Die grünen Spinner von damals

„Wir wurden als grüne Spinner belächelt, und es wurde uns vorgeworfen, Schwarzarbeit zu fördern”: So erinnert sich der mittlerweile pensionierte Thüringer Gymnasiallehrer Mag. Walter Pfister. Anfang der 90er-Jahre organisierte er die ersten Solaranlagen-Selbstbaugruppen in Vorarlberg. Er war damit der Wegbereiter für die Solarthermie im Ländle. Mit etwa 300.000 Quadratmetern Kollektorfläche nimmt Vorarlberg heute eine Spitzenposition in Europa ein. Und im Speziellen der Walgau darf mit mehreren international agierenden Firmen als Kompetenzzentrum für Solarthermie und Photovoltaik bezeichnet werden.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT, ENERGIEINSTITUT, FA. DOMA

Walter Pfister muss selber ein bisschen schmunzeln über das Werkstück, das vor 31 Jahren in einer Solaranlagen-Selbstbaugruppe entstanden ist. Ein zerknittertes Kupferblech, 70 Zentimeter breit und zwei Meter hoch. Darin eingearbeitet ist eine Kupferrohrschlange mit einer Gesamtlänge von etwa acht Metern. Das Ganze wurde mit hitzebeständiger schwarzer Farbe lackiert. „Ja, das schaut jetzt nicht wirklich super aus”, gibt Pfister zu.

Aber um einen Schönheitspreis ging es ihm und seinen Mitstreitern nicht, als sie vor 30 Jahren mit der Produktion dieser Knitterbleche begannen. Wenn die fertigen Teile in der Sonne liegen, erwärmt sich das Wasser in den Kupferröhren. Mit ein paar Quadratmetern dieser Selbstbau-Solaranlagen kann man den Warmwasserbedarf für Dusche, Bad und Heizung nur mit der Kraft der Sonne, lautlos und ohne Emissionen maßgeblich abdecken. Solarpionier Walter Pfister und seine Verbündeten verhalfen ihr im Ländle ab 1990 zum Durchbruch.

Schon einige Jahre zuvor hatte sich in Thüringen die Gruppe „Kreislauf” gegründet. „Wir waren etwa 30 junge Leute und es war uns nicht wurscht, was in und mit unserer Umwelt passiert”, fasst Pfister zusammen. Zu Themen wie Mülltrennung, Baumsterben oder Atomkraft organisierte man Vorträge, verteilte Flugblätter und lud zu diversen Veranstaltungen. Das Interesse daran war regelmäßig groß, obwohl sich die Werbung – damals auch ohne E-Mails, Facebook und Twitter – auf Mundpropaganda und ein paar Flugblätter beschränkte.

Zum Thema „Ernährung und Gesundheit” etwa hatte man in den 80er-Jahren ursprünglich in den kleinen Thüringer Gemeindesaal geladen. Wegen zahlreicher Anfragen verlegte man kurzfristig in die Hauptschul-Turnhalle, die dann von 1.200 Besuchern regelrecht gestürmt wurde. „Das hat uns alle überwältigt”, erinnert sich Pfister.

Im Rahmen einer Lehrer-Fortbildung lernte er die steirische „Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie” kennen, die den Eigenbau von Solaranlagen bewarb. „In Vorarlberg gibt es viele geschickte Leute, das können wir auch”, war Pfister sofort überzeugt. Schon am 2. März 1990 stellte einer der Steirer bei einer Kreislauf-Veranstaltung in Thüringen das Selbstbau-System vor. Spontan meldeten sich 36 Personen, die Interesse an einer Eigenbau-Solaranlage bekundeten.

Vom Klassenzimmer auf die Hausdächer

Walter Pfister übernahm die Organisation und Koordination, und schon bald entstanden die ersten Solaranlagen. Medienberichte über die Solarbastler befeuerten das Interesse im ganzen Land, und Walter Pfister war damals „bald mehr auf Hausdächern als im Klassenzimmer” unterwegs. 

Er fungierte – insgesamt 15 Jahre lang – auch als Obmann der „Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie” (ab 1991 als Zweigverein des steirischen Landesverbandes und seit 1999 als eigenständige Vorarlberger Organisation). Dem damaligen „Energiesparverein Vorarlberg”, der 1996 zum Energieinstitut wurde, blieben die Aktivitäten der Selbstbauer nicht verborgen. Sie holten Walter Pfister ins Boot, um dieses Thema weiter voranzutreiben. Zunächst reduzierte er dafür seine Lehrtätigkeit, von 1992 bis 1994 ließ er sich freistellen und arbeitete hauptberuflich im Energiesparverein. 

Auch das Land Vorarlberg meldete Interesse: Der damalige Landeshauptmann Dr. Martin Purtscher aus Thüringen hatte Mitglieder der Gruppe Kreislauf – einige davon direkte Nachbarn – schon früher zum Gedankenaustausch in seine Stube geladen. Bereits 1991 präsentierte das Land ein Fördermodell, das für die Errichtung von Solaranlagen einen finanziellen Zuschuss gewährte. An diesem Modell hat nicht zuletzt Walter Pfister als Teilzeit-Mitarbeiter beim Energieinstitut maßgeblich mitgearbeitet. 

Damit war der Vormarsch der Solarthermie nicht mehr zu stoppen. „Dass wir mit unseren Eigenbau-Kollektoren eine solche Dynamik entwickeln konnten, das war wirklich sensationell”, erinnert sich Walter Pfister gerne daran zurück. Die Montage von Solarkollektoren ist heute keine aufregende Sache mehr und gehört für Häuslebauer praktisch zum Standard. Es hat sich längst herumgesprochen, dass sie nicht nur gut für die Umwelt sind, sondern auch finanziell eine lukrative Investition darstellen: Die Kosten amortisieren sich – je nach Lage und Verbrauch – schon in fünf bis acht Jahren. Ihre Lebensdauer aber beträgt – wenn man ein bisschen dazuschaut – weit mehr als 20 Jahre. 

Auch die meisten „Knittermodelle” der Pioniere sind übrigens nach wie vor in Betrieb und liefern kostenlos Warmwasser. Ein bisschen vermisst  ihr damaliger „Anführer” die Aufbruchsstimmung von damals. „Wir haben überhaupt nicht nachgerechnet, ob sich das rentiert. Unser Antrieb war ganz einfach, die vorhandene Sonnenenergie zu nutzen”, sinniert Pfister über eine der Ursachen für diese Aufbruchsstimmung.

Er blickt dabei über die Straße zum Haus seines Nachbarn. Ob sich dieses Windkraftwerkle rechnet, darüber hat der Nachbar sicher auch nicht nachgedacht. Aber es lässt sich offenbar in Eigenregie herstellen…

Nach wie vor werden in Vorarlberg jährlich tausende Quadratmeter neue Solarkollektoren installiert. Aber es waren schon mehr. (Datenquelle: Energieinstitut/Schlader)

 

Von den Selbstbau-Kollektoren in der Nachbargemeinde zeigte sich auch Gebhard Bertsch begeistert. „Aber die Kollektoren könnte man schon noch schöner und besser machen”, war der technikbegeisterte und damals 32-jährige Ludescher überzeugt. Aus diesem Gedanken erwuchs die bald international erfolgreiche Firma „Doma Solartechnik”.

Energieberater Gebhard Bertsch

1990 arbeitete Gebhard Bertsch bei der Hydro Aluminium in Nenzing. Er wusste durch dort gefertigte Wärmetauscher (ein Sonnenkollektor ist eigentlich nichts anderes)  schon einiges über diese Technik. Und kannte die Möglichkeiten und Vorteile von Aluminiumprofilen. Er befasste sich in der Folge intensiv mit dem Spezialgebiet Solarenergie und trug  alles an Wissen darüber zusammen. 1993 gründete Gebhard Bertsch gemeinsam mit Ernst Bertsch und Markus Tinkhauser die Firma Doma Solartechnik. In einer Garage in Bludenz-Brunnenfeld konnten die ersten Kollektoren gefertigt werden – auch als Bausätze für die Selbstbaugruppen.

 

Die wasserleitenden Kupferrohre waren in eigens entwickelte (und patentierte) stabile Aluminiumprofile gepresst. Zusammen mit den anderen perfekt abgestimmten und professionell verarbeiteten Bauteilen – Dämmung, Holzrahmen und Verglasung – war der Doma-Kollektor bald ein Verkaufsschlager.

Solaranlagen wurden vom Land ja schon seit 1991 gefördert, was die Nachfrage entsprechend ankurbelte. Und nicht jeder wollte seine Solaranlage selber bauen. „Mit unserem in Vorarlberg entwickelten Doma-Kollektor hatten wir bei den Interessenten natürlich einen Startvorteil”, erinnert sich Gebi Bertsch. „Wir konnten den Kollektor in mehreren Standardgrößen,  und  als einzige am Markt auch in allen gewünschten Sondermaßen und -formen liefern”, nennt er weitere Gründe für den raschen Erfolg.

Spitzenwerte für den Ländle-Kollektor

Gebi Bertsch bei der Montage eines seiner ersten Kollektoren.

Auf diesem ruhte man sich aber nicht aus: Beim Institut für Solartechnik in Rapperswil bei Zürich wurde der Doma-Kollektor auf Herz und Nieren getestet und weiter optimiert. 1996 bescheinigte das Institut dem Doma-Kollektor bei einem Vergleichstest  in seiner Klasse Bestwerte. Außerdem entwickelte man einen Kollektor, der vertikal in die Fassade eingebaut werden konnte: Der brachte im Winter – wenn der Wärmebedarf besonders hoch ist – mehr Ertrag und wurde von Architekten – mit denen Gebi Bertsch von Anfang an zusammenarbeitete – gerne als Gestaltungselement eingesetzt. Im August 1996 veröffentlichte das deutsche Konsumentenmagazin einen Vergleichstest von 73 Kollektoren verschiedener Hersteller aus ganz Europa: Dem Doma-Kollektor wurde dabei das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bescheinigt. „Nach diesem Ergebnis, das in den Vorarlberger Medien und in Fachzeitschriften in ganz Europa publiziert wurde, ging die bereits starke Nachfrage durch die Decke”, erinnert sich Bertsch. Die Produktionskapazitäten – die bereits nach zwei Jahren von der Garage in Bludenz in den Gewerbepark Bludesch verlagert worden war – reichten nicht mehr aus.

1999 wurde in Satteins gemeinsam mit der auf Photovoltaik spezialisierten Firma „stromaufwärts” das neue Firmengebäude eröffnet. Für die umweltfreundliche Planung des „Energieparks West” wurden die Bauherren im Jahr 2000 in Berlin mit dem Europäischen Solarpreis ausgezeichnet. 

Doma hatte sich schon längst über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus einen guten Namen gemacht. Die Wiener Firma „AluKönigStahl” beteiligte sich 2001 an Doma und erwarb schließlich auch die Mehrheit. Gebi Bertsch veräußerte seine Geschäftsanteile und startete in Ludesch mit einem eigenen Beratungsbüro durch. Das führt er bis heute sehr erfolgreich. Er hat schon unzähligen Bauherren zu optimalen Energielösungen verholfen und einen speziellen Fokus auch auf die Verwendung von ökologischen Baumaterialien gesetzt. Der Solarthermie ist er natürlich treu geblieben: Sein umfangreiches und aktuelles Wissen gibt er seit vielen Jahren allen Installateuren weiter, die vor der Meisterprüfung stehen.

Die Doma-Mitbegründer Markus Tinkhauser und Ernst Bertsch (v.l.) sind seit 1993 für die Nutzung der Sonnenenergie aktiv.

Die Mitbegründer Ernst Bertsch und Markus Tinkhauser lenken  nach wie vor die Agenden der Firma Doma, die seit 2013 Teil der Unternehmensgruppe der Ernst Schweizer AG aus Hedingen bei Zürich ist. Seit vielen Jahren ist man auch im Bereich Photovoltaik aktiv. Die Stromerzeugung aus Sonnenlicht hat in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen. „Inzwischen verkaufen wir mehr Photovoltaikanlagen als Sonnenkollektoren”, berichtet Ernst Bertsch.

DI Josef Burtscher  freut sich über den Boom der Photovoltaik. Burtscher beobachtet die Entwicklung seit 1989 als Mitarbeiter beim damaligen „Energiesparverein” sehr genau, als Geschäftsführer des Energieinstitutes gestaltet er sie seit Juli 2011 mit.

DI Josef Burtscher

„Die Zuwächse bei der Solarthermie sind nicht mehr so groß wie früher, dafür ist aber die Photovoltaik auf dem Durchmarsch”, fasst er zusammen. Letzteres hängt auch mit dem vorrangigen Ziel des Landes zusammen, Ölbrenner aus den Heizkellern zu verbannen. Im Neubau sind Ölheizungen seit 2020 bereits verboten. Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, müssen vor dem Jahr 2000 installierte Ölheizungen ab 2025 sogar demontiert werden. Der freiwillige Austausch und Umstieg auf umweltfreundlichere Systeme wird derzeit gefördert. Neben dem Anschluss an Wärmenetze – die allerdings nicht überall vorhanden sind – werden Holz- und Pelletsöfen forciert: Weil Holz als nachwachsender und heimischer Rohstoff punktet. Seit Jahren die Nummer eins unter den Heizsystemen sind aber Wärmepumpen.

Wärmepumpen nutzen die in der Erde, im Grundwasser oder in der Luft vorhandene Wärme als Heizenergie. Wenn der für den Betrieb der Pumpe notwendige Strom aus einer PV-Anlage kommt, ist die Umweltbilanz der Wärmepumpe nicht schlagbar. Das trägt neben anderen Faktoren zum Boom der Photovoltaik bei. 

Die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik in Vorarlberg und Österreich ist aber jedenfalls untrennbar mit Günter Köchle (1949 bis 2005) verbunden. Im Energiepark Satteins florierte seine Firma „stromaufwärts”.

Günter Köchle war unermüdlicher Kämpfer für die Photovoltaik – auch zu Zeiten, als Umweltschutz noch kein so präsentes Thema und eine PV-Anlage für Normalbürger unerschwinglich war.  Seine Überzeugungsarbeit führte schließlich dazu, dass das Land ab Oktober 2001 eine kostendeckende Vergütung für die Einspeisung von Sonnenstrom gewährte. 

Erst damit wurde der Bau von Photovoltaikanlagen angekurbelt, sinkende Preise für die PV-Module hielten das Feuer – trotz der von diversen Bundesregierungen zwischenzeitlich eingeführten Förderbremsen – am Lodern. Heute ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Stromversorgung bis 2030 auf 100 Prozent Ökostrom bzw. Strom aus erneuerbaren Energieträgern umzustellen: Eine Million Dächer in ganz Österreich, so der Plan, sollen bis dahin mit PV-Anlagen ausgerüstet sein.

Darüber freuen sich gerade auch Firmen im Walgau. Neben Doma gehören dazu auch „Aerocompact” in Satteins sowie die Nenzinger „SST-Solar”. Letztere hatten Mathias Muther und Renan Sen im Jahr 2008 gemeinsam gegründet. Neben der Planung und dem Bau von thermischen Solaranlagen nahm man bald auch Photovoltaik mit ins Programm. Mit den am Markt befindlichen Systemen zur Befestigung der Module war man nicht zufrieden und entwickelte ein eigenes System: Das war so erfolgreich, dass man dafür 2014 eine eigene Firma gründete: Die von Mathias Muther geführte „Aerocompact”  hat heute rund um den Globus 14 Standorte mit Hauptniederlassungen in den USA und Indien: Schon in den ersten fünf Jahren wurden mit den Aerocompact-Systemen weltweit über vier Millionen Quadratmeter Photovoltaik-Module sicher befestigt.

SST wird von Renan Sen geleitet und hat – im allerhand! Nr. 12 nachzulesen – schon in den ersten zehn Betriebsjahren in Österreich, der Schweiz, Italien, Deutschland, Belgien und Luxemburg annähernd 100.000 Quadratmeter Sonnenkollektoren montiert.

Die viel beschworene Energiewende wird kommen: Und Sonnen­energie-Technik aus dem Walgau ist dabei. Die Selbstbauer um Walter Pfister, Kollektorentwickler Gebi Bertsch und PV-Pionier Günter Köchle haben dazu wichtige Beiträge geleistet.

 

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