Die Polytechnischen Schulen haben unter den Bildungseinrichtungen Österreichs einen ganz besonderen Auftrag. „Erfunden” wurden sie in den 50er-Jahren, als die Pflichtschulzeit auf neun Jahre erweitert wurde.
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Im Klassenzimmer herrscht angespannte Ruhe. Die Tür öffnet sich. Die nächsten 20 Minuten können entscheidend sein. Der sichtlich nervöse Referent beginnt mit seinem Vortrag. Die Schüler lehnen sich entspannt zurück. Die „Firmentage” am Bludenzer Poly sind auf dem Weg zur richtigen Berufswahl ein wichtiges Puzzlestück: Mitarbeiter von teilnehmenden Betrieben stellen dabei den Schülern in jeweils 30minütigen Vorträgen ihre Firma als künftigen Arbeitgeber vor. Jeder Schüler erhält so an diesen beiden Vormittagen Einblick in jeweils acht Firmen, für deren Vorträge er sich zuvor angemeldet hat.
Das Interesse der Betriebe an diesen „umgekehrten Bewerbungsgesprächen” ist in den letzten Jahren stark gestiegen, bestätigt Dir. Manfred Sonderegger. „Früher machten ein paar Firmen aus Bludenz und der näheren Umgebung mit. Heuer waren schon 50 Firmen aus dem ganzen Land dabei.”
Die meisten Schüler absolvieren an den Polytechnischen Schulen ihr verpflichtendes 9. Schuljahr. In Bludenz sind gut 30 Prozent der Schüler „freiwillig” hier: Die Gründe für das freiwillige 10. Schuljahr sind vielfältig. Manche Schüler haben sich noch nicht für eine bestimmte Berufsausbildung entschieden, andere haben durch den Besuch der Vorschule bereits die Schulpflicht erfüllt, wissen aber noch nicht, was sie werden sollen, wieder andere wollen ihre Noten oder möchten ihre Sprachfertigkeit verbessern.
Für die Jugendlichen geht es in diesem einen Schuljahr im Poly in jedem Fall um nicht weniger als um die bestmögliche Vorbereitung auf das künftige Berufsleben. Das Engagement, mit dem sie dabei von Direktor Manfred Sonderegger und seinem Team unterstützt werden, geht weit über das einer „allgemeinen Schulpflicht” hinaus. Hier in Bludenz wurden schon viele beispielgebende Initiativen und Ideen entwickelt, um die Jugendlichen „auf den richtigen Weg” zu bringen. In einem umfassenden Prozess geht es darum herauszufinden, welche Berufsfelder den Eignungen und Neigungen der Schüler am besten entsprechen.
Lehrkräfte als Helfer und Weichensteller
Zum Fachbereich „Technik” gehören die verschiedenen handwerklichen Berufe. Zum Fachbereich „Management und Dienstleistung” gehören Berufe im Handel, Büro, Tourismus sowie Gesundheits- und soziale Berufe.
Für die Entscheidungsfindung erhalten die Schüler – neben 18 Wochenstunden Unterricht in den klassischen Fächern wie Deutsch, Englisch, Mathe etc. – in jeweils zwölf Wochenstunden alle erdenklichen Informationen zu den Berufen in ihrem Fachbereich. Auch die Eltern werden über gemeinsame Gespräche mit ihrem Kind und den Pädagogen in den Prozess eingebunden.
Angesichts der sinkenden Geburtenzahlen und dem anhaltenden Trend zu höheren Schulen herrscht tatsächlich ein regelrechtes „G’riß” um die Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen. „Die Anforderungen sind andererseits aber überall gestiegen”, stellt Sonderegger klar, dass die Situation für die jungen Erwachsenen insgesamt nicht leichter geworden ist: „Hilfsarbeiterjobs” sind praktisch gänzlich verschwunden und durch Roboter ersetzt worden. Und zum erfolgreichen Lehrabschluss gehören heute in fast jedem Fach umfassende Computerkenntnisse – wie sie noch vor zehn, 15 Jahren nur von Spezialisten gefordert waren.
Am Poly Bludenz wird viel getan, um die jungen Leute für einen erfolgreichen Berufseinstieg fit zu machen: Die Lehrpläne werden in den einzelnen Fachbereichen flexibel modifiziert, bei Nachholbedarf gibt es gezielte Förderungen in kleinen Gruppen.
Auch auf Manieren wird viel Wert gelegt
Das Lernen am Poly Bludenz erschöpft sich aber nicht in den vorgegebenen Lehrinhalten: Zu einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn gehört schließlich mehr als bloßes Fachwissen und handwerkliches Können. Gute Manieren, Verlässlichkeit, Durchhaltevermögen oder Hilfsbereitschaft sind Tugenden, die am Poly ebenfalls trainiert werden. Mit eigens entwickelten Bonus-Systemen etwa, mit denen sich Schüler notwendigen Förderunterricht ersparen oder die Teilnahme an interessanten Belohnungsprojekten verdienen können.
„Das Verhältnis zwischen uns Lehrern und den Schülern ist so angelegt, wie es zwischen einem Chef und den Mitarbeiter sein soll”, erläutert Sonderegger einen der Grundsätze in der PTS Bludenz: „Mitarbeiter haben natürlich Aufgaben und Pflichten. Aber ein guter Chef muss vor allem darauf schauen, dass es den Mitarbeitern gut geht und sie motiviert bleiben”.
PTS Bludenz bei Lehrkräften gefragt
Das gelingt in sehr hohem Maße. Viele der Jugendlichen, deren schulische Karriere bis dato von Prüfungsdruck und der Angst vor Niederlagen geprägt war, entdecken sich in dieser positiven und wertschätzenden Umgebung ganz neu. „Es geht ihnen der sprichwörtliche Knopf auf”, umschreibt es der Direktor. Die allermeisten Poly-Absolventen steigen mit neuem Selbstbewusstsein und allem notwendigen Rüstzeug in das Berufsleben ein. Und 15 bis 20 Prozent jedes Jahrganges wechseln nach dem Poly in eine höhere Schule.
Die „Firma PTS Bludenz” läuft insgesamt also sehr gut. Obwohl die „Branche“ mit Lehrermangel kämpft, hat sich die PTS weit über die Landesgrenzen hinaus als attraktiver Arbeitsplatz etablieren können: Es finden sich immer wieder Lehrpersonen, die bereit sind, einen langen Fahrweg z.B. aus Tirol auf sich zu nehmen, um an dieser ganz besonderen Schule zu unterrichten.