Das Haus des Revoluzzers

Als Marina Falch und Mathias Prattes vor drei Jahren ein altes Haus in Schlins erstanden, war ihnen nicht bewusst, dass in diesem vor mehr als 500 Jahren ein streitbarer Mann geboren worden war, der bis heute von Protestanten auf der ganzen Welt verehrt wird.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, GEMEINDEARCHIV SCHLINS, DR. DIETER PETRAS, PRIVAT

„Bis vor rund dreißig Jahren hat man sich in Schlins allerdings wohl eher für ihn geschämt”, lacht Gemeindearchivar Dr. Dieter Petras. Er hatte schon seit einiger Zeit den Verdacht, dass es sich bei dem alten Haus am „Lusbühel” um das Geburtshaus von Bartholomäus Bernhardi handelt – einem katholischen Priester, der sich einst gegen das Zölibat stellte und sich auf die Seite seines Freundes Martin Luther schlug. Er gilt als der erste Priester und Mönch weltweit, der in der Kirche in Amt und Würden heiratete und eine Familie gründete. Die wenigen Priester, die vor ihm einer Frau das Ja-Wort gaben, hatten zuvor ihr Amt zurückgelegt. Oder sie waren nach der Hochzeit vor den Bischof zitiert, verhaftet, verjagt beziehungsweise gezwungen worden, ihre Ehe zu widerrufen. Bartholomäus Bernhardi blieb dies erspart, weil Kurfürst Friedrich III. von Sachsen seine Hand schützend über ihn hielt und er seinen Schritt in einer umfangreichen Schrift – wohl ziemlich geschickt – verteidigte.

Marina Falch und Mathias Prattes hatten noch nie zuvor von diesem aufmüpfigen Priester gehört, als Dr. Petras Ende letzten Jahres bei ihnen anklopfte und bat, ihr Haus dendrochronologisch untersuchen zu dürfen. Die gebürtigen Feldkircher hatten zuletzt in Dornbirn gewohnt. Sie waren auf der Suche nach einem kostengünstigen Eigenheim in Schlins fündig geworden. Zur Ermittlung des Kaufpreises waren die Entsorgungskosten für das alte Gebäude vom Wert des Grundstückes abgezogen worden. „Alle haben uns geraten, wir sollten das Haus sofort abreißen und neu bauen”, erzählt Marina Falch. Glücklicherweise haben sie dies aber nicht getan. Ihr Lebensgefährte und sie hatten sich spontan in das alte Gemäuer verliebt und beschlossen, es für ihre Zwecke umzubauen. Seit drei Jahren stecken sie nun schon jede Menge Arbeit und Begeisterung in diese Aufgabe.

„Wenn ich denke, wie viele Menschen hier schon gelebt haben”, schwärmt Marina Falch. Trotzdem staunte sie nicht schlecht über die Ausführungen des Schlinser Gemeindearchivars. Als dieser vor gut zehn Jahren im Auftrag der Gemeinde die Kirchengeschichte von Schlins unter die Lupe nahm, hatte er schon einmal das Alter eines vermuteten „Bernhardihauses” bestimmen lassen. Damals war er sehr enttäuscht. Denn aufgrund widersprüchlicher Angaben hatte er das falsche Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite untersuchen lassen. Es galt also, sich Gewissheit zu verschaffen – eben im Haus der jungen Zuzügler. Marina Falch und Mathias Prattes stimmten zu, dass aus dem alten Gebälk Proben entnommen und analysiert werden – und waren vom Ergebnis sehr überrascht. Sie hatten ein Haus gekauft, das 1460 – also vor gut 560 Jahren – erbaut worden war. „Es hat sogar die Plünderungen im Zuge des Schweizerkrieges 1499 überstanden und ist eines der ältesten Gebäude im Ort”, erklärte ihnen Dr. Petras. Bis auf einen kleinen Küchenbrand scheint es über die Jahrhunderte allen Unbilden getrotzt zu haben.

Für das junge Paar passt dies alles perfekt. Mathias Prattes – Sozialarbeiter und mit beachtlichem handwerklichem Geschick gesegnet – ist es nämlich sehr wichtig, den Umbau nach alter Tradition und nachhaltig umzusetzen. Drei Jahre lang arbeitet er bereits an dem Gebäude, „und es wird wohl noch fünf weitere Jahre dauern, bis ich fertig bin.” Raum für Raum nimmt sich der Hausherr vor. Er verkleidet die Wände mit Strohmatten, um sie dann mit Kalk oder Lehm zu verputzen und verwendet Baumaterialien, die andere zur Entsorgung freigeben. „Es muss nicht alles neu sein”, weiß das Paar die besondere Patina von alten Gegenständen zu schätzen. Sohn Ilias erkundet gerne alle Ecken und freut sich bereits auf sein neues Zimmer.

Marina Falch musste sich allerdings ziemlich umstellen. „Ich bin eigentlich der Typ Mensch, der ein Konzept braucht”, lacht sie. Es fiel ihr anfangs schwer, sich ohne genauen Plan auf das alte Gemäuer einzulassen, das nach und nach immer neue Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten bereithält. „Es geht gar nicht anders, ich musste mich anpassen und bin jetzt offen für alles.” Die junge Familie fühlt sich gut angenommen in Schlins. „Wir waren grad erst eingezogen, als der erste Lockdown ausgerufen wurde, und hatten keine Schaufel”, erinnern sie sich an viel Arbeit und geschlossene Geschäfte. Doch die Nachbarn halfen den „Neuen” sofort gerne aus. Diese Hilfbereitschaft freut Marina Falch und Mathias Prattes bis heute. Deshalb sind sie auch gerne bereit, selbst etwas zurückzugeben.

Seit Dieter Petras an ihrem Gartenzaun eine kleine Gedenktafel an Bartholomäus Bernhardi anbrachte, bleiben immer wieder Radler und Spaziergänger interessiert vor ihrem Zuhause stehen. So entstand die Idee, einen kleinen Teil des Gebäudes langfristig als Museum zugänglich zu machen. Von Gemeindearchivar Petras wurde der Familie bereits Unterstützung zugesagt. „Aber wir stehen da erst ganz am Anfang”, wollen alle Beteiligten noch keine allzu großen Erwartungen schüren. Sie sind sich einig: „Für dieses Vorhaben brauchen wir unbedingt ein richtiges Konzept.”


„Ein Denker, ein Vorkämpfer, ein ehrlicher Mann” – So lautet Dr. Dorothea McEwans Urteil über Bartholomäus Bernhardi. Die Historikerin stolperte einst ganz zufällig in der britischen Nationalbibliothek über die Verteidigungsschrift des Bartholomäus Bernhardi. Die „Apologie” hat sie zu umfangreichen Forschungen angeregt. Und dies aus gutem Grund: Dr. McEwan, geborene Bernhard, hat Vorarlberger Wurzeln und ist sich sicher, dass sie von einem Bruder des Bartholomäus Bernhardi abstammt. Schon ihr Vater hatte ihr immer wieder von dem berühmten Vorfahren erzählt. Dr. McEwan war viele Jahre lang als erste Archivarin des renommierten Warburg Institute in London angestellt. Sie freut sich sehr, dass Bernhardis berühmtes Buch, welches die katholische Kirche auf den Index der verbotenen Bücher verbannt hatte, in Großbritannien überlebt hat. Sie hat Bernhardis Wirken 1986 in einem Buch beschrieben und Vorträge über ihn gehalten. Seit ihrer Pensionierung engagiert sie sich vor allem für sehbehinderte und blinde Menschen in Äthiopien.

Bartholomäus Bernhardi

Bartholomäus Bernhardi wurde am 24. August 1487 in Schlins geboren. Sein Vater war Spruchrichter und Landamann. Unter Angehörigen der ländlichen Oberschicht war es damals üblich, die Söhne zum Studium fortzuschicken. Feldkirch galt zu dieser Zeit als ein geistiges Zentrum, das laut dem Zeitzeugen Kaspar Bruschius damals mehr gelehrte Männer hervorgebracht habe als Rom. Andererseits waren die Zeiten unsicher. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Zuge des Schweizerkrieges griffen immer wieder auf Vorarlberg über. Bartholomäus Bernhardi wurde bereits im Alter von zwölf Jahren an der berühmten Lateinschule in Eisenach in Thüringen aufgenommen. Dort lernte er einen gewissen Martin Luther kennen. Er studierte in Erfurt und Wittenberg Physik und Philosophie, promovierte 1508 mit dem Titel Magister Artium und nahm eine Lehrtätigkeit auf. Wie vier Jahre zuvor Martin Luther trat er 1509 in den Augustinerorden ein und widmete sich dem Theologiestudium. Bartholomäus Bernhardi wurde um das Jahr 1515 zum Priester geweiht und 1519 zum Propst von Kemberg bestellt. Er verteidigte von Beginn an die Thesen Martin Luthers und stellte sich damit offen gegen den Papst. Mit einem feierlichen Gottesdienst an seinem 34. Geburtstag machte er seine Vermählung in großer Geste öffentlich. Am 26. Mai 1521 berichtete Martin Luther – er befand sich zu diesem Zeitpunkt in Schutzhaft auf der Wartburg – einem Freund in einem Brief von dieser Hochzeit und bewunderte darin Bernhardis Mut. Der Revoluzzer aus Schlins verfasste eine umfangreiche Verteidigungsschrift, „die Apologia”, in der er darlegte, dass die Ehelosigkeit der Priester sich nicht aus der Bibel ableiten lasse. Das Zölibat verleite sogar zu schlimmeren Sünden, kreidete er der katholischen Kirche sexuellen Missbrauch vor allem in den Klöstern an. Kein Wunder also, dass seine Schriften später auf dem Index verbotener Bücher der katholischen Kirche landeten. Bartholomäus Bernhardi gilt als Begründer des evangelischen Pfarrhauses. Er hatte sieben Kinder. Als 1547 spanische Truppen Wittenberg eroberten, wurde er als Galionsfigur der Reformation gefangen genommen und über seinem Schreibtisch aufgehängt. Seine Frau konnte ihn im letzten Moment retten, weil die Soldaten gestört wurden. Diese kehrten jedoch zurück und nahmen ihn in ihr Hauptlager mit. Dort erbarmte sich ein deutscher Offizier seiner, sodass er nach Kemberg zurückkehren konnte. Der streitbare Priester verstarb am 21. Juli 1551. Dass er die Reformation konsequent lebte, zeigte sich auch nach seinem Tod. In seinem Testament vermachte er seiner Frau Gertraude eine Hälfte seines Vermögens, die andere Hälfte wurde zu gleichen Teilen unter seinen zwei Söhnen und den fünf Töchtern aufgeteilt. Üblicherweise wurden zu dieser Zeit männliche Nachkommen stark bevorzugt und Frauen in Abhängigkeit gehalten.

Quellen: Dr. Dieter Petras (Hg.): „Kirchengeschichte von Schlins”; www.rheticus.com: „Bartholomäus Bernhardi – Ein kurzes Lebensbild” von Philipp Schöbi

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