„Momentan trägt das Kleine das Große”, schmunzelt Bertram Müller. Wellness-Hotels und Freizeiteinrichtungen ordern in Pandemie-Zeiten keine Massageöle, Saunaaufgüsse oder Pflegeprodukte. Umso mehr freut sich der Geschäftsführer des Familienbetriebs, dass viele Privatkunden den Weg zu Kräuter Müller nach Bürs finden. Und zwar schon seit 90 Jahren.
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Bertram Müller ist mit Wohlgerüchen aufgewachsen. Er kann sich gut an den großen Topf auf dem Küchenherd erinnern, in dem seine Eltern abwechselnd geduldig rührten. Die beiden kochten regelmäßig nach einem alten Rezept Latschenkiefer-Creme, die bei rauen, rissigen Händen und Füßen wahre Wunder bewirken soll. Diese Creme gehörte schon in den Anfangsjahren zum Sortiment. Firmengründer Eugen Müller hatte nämlich 1931 in Silbertal eine Latschenkiefer-Destillerie errichtet. Der Lohnmoster wollte damit im Winter sein Einkommen aufbessern. Das hochwertige ätherische Öl füllte er anfangs nur in kleine Flaschen ab. Als er aber mit Motorrad und Anhänger durchs Land zog, um seine Ware an den Mann zu bringen, machte er rasch die Erfahrung, dass die Familien nicht allzu viel anzufangen wussten mit seinem Produkt. Denn Latschenkieferöl hatte zwar einen hervorragenden Ruf als wirksames Mittel gegen allerlei Wehwehchen. Es war allerdings zu scharf, um es direkt auf die Haut aufzutragen und musste erst weiterverarbeitet werden. Eugen Müller machte sich also daran, seine Kunden mit „Fertigprodukten” zu versorgen. So stellte er bald ein Badesalz her, das nach einem arbeitsreichen Tag neue Energie versprach, einen Latschenkiefer-Franzbranntwein zum Einreiben strapazierter Muskeln und Gelenke sowie besagte Latschenkiefer-Creme. Als die Brennerei 1952 durch eine Lawine zerstört wurde und die Behörden einen Wiederaufbau an dieser Stelle untersagten, übersiedelte das Unternehmen in den Flurweg nach Bürs.
Schon als Kind Haarwasser abgefüllt
Dort wurde der Firmengründer immer öfter von seinem Neffen unterstützt. „Wir wurden zum Arbeiten einfach eingeteilt”, lacht Walter Müller. Er musste schon als Zehnjähriger jeden Tag nach der Schule bei Onkel Eugen Latschenkiefer-Produkte und Nussöl sowie Brennnessel-Haarwasser abfüllen, während die beiden älteren Brüder in der Landwirtschaft eines weiteren Verwandten mithalfen. Walter Müller interessierte sich durchaus für die Herstellung kosmetischer Produkte. Er hatte aber längst die Handelsschule absolviert und eine fixe Stelle in der Bezirkshauptmannschaft angenommen, als sein Onkel eines Tages verkündete: „Entweder du übernimmst das alles, oder ich höre auf.” Nun wusste Walter Müller nur allzu gut, dass der gut 60-Jährige mit seinem Betrieb mehr schlecht als recht über die Runden kam. Er selbst hatte das Elternhaus übernommen, eine Familie mit zwei Kindern zu versorgen und wollte deshalb nicht einfach so kündigen. An seiner Stelle rettete seine Frau Brigitte den Familienbetrieb.
Allerdings verstarb Onkel Eugen nur einen Monat später, und damit stand die frischgebackene Geschäftsführerin ohne Gewerbeschein da. „Bei der Wirtschaftskammer erhielten wir die Auskunft, dass nur die Firma Rala in Schlins uns helfen könne”, erzählt Walter Müller. Und Rala-Chef Raimund Lampert erklärte sich tatsächlich bereit, Brigitte Müller zwei Jahre lang anzustellen, damit diese nach diesem „Praktikum” das Gewerbe anmelden konnte. „Dafür sind wir ihm bis heute dankbar.”
Walter Müller bekam aber bald zunehmend Druck von seinem Arbeitgeber. „Sie wollten mich zum Beamten machen”, erklärt er. Die Pragmatisierung erschien ihm damals alles andere als attraktiv. Schließlich war der Beamten-Lohn mäßig, außerdem wollte man ihm seine Nebenjobs untersagen. „Besonders die Tanzmusik war meinen Chefs ein Dorn im Auge”, erinnert er sich. Die wollte er aber ebenso wenig bleiben lassen wie seinen Nebenerwerb im Familienbetrieb sowie als Buchhalter verschiedener Unternehmer und Helfer in einem Weindepot. Die Kündigung hatte er deshalb bei der Sekretärin bereits hinterlegt, als er sich an einem Freitag ins Auto setzte, um nach Burgenland zu fahren. Als er am Sonntag zurückkehrte, hatte er einen Vertriebs-Vertrag mit einem Weinbauern in der Tasche. Am Montag hatten seine Vorgesetzten die Kündigung auf dem Tisch. „Das verstand damals niemand, dass ich den sicheren Beamten-Job nicht wollte”, schmunzelt Walter Müller. Er hat es nie bereut.
Im Gegenteil. Neben seinem damaligen Weinhandel stürzte er sich mit Begeisterung in die Welt der Kräuter. Er lernte immer mehr über die Wirkkraft unterschiedlichster Pflanzen, legte mehrere Kräutergärten an, experimentierte mit verschiedensten Rezepturen und erweiterte nach und nach das Sortiment von Kräuter Müller.
Als in den 1970ern ein regelrechter Wellness-Boom ausbrach, erkannte die Familie Müller ihre Chance. Im Labor entstanden nun auch Saunadüfte und Massageöle, die bis heute in vielen privaten Saunas sowie in hunderten Wellness-Hotels in ganz Österreich, Süddeutschland und Italien zum Einsatz kommen. Parallel dazu ließ sich Walter Müller in der Schweiz zum Masseur ausbilden und gab später sogar Kurse an der Gewerbeschule in Graz. Seine Spezialität war die Massage nach Rudolph Breuß, in die ihn der Bludenzer Heilpraktiker persönlich eingeführt hatte. Bald reihte sich denn auch ein breites Angebot an Tees für die Breuß-Kur ins immer größere Angebot von Kräuter Müller ein. Als „Außendienst-Mitarbeiter” des Unternehmens besuchte Walter Müller regelmäßig die Kurhäuser in ganz Österreich, und 1985 eröffnete er zusammen mit seiner Frau den kleinen Laden neben seinem Elternhaus an der Bürser Hauptstraße.
Kräutergarten hinterm Haus
Viele der verwendeten Heilkräuter baut Familie Müller im großen Garten hinter dem Haus selbst an. Außerdem sieht Walter Müller regelmäßig in seinen Höhenkräutergärten auf der Tschengla und in Bürserberg zum Rechten. Bertram Müller freut sich, dass er mit der Ernte seines Vaters zumindest Spitzen abfedern kann. Echte Himmelschlüssel wachsen ebenso hinterm Haus wie verschiedene Minze-Arten, die etwa für den „Besser-drauf-Tee” gebraucht werden. Als besonderen Schatz würdigt der Firmenchef die Blüten der Goldmelisse. Da diese aufwendig von Hand gepflückt werden müssen, wird ein Kilogramm des getrockneten Krautes nämlich um rund 800 Euro gehandelt. „Dieser Preis wird nur noch von Safran getoppt”, weiß Bertram Müller. Außerdem schätzt er das Mutterwurzkraut und den Alpenliebstöckel besonders. Was er sonst noch braucht für die insgesamt 120 Produkte von Kräuter Müller, bezieht er möglichst aus biologischem Anbau vor allem in Österreich, beziehungsweise innerhalb der EU. „In Vorarlberg gibt es gar nicht die Flächen für einen Kräuteranbau in so großem Stil”, erklärt er, „doch heute kann man auch im Großhandel eine adäquate Qualität bekommen.”
Er benötigt pro Jahr beispielsweise fünfzig Kilogramm getrocknete Ringelblumen, um eine Tonne seines Bestsellers herzustellen. Zahlreiche Kunden schwören auf die Ringelblumencreme von Kräuter Müller, die bis heute nach alter Rezeptur in einem aufwendigen Verfahren mit dem „früher beliebten, heute verkannten Wirkstoffträger” Schweineschmalz gekocht wird. Außerdem werden jedes Jahr hunderte Liter Johanniskrautöl bei Kräuter Müller geordert. In dem Bürser Unternehmen werden verschiedenste Kräuteransätze selbst hergestellt. Alle Produkte werden von Hand abgefüllt und etikettiert. Bereits 1992 wurde der Betrieb biozertifiziert.
Bertram Müller absolvierte nach der Matura das Kolleg für technische Chemie in Wien und arbeitete mehrere Jahre in den Labors verschiedener Vorarlberger Firmen, bevor er sich 1994 entschloss, den Familienbetrieb zu übernehmen. Das chemische Grundwissen kommt ihm heute zugute, wenn er ein neues Produkt entwickelt. Außerdem hat er viele Stunden Pflanzenportraits und die Wirkungsweise ihrer Inhaltsstoffe gebüffelt, um als Externer die Konzessionsprüfung als Drogist zu bestehen. Dieser Befähigungsnachweis ermöglicht es ihm, in seiner Kräuter-Drogerie auch Naturkosmetik, Tees, Nahrungsergänzungsmittel und Pflegeprodukte anderer Hersteller anzubieten. Er hält auch gerne alles Benötigte für „eine rege Szene an Kosmetik-Selbermachern” bereit. Denn diese schätzen die Qualität der Waren von Kräuter Müller und bleiben zufriedene Kunden – auch wenn sie dann irgendwann die Lust daran verlieren, ihre Cremes und Salben selbst zu mixen.
„Unser Sortiment ist immer im Wandel”, erklärt Bertram Müller. Nach seinem absoluten Favoriten im Wohlfühl-Sortiment gefragt, muss der Kräuter-Experte aber nicht lange überlegen: „Saunahonig! Der kann auch als Duschpeeling verwendet werden und macht die Haut weich wie die eines Babys.”