Kann man als selbstständige Porträtmalerin in Bludenz seinen Lebensunterhalt verdienen? Chantal Boso Flores will es jedenfalls versuchen. Mit Ölfarbe und Pinsel bannt sie ausdrucksstarke Gesichter auf Leinwand.
FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT
„Im Moment habe ich genug Aufträge”, freut sich Chantal Boso-Flores. Mehrere Privatleute aus Vorarlberg haben Porträts bei ihr bestellt. Ein Bild für die Bürser Schützengilde ist bereits in Arbeit. Chantal Boso Flores träumte schon als Kind von einem Leben als Künstlerin. Und dies nicht nur aufgrund ihres klangvollen Namens, den sie dem Vorarlberger Vater und der philippinischen Mutter verdankt. Als sie klein war, verbrachte die Familie den Sommer immer wieder auf den Philippinen. Chantal Boso Flores besuchte dort während dieser Zeit den Kindergarten, wo neben Mathematik und anderen Fächern auch Kunst auf dem Stundenplan stand. Die Faszination von damals hielt an. Während sie in der Jugend noch oft zu Blei- und Kohlestift griff, entwickelte sie später eine besondere Vorliebe für Ölfarben. „Ich habe auch hier in Vorarlberg Kurse besucht, zum Beispiel bei Malgrund in Satteins”, erzählt die 23-Jährige, die zudem privaten Zeichenunterricht nahm. Nach der Matura im Zweig Natur und Technik am Bludenzer Gymnasium ging die junge Frau ganz konkret daran, ihren Kindheitstraum in die Tat umzusetzen. Ihre erste Station war die Kunstschule Liechtenstein. Bei der Beschäftigung mit unterschiedlichsten Techniken wurde ihr klar: Sie wollte auf ganz traditionelle Weise malen lernen. Shane Wolf, Cesar Santos und Teresa Oaxaca sind Vorbilder für die junge Frau. Sie recherchierte deshalb, wo diese Künstler das Rüstzeug für ihre eindrucksvollen Gemälde erworben hatten, und wollte es ihnen gleichtun. Chantal Boso Flores bewarb sich mit ihrer Mappe an der Angel Academy of Art in Florenz und studierte dort drei Jahre lang die Techniken der alten Meister.
Die Zeit in Florenz war anstrengend und inspirierend zugleich. Chantal Boso Flores besuchte regelmäßig Ausstellungen und die berühmten Meisterwerke in den Uffizien, lernte Gleichgesinnte aus aller Welt kennen. Die Studienkollegen kamen aus den USA, aus China, Indien und vielen anderen Ländern, unterrichtet wurde sie in englischer Sprache. Mit dem Mal-Diplom in der Tasche entschloss sich die Bludenzerin, noch ein weiteres Jahr in der Toscana dranzuhängen. Denn der amerikanische Maler Charles H. Cecil betreibt in Florenz ein Studio nach dem Vorbild der Renaissance-Künstler, die ihre Ateliers Gleichgesinnten öffneten. Sechs Stunden täglich malten Chantal Boso-Flores und ihre Kollegen dort im 14-Tage-Rhythmus wechselnde Modelle und verfeinerten ihre Technik immer weiter. Weil Corona aber die Öffnungszeiten der Museen und Galerien stark einschränkte und auch Ausstellungen der Studenten vereitelte, fieberte Chantal Boso-Flores zum Ende ihrer Studienzeit doch der Rückkehr in ihre Heimat entgegen. „Wer hier aufgewachsen ist, vermisst nach einer gewissen Zeit die Berge”, hat sie erfahren. Die sollen ihr in den nächsten Monaten ebenfalls Modell stehen.
Denn während einer Wanderung auf den Spuren des „Meisters des Lichts”, William Turner, entdeckte Chantal Boso Flores in diesem Sommer ihre Freude am Malen in der freien Natur. Obwohl sie in ihrem eigenen Atelier die Stille sucht, um sich zu konzentrieren, macht es ihr im Freien nichts aus, wenn sie beim Arbeiten angesprochen wird. Im Gegenteil: „Ich habe auf dieser Wanderung entlang des Rheins interessante Menschen kennengelernt.” So ergab sich etwa ganz spontan eine private Führung durch das älteste Theater in Koblenz.
Mit zeitgenössischer Kunst konnte Chantal Boso Flores früher nicht so viel anfangen. Das Studium der alten Meister brachte sie aber auch in dieser Hinsicht weiter. „Ich habe das Gefühl, dass ich die Werke jetzt mehr verstehe”, freute sie sich etwa kürzlich bei einem Besuch in der Tate Modern Gallery in London. Ihr eigenes künstlerischen Schaffen sieht sie – vorerst – jedoch in einer möglichst genauen, dreidimensionalen Wiedergabe dessen, was sie sieht. Sie nutzt die Fotografie, um sich mit ihren Kunden auf ein gewünschtes Ergebnis zu verständigen. Mancher Auftraggeber bringt auch gleich einen Lieblings-Schnappschuss mit. Manchmal muss die junge Künstlerin die Erwartungen jedoch einbremsen. „Nicht jedes Foto eignet sich für ein Gemälde”, erklärt sie. Zu viele Lichtquellen etwa können ein Motiv zerstören, und auch ein überbelichtetes Bild lässt sich nur mit großen Abstrichen auf Leinwand bannen. Alle benötigten Farbtöne mischt die junge Künstlerin meist nur aus dem Inhalt von vier Tuben. Sie orientiert sich an dem Konzept des schwedischen Künstlers Anders Zorn, dessen Palette nur Weiß, Rot, Gelb und Schwarz enthielt. „Das sorgt für mehr Harmonie”, ist Chantal Boso Flores überzeugt.
Für sie hat es sich vorerst gut gefügt, „und dafür bin ich sehr dankbar”. Psychotherapeutin Dr. Gertrud Würbel hat der jungen Künstlerin in ihrem traditionsreichen Haus, der Würbel- Villa mitten in Bludenz, ein Atelier verpachtet. Dort findet sich die Porträtmalerin jeden Morgen pünktlich um 9 Uhr ein. Konsequent arbeitet sie bis 17 Uhr an ihren Werken. „Sonst wird es chaotisch”, setzt Chantal Boso-Flores auf einen geordneten Rhythmus. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, neben den Auftragsarbeiten ein berühmtes Selbstporträt von Angelika Kauffmann zu kopieren. Das Original hängt in den Uffizien in Florenz.
Im Herbst bereitet sie außerdem ihre allererste Einzelausstellung vor: Vom 17. November bis 23. Dezember sollen ihre Werke in der Kellergalerie kukuphi in Bludenz zu sehen sein. Das Motto lautet: Neue Welt – alte Technik.