Gedächtniskünstler

Obwohl ihre Gehirne nur wenige Gramm wiegen, verfügen Eichel- und Tannenhäher über ein phänomenales Gedächtnis.

FOTOS: GERALD SUTTER, ADOBE STOCK

Sie sind beide ungefähr so groß wie eine Taube und gehören zu den Rabenvögeln. Eichel- und Tannenhäher haben aber noch andere Dinge gemeinsam: Sie lieben es, Vorräte anzulegen. Vor allem im Spätsommer und Herbst sammeln sie Samen von den verschiedensten Pflanzen – am liebsten Koniferensamen, Eicheln und Nüsse – um sie an den unterschiedlichsten Plätzen zu verstecken. Auf diese Weise tragen sie zur Verbreitung dieser Baumarten entscheidend bei. 

JOHANNA KRONBERGER aus Sulz engagiert sich seit vielen Jahren als Obfrau von BirdLife Vorarlberg für den Schutz der Vogelwelt. Die begeisterte Ornithologin hat in Innsbruck und Wien Naturschutz und Biodiversität studiert.

Wirklich erstaunlich ist daran allerdings, wie sie ihre Artgenossen täuschen, um die Vorräte vor anderen zu verheimlichen, und dass sie diese – immerhin deutlich mehr als zwanzig Kilo Nüsse und Sämereien – auch tatsächlich wiederfinden. „Ein Tannenhäher versteckt seine Vorräte im Herbst an bis zu 6000 verschiedenen Stellen und spürt dann während der Wintermonate rund 80 Prozent seiner Beute auch wieder auf“, macht Johanna Kronberger deutlich. „Sogar, wenn diese bis zu 1,3 Meter tief im Schnee vergraben ist, steuert er sie Monate später zielsicher an.“ 

Der Eichelhäher steht seinem Kollegen in dieser Hinsicht nur wenig nach. Auch er verfügt über ein ausgezeichnetes Gedächtnis und findet den Großteil seiner Vorräte problemlos wieder. Er scheint sich dabei an landschaftlichen Gegebenheiten zu orientieren, die er sich fest eingeprägt hat. In Studien wurde sogar nachgewiesen, dass die Häher zudem die Verderblichkeit ihrer Nahrung genau im Kopf haben. Sie leeren jenes Depot als erstes, welches am schnellsten verdirbt. Haltbarere Ware wird noch ein Jahr später an ältere Jungvögel verfüttert. Wissenschaftler gehen außerdem davon aus, dass beide Arten „Hütchenspielertricks“ anwenden, um ihre Verstecke vor Artgenossen zu verheimlichen. Sie wissen immer genau, von wem sie beobachtet werden, und lenken eventuelle Zuschauer mit allerlei Aufmerksamkeit erregenden Aktionen ab, während sie ihre wertvolle Fracht im Boden zwischen Baumwurzeln, unter Laubhaufen oder Flechten und in Astlöchern verschwinden lassen. 

Geschickte Täuschungsmanöver

Diese Ablenkungsmanöver müssen ziemlich gewieft angelegt sein. Denn Versuche haben gezeigt, dass Häher sich beim „Hütchenspiel“ weit schwieriger austricksen lassen als wir Menschen. Beim Verstecken ihrer Vorräte sind diese Rabenvögel in der Regel mucksmäuschenstill, um nur ja keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, während sie sich sonst recht redselig geben. Für die Täuschungsmanöver nutzen Eichelhäher aber durchaus auch ihre Stimme. Sie können die Rufe anderer Vögel sowie sonstige Geräusche hervorragend imitieren. 

Häher arbeiten bis zu elf Stunden am Tag an ihren Winterdepots, die meist auf einen Umkreis von mehreren Kilometern verteilt sind. Mit ihren harten, spitzen Schnäbeln knacken sie problemlos die Schalen, um an die schmackhaften Samen zu gelangen. Sie fixieren Zapfen und Nüsse dafür zwischen ihren Krallen. Nicht umsonst trägt der Tannenhäher im Englischen also den Namen „nutcracker“, und auch sein lateinischer Name bedeutet so viel wie „Nussbrecher“. 

Eiweißreiche Nahrung während der Brut

Aktuell sind die beiden Häher allerdings noch auf der Jagd nach tierischer Beute. Denn im Frühjahr und Sommer stehen bevorzugt Insekten, Frösche, Eidechsen sowie hin und wieder sogar Vogeleier und Jungvögel anderer Arten auf dem Speiseplan. Käfer, Raupen und Engerlinge gehören für Eichelhäher – vor allem während der Brutzeit – zu den Leckerbissen. Obwohl sie also ernährungstechnisch äußerst flexibel zu sein scheint, zeigt sich diese Art trotzdem wählerisch. Der Eichelhäher prüft den Geschmack erst mit der Zunge, bevor er die Nahrung schluckt. Klebrige Kost oder stark behaarte Insekten etwa werden ausgespuckt. 

Mit der eiweißreichen Nahrung ist sichergestellt, dass sich der Nachwuchs gut entwickelt. Tannenhäher bauen ihre Nester recht früh im Frühling hoch oben und nahe am Stamm einer Kiefer, Fichte oder Lärche. Das Weibchen sitzt 16 bis 21 Tage auf den Eiern, aus denen in der Regel drei bis vier Junge schlüpfen, die dann noch gute drei Wochen in der Obhut ihrer Eltern bleiben.

„Der Tannenhäher ist bei uns noch wenig erforscht“, weiß Vogelkundlerin Johanna Kronberger. Er verhält sich vor allem während der Brutzeit unauffällig und ist sehr scheu. „Deshalb ist auch nicht wirklich klar, wie hoch der Tannenhäher-Bestand in unseren Wäldern tatsächlich ist.“ Nur im Herbst und Winter, wenn es diese Vogelart aus Nahrungsmangel auch mal in Gärten in Siedlungsgebieten zieht, bekommt man ihn zu Gesicht.

Durch sein gepunktetes Gefieder unterscheidet sich der Tannenhäher deutlich vom Eichelhäher.

Wächter des Waldes

Der Eichelhäher macht es den Forschern leichter. Er hält sich gerne in lichten Laub- und Mischwäldern – bevorzugt mit Buchen, Hainbuchen und Eichen – , aber auch in größeren Gärten oder Parks auf. Im Winter schnappt er sich die größten Leckerbissen aus dem Futterhaus. Der farbenprächtige Rabenvogel ist auch deutlich lauter und redseliger als sein gepunkteter Verwandter. Mit seinem Geschrei gilt er als Wächter, der andere Waldbewohner vor Raubtieren warnt. Außerhalb der Brutzeit ist er meist in kleinen Trupps unterwegs. 

„Jetzt im Frühsommer kann man sogar regelrechte Versammlungen von bis zu dreißig Eichelhähern beobachten, bei denen es recht laut und lebhaft zugeht“, erklärt Johanna Kronberger. „Man vermutet, dass diese fast zeremoniell anmutenden Events dazu dienen, geeignete Partner zu finden.“ 

Eichelhäher-Paare bleiben sich jeweils für eine Brutsaison treu. Um einen geeigneten Nistplatz kümmert sich das Männchen. Gemeinsam wird dann in einer Höhe von 1,5 bis acht Metern ein Nest aus Zweigen, Gräsern und Laub gebaut, in welchem das Weibchen meist vier bis sieben Eier ablegt. Die angehenden Eltern müssen während der Brutzeit ordentlich auf der Hut sein. Denn Eichhörnchen, Elstern und sogar die eigenen Artgenossen plündern gerne die Gelege. Wenn alles gut geht, schlüpft der Nachwuchs nach 16 oder 17 Tagen, und die Jungvögel werden dann noch drei bis vier Wochen von den Eltern mit eiweißreicher Nahrung versorgt, bis sie flügge sind.

Relativ stabile Bestände

Beide Arten – Eichel- und Tannenhäher – gelten in unserer Region als nicht gefährdet, obwohl der Eichelhäher bis Ende des 19. Jahrhunderts als angeblicher Forstschädling und Nesträuber verfolgt und fast ausgerottet wurde. Schneereiche Winter und der Verlust von Lebensräumen etwa durch Tourismus haben aber durchaus Einfluss auf die Bestandszahlen. Johanna Kronberger: „Gartenbesitzer, die etwas für diese Rabenvögel tun möchten, sollten – vor allem, wenn sie in Waldnähe wohnen – Haselnusssträucher stehen lassen, da sie im Winter eine Nahrungsquelle bieten, auf welche beide Arten gerne zurückgreifen.“

Eichelhäher 

(Garrulus glandarius)

Der Eichelhäher gehört zur Familie der Rabenvögel und gilt in unseren Breiten als der farbenprächtigste dieser Gruppe. Er wird 32 bis 35 Zentimeter groß und wiegt zirka 170 Gramm. Seine Flügelspannweite beträgt ungefähr 53 Zentimeter. Als Lebensraum bevorzugt er reich strukturierte Laub- und Mischwälder, in reinen Nadelwäldern kommt er seltener vor. Je nachdem, wo er beheimatet ist, schaut der Eichelhäher etwas unterschiedlich aus, sodass Forscher teilweise bis zu siebzig Unterarten unterscheiden. Er kommt in ganz Europa sowie in Teilen Nordafrikas und Asiens vor. In unseren Breiten gilt er als nicht gefährdet. 

Tannenhäher 

(Nucifraga caryocatactes)

Der Tannenhäher besiedelt weite Teile Eurasiens von Japan bis in die Westalpen. In unseren Breiten lebt er ganzjährig in erster Linie in Nadelwäldern in höheren Lagen mit vielen Fichten und Zirbelkiefern. Er ist an wenige Baumarten gebunden, von deren Samen er sich außerhalb der Brutzeit ernährt. Der etwa 32 bis 35 Zentimeter große Rabenvogel lebt meist in Paaren oder kleinen Familienverbänden. Seine Flügelspannweite beträgt 54 bis 58 Zentimeter. Erwachsene Tiere bringen etwa 120 bis 170 Gramm auf die Waage.

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