Infiziert mit dem Theater-Virus

„Das Theater kann Augen öffnen, kann Menschen auf der emotionalen Ebene ansprechen und kann den Unterschied zwischen Sein und Schein aufbrechen.” – Das Spiel mit Worten und Gesten, Gesagtem und Ungesagtem fasziniert Karl Müller schon seit seiner Jugend. Mehr als vierzig Jahre und unzählige Auftritte später feilt der Nüziger aktuell an seinem Charakter in einem Stück von Peter Turrini.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT

„Ich liebe Komödien mit Gesellschaftskritik”, erklärt Karl Müller mit dem Brustton der Überzeugung. Der Theaterbesuch soll das Publikum nicht runterziehen, sondern unterhaltsam zum Nachdenken anregen. Er freut sich deshalb, dass er an einer Produktion mitarbeiten kann, die ein schweres Thema humorvoll aufgreift und mit einer gewissen Leichtigkeit viele unterschiedliche Facetten des (Zusammen-)Lebens reflektiert. In „Gemeinsam ist Alzheimer schöner” spielt er einen Mann gegen Ende seines Lebens, der gemeinsam mit seiner Frau gegen das Vergessen ankämpft. Die beiden durchleben noch einmal ihr erstes Zusammentreffen, Freuden und Krisen ihrer Ehe, die persönlichen Veränderungen, die wechselnde Lebensumstände mit sich bringen. Das Vergessen hilft ihnen dabei, sich wiederzufinden. 

„Es ist ein Traum, dass wir so ein Stück bekommen”, ist sich Karl Müller mit den anderen Mitgliedern des kleinen Ensembles einig, das sich am 23. März in der Villa Falkenhorst in Thüringen präsentieren wird. Peter Turrinis Komödie wurde vor zweieinhalb Jahren in Wien uraufgeführt. Amateurtheater müssen normalerweise lange warten, bis sie die Aufführungsrechte von erfolgreichen Autoren bekommen. Doch dieses Stück hat Turrini gleich für alle Bühnen freigegeben. 

Bei den Proben im Douglass-Saal der Villa Falkenhorst herrscht familiäre Atmosphäre. Man kennt sich gut. Die beiden Darsteller Karl Müller und Renate Neve standen schon mehrfach gemeinsam auf der Bühne. Auf dem Sessel der Regieassistentin sitzt Karls Frau Barbara, Renates Mann Loek wacht konzentriert über Licht und Ton. Das letzte Wort hat Werner Berjak, mit dessen Regiestil alle bereits bestens vertraut sind. 

Authentisch agieren

Seit 9. Jänner treffen sich die fünf regelmäßig, um an ihren Rollen zu feilen, die Choreografie auf der kleinen Bühne abzustimmen. „Ich habe den Anspruch, authentisch zu agieren”, möchte Karl Müller den Johannes Vogt, der im Laufe seines Lebens nicht nur seine Ideale verrät, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit verkörpern. Die Rolle ist anspruchsvoll, geht es doch darum, immer wieder von einer Sekunde auf die andere vom Tattergreis am Rollator auf einen jugendlich-stürmischen Eroberer, gewieften Geschäfts- und egozentrischen Ehemann umzuschalten. 

Zum Schauspiel kam Karl Müller ursprünglich über seine Liebe zum Schreiben. Schon während seiner Schulzeit hatte der gebürtige Bürser immer wieder verschiedenste Texte verfasst. Als die Vorarlberger Nachrichten 1976 einen Literaturwettbewerb für Jugendliche ausschrieben, drängte seine Schwester den damals 16-jährigen Gymnasiasten dazu, einen Text einzureichen. Der wurde prompt veröffentlicht. Diese Anerkennung zog Einreichungen und Preise bei den Bludenzer Literaturtagen nach sich und rief in der Folge den Bludenzer Schneidermeister Rudolf Geiger auf den Plan, der dem Theater leidenschaftlich zugetan war. „Du kannst sicher Theaterspielen”, meinte dieser. Er heuerte den Nachwuchs-Literaten kurzerhand für seine Produktion „Pedro, der den Judas spielt” an und infizierte ihn damit nachhaltig mit dem Schauspiel-Virus. 

Wechselnde Ensembles 

In der Folge stand Karl Müller unzählige Male in den unterschiedlichsten Rollen auf der Bühne. Er war Mitglied der Einhornbühne Bludenz, des Spielkreises Bürs, der Studiobühne Montfort, des Theaters Karussel in Schaan, wirkte bei Eigenproduktionen von „kult pur” und der Villa Falkenhorst mit. Der begeisterte Mime bildete sich weiter und führte bald auch immer wieder selbst Regie. Ende der 80er-Jahre absolvierte er dafür eine Ausbildung beim Amateurtheater Landesverband. 

Karl Müller liebt Perspektivenwechsel. Sein Lieblingsstück ist „Venedig im Schnee” des französischen Autors Gilles Dyrek. In dieser schwungvollen Komödie, bei der es darum geht, dass wohlhabende Menschen versuchen, sich durch scheinbar mildtätige Gesten ein reines Gewissen zu sichern, hat er in zwei verschiedenen Inszenierungen bereits beide männlichen Rollen verkörpert. „Eine ganz tolle Erfahrung”, schwärmt der Vollblut-Mime. 

1993 gründete Karl Müller selbst eine Bühne – das „Freie Theater Kopernikus”. „Die Kopernikanische Wende zeigte auf, dass wir Menschen gerne den Schein verteidigen, weil wir uns das Sein (Wahrheit) nicht vorstellen können oder wollen oder weil wir unseren Selbstwert nicht verlieren oder unsere Machtansprüche nicht aufgeben möchten”, erklärt Karl Müller seine Beweggründe, die Bühne nach dem Astronomen Nikolaus Kopernikus zu  benennen, der im 15. Jahrhundert das Weltbild der Menschen ordentlich auf den Kopf stellte. 

Innerhalb von fünf Jahren setzte das Freie Theater Kopernikus drei Produktionen um. „Doch seither befindet es sich im Winterschlaf”, lacht Karl Müller. Neben dem Beruf – er hatte sich nach dem Deutsch- und Geschichte-Lehramt-Studium drei Jahre lang als Lehrer versucht und war dann in die Schulabteilung der BH Bludenz beziehungsweise später in die Personalverwaltung des Landes gewechselt – und dem Engagement als Schauspieler fehlte wohl die Zeit. Pro Jahr wirkte er an ein bis zwei Produktionen mit, die Texte büffelte er während der Zugfahrt ins Büro nach Bregenz und wieder zurück.

Das Theater bescherte Karl Müller auch sein privates Glück – beziehungsweise hat das Glück ihn auf der Bühne gefunden. Seine Frau Barbara sah ihren „Herrn Müller” nämlich 1979 bei einer Produktion des Spielkreises Bürs und beschloss kurzerhand, dem Ensemble beizutreten, um den jungen Mann kennenzulernen, der bei „Die linke Hand Gottes” einen Mönch gab. „Nach einem Jahr hat es dann tatsächlich gefunkt”, lacht Karl Müller. Barbara hat das Theaterspielen kurz vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes aufgegeben. „Sie ist aber immer noch meine strengste Kritikerin”, schätzt ihr Mann das Urteilsvermögen seiner Frau. Die nimmt es im Gegenzug gelassen, wenn ihr Mann auf der Bühne eine andere küsst und ihr die ewige Treue verspricht. 

Sohn Mathias lässt die Theaterwelt zwar auch nicht kalt, er tritt aber auf andere Weise in die Fußstapfen seines Vaters. Er lebt als freier Schriftsteller in Wien. 

Die Inspiration wirkt wechselseitig. Denn als sein Sohn mit dem Studium der Literaturwissenschaften begann, fing auch Karl Müller nach jahrelanger Pause wieder an zu schreiben. Er schickt regelmäßig Texte an verschiedene Literaturmagazine und freut sich, dass immer wieder einmal einer abgedruckt wird und er bei Wettbewerben Anerkennung erfährt. Allerdings mag er es nicht, wenn ihm ein Thema vorgeschrieben wird. Karl Müller lässt sich lieber inspirieren – von einem Satz, den er irgendwo gelesen hat, einer Beobachtung, einer Erzählung seiner Frau. Wenn Prosa oder Lyrik dann zu einem Wettbewerbsthema passen, schickt er den Text ein und schaut, was passiert. 

„Eigentlich habe ich gedacht, dass ich in der Pension mehr schreibe, aber das Gegenteil ist der Fall”, berichtet Karl Müller, der seit einem knappen Jahr den Ruhestand genießt. Reisen und ausgedehnte Bike-Touren stehen ebenfalls auf seiner „To do-Liste”. Doch in den nächsten Wochen geht es vorrangig um Alzheimer, das bekanntlich gemeinsam einfach schöner ist.

„Gemeinsam ist Alzheimer schöner” wird am

Donnerstag, 23. März 2023, 19:00 Uhr (Premiere),
Freitag, 24. März 2023, 19:00 Uhr und
Sonntag, 26. März 2023, 17:00 Uhr

in der Villa Falkenhorst in Thüringen aufgeführt.

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