und Finden
Zur Zeit widmet sie sich dem Motto „Schätze – vom Suchen und Finden”. Im Austausch mit Atelier-Kollegin Dorothea Rosenstock und acht weiteren Künstlern aus Belgien, Bulgarien, England und Finnland beschäftigt sie sich mit der „Lust am Suchen und der Freude am Finden, sowie geborgenen Schätzen, die uns beflügeln und inspirieren, aber auch Verantwortung aufladen oder überraschen.” Die Ergebnisse dieses Prozesses werden von 8. September bis 9. Oktober in der Villa Claudia in Feldkirch ausgestellt. Ergänzend organisieren Dorothea Rosenstock und Judith Batlogg am 9. September in der Sturnengasse 26 einen Kunst-Workshop zum Thema sowie ein öffentliches Fest mit Performance.
Ein Bild wird bei dieser Ausstellung ganz bestimmt dabei sein: Vor einigen Monaten hat Judith Batlogg die Eibe gezeichnet, die wohl schon seit zwei Jahrhunderten das Ende der Sturnengasse säumte. „Ich habe damals nicht gewusst, dass sie bald gefällt wird.” Diese Eibe hat über viele Jahre das Leben in der Sturnengasse beobachtet. „Sie hat mir wohl eine Botschaft geschickt, dass es nun Zeit wird, dass ich mich mit ihr beschäftige. Dass sie plötzlich nicht mehr da war, hat mich tief getroffen.”