Sterbende Innenstädte – boomende Online-Geschäfte. Seit Jahren beherrscht dieses Szenario Diskussionen und Prognosen. Dr. Wolfgang Frick, Betriebswirt, Marketing-Experte und Vorstandsmitglied der Spar Handels AG Schweiz, sieht hingegen keinen Anlass für Mutlosigkeit. „Online ist schlagbar”, behauptet der Frastanzer in seinem Wirtschafts-Ratgeber, den er Ende Mai in München präsentierte.
FOTOS: ANDREAS SCHEBESTA, TM-HECHENBERGER
Amazon & Co sehen Sie nicht als Bedrohung für die vielen kleinen Geschäfte vor Ort. Was macht Sie so sicher, dass langfristig ein Nebeneinander möglich ist?
Es war immer schon so, dass gesellschaftliche Entwicklungen den Handel verändert haben. Man denke nur an die Eröffnung der ersten Selbstbedienungsläden Anfang der 1960er, das Aufkommen der Discounter, Shopping-Malls und Designer-Outlets. Das alles hatte Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten der Menschen. Andererseits zählen heute viele Menschen „Shopping” zu ihren liebsten Hobbys. Damit meinen sie ganz sicher nicht den Klick auf den Online-Warenkorb. Außerdem beobachte ich in den letzten Jahren immer mehr, dass Online-Anbieter Geschäftslokale eröffnen, weil sie den Kunden die Möglichkeit geben wollen, die Waren anzugreifen, aus- und anzuprobieren. Das geht eben nicht übers Internet. Auch wächst der Online-Handel inzwischen längst nicht mehr so wie früher. So manchem ist er inzwischen zu unübersichtlich.
Sie sagen aber auch, dass sich der stationäre Handel verändern muss.
Der Kunde ist ungeduldiger und anspruchsvoller als früher. Service wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Darauf muss man reagieren. Heute geht es dem Kunden darum, etwas zu erleben, er will inspiriert und unterhalten werden. Und das Einkaufen muss für ihn möglichst bequem sein. Der Händler muss sich laufend in die Perspektive des Kunden versetzen und sich fragen, wie er ihm das Leben erleichtern kann. Das ist übrigens auch das Motto von Amazon-Chef Jeff Bezos, dem man nicht absprechen kann, ein genialer Unternehmer zu sein.
Service war gestern. Convenience ist heute.
Wie meinen Sie das konkret?
Nun, das beginnt, indem ich dem Kunden Arbeit abnehme, beispielsweise die Waren als Geschenk verpacke, ihm Zeit spare, indem ich ihm ein Zusatzservice anbiete, während er seinen Einkauf erledigt, ihm Wege erspare, indem ich mein Sortiment um jenes „Beiwerk” oder Material erweitere, das er normalerweise anderswo extra besorgen muss. Bequemlichkeit ist alles. Außerdem muss der Handel wieder zu den Wurzeln zurückkehren, zu dem, was Verkaufsorte einmal waren und heute nur noch selten sind: Markt- und Begegnungsplätze.
Vielerorts fehlen dazu die Mitarbeiter.
Das ist ein Problem. Aber hinter so manchem Bewerber mit weniger guten Zeugnisnoten versteckt sich ein Top-Verkäufer – einfach, weil er Menschen mag. Diesen Mitarbeiter gilt es zu finden, gut zu schulen und ihn durch vertrauensvolle Führung, die auch eine gewisse Selbstverwirklichung ermöglicht, zu halten. Denn die persönliche Ansprache wird der Händler nebenan Online-Anbietern immer voraus haben.
Der Verkäufer der Zukunft ist eine Mischung aus Coach und Entertainer.
Viele Händler beklagen, dass sich Kunden im Geschäft beraten lassen und dann online bestellen.
Das Phänomen gibt es aber auch andersrum. Es gibt sogar einen Fachausdruck dafür: ROPO – von „research online, purchase offline”. Für diese Kunden muss man als Händler eben gerüstet sein. Denn die sind top-informiert. Mein Sohn etwa wollte sich eine neue Kamera inklusive hochwertiger Objektive anschaffen. Er hatte bereits im Internet alles recherchiert und seine Auswahl in den virtuellen Warenkorb gelegt. Ich habe dann angeregt, dass wir doch noch bei einem Fachhändler in Bürs vorbeischauen und ihm unseren Einkaufszettel zeigen. Der hatte kein Problem damit, konnte sogar preislich mithalten, machte uns aber darauf aufmerksam, dass die gewählte Kamera und das Objektiv gar nicht zusammenpassen. Er hat uns bestens beraten und mein Sohn ist heute heilfroh, dass er nicht online gekauft hat.
Online-Anbieter sammeln eine Unmenge an Daten ihrer Kunden und können sie ganz gezielt umwerben.
Ja, aber vom Denken wird sie das nicht befreien. Im Gegenteil. Wenn man die Nadel im Heuhaufen sucht, nutzt es nicht viel, immer noch mehr Heu zu haben. Die Nadel ist immer noch gleich groß. Da kommt es dann dazu, dass ich mit Werbung für Inkontinenz-Windeln überschüttet werde, nur weil ich für eine ältere Nachbarin nachgeschaut habe, was ein Treppenlift kostet. So etwas passiert nicht, wenn der Händler den Kunden persönlich kennt.
Dann können sich stationäre Händler also ganz von der Digitalisierung ausklinken?
Im Gegenteil: Wird die Digitalisierung vernachlässigt, ergeben sich schon in naher Zukunft ordentliche Probleme.
Statt online einen Kampf gegen Windmühlen zu führen, sollte der Händler vor Ort seine ureigensten Stärken ausspielen: Service, Beratung und Erlebnisqualität.
Wer etwa keine ansprechende Homepage hat – ja, das gibt es immer noch! – wird über kurz oder lang gar nicht mehr gefunden, weil es für viele längst Routine ist, vor dem Einkauf erst einmal zu googeln. Es macht möglicherweise sogar Sinn, sämtliche Produkte für die Online-Recherche im Internet sichtbar zu machen. Trotzdem braucht aber nicht jeder einen Webshop. Es reicht möglicherweise, dass der Artikel reserviert und im Shop abgeholt werden kann. Das ist von Branche zu Branche, von Geschäft zu Geschäft sehr unterschiedlich. Da muss jeder seinen eigenen Weg entwickeln, indem er sich auf die Bedürfnisse seiner Kunden einstellt.
Sie fordern aber auch von der Politik Unterstützung und von den Händlern mehr Miteinander.
Ja, ich verstehe zum Beispiel nicht, warum zum Thema Öffnungszeiten immer gleich solche Glaubenskriege ausbrechen und warum das Parken immer teurer, die Angebote des Öffentlichen Nahverkehrs aber nicht billiger werden. Und die Händler müssen ganz einfach erkennen, dass sie an einem Strang ziehen und kooperieren müssen, um den Kunden ein attraktives Umfeld zu bieten.
Das neue Buch des Frastanzers Wolfgang Frick enthält viele konkrete Anregungen und Tipps, wie der Handel in einer digitalen Welt bestehen kann. Das Buch ist ebenso wie seine beiden Vorgänger Patient Marke: Kunstfehler im Marketing und Die neue Lust am Entscheiden. Wie Sie mit dem täglichen Überangebot an Möglichkeiten besser zurechtkommen im Buchhandel erhältlich.