Gesellige Dohle

Dohlen werden bis zu zwanzig Jahre alt, und Paare sind sich ein Leben lang treu. Die geselligen Tiere gehören damit eher zu den Ausnahmen in der Vogelwelt. Ein Schutzprojekt am Hängenden Stein soll den Dohlen-Bestand im Land langfristig sichern.

FOTOS: GERALD SUTTER, HANDOUT

Der Hängende Stein an der Gemeindegrenze zwischen Lude­sch und Nüziders zieht Klettersportler magisch an. Die steilen Felswände rund um das weitum sichtbare „Rappaköpfle” bieten rund 300 Kletterrouten aller Schwierig­­keitsgrade.  Entsprechend belebt ist das Gebiet am ehemaligen Steinbruch an sonnigen Tagen. In den letzten Jahren begegnet man dort zunehmend auch gefiederten Gästen. Die Dohle, welche in Vorarlberg lange Zeit vom Aussterben bedroht war, hat das Freizeitparadies zum neuen Lebensraum erkoren. BirdLife, das Land Vorarlberg sowie die Standortgemeinden Ludesch und Nüziders wollen nun mit gezielten Maßnahmen dafür sorgen, dass Sport und Naturschutz am Hängenden Stein gleichermaßen Platz finden. 

JOHANNA KRONBERGER aus Sulz engagiert sich seit vielen Jahren als Obfrau von BirdLife Vorarlberg für den Schutz der Vogelwelt. Die begeisterte Ornithologin hat in Innsbruck und Wien Naturschutz und Biodiversität studiert.

„Dohlen waren im Land einst weit verbreitet”, berichtet Johanna Kronberger. „Im Zuge von Bauarbeiten an Kirchtürmen oder Ruinen wurden in den 1990er-Jahren aber viele Dohlen ausquartiert.” Denn der ursprünglich in Steppen beheimatete Vogel ist zum direkten Nachbarn des Menschen geworden. Wenn er in der Natur keine natürlichen Höhlen in Felswänden oder Bäumen findet, baut er sein Nest gerne in Nischen und Mauervorsprüngen von Kirchtürmen, in Dachstühlen und Schornsteinen hoher Gebäude. Nach den beiden Weltkriegen gab es jede Menge geeignete Plätzchen für die gefiederten Siedler. Doch in den folgenden Jahrzehnten wurden viele Gebäude renoviert und erhielten einen dicken Mantel aus Dämmmaterial. Kamine und Kirchtürme wurden verschlossen, um Tauben und Fledermäuse fernzuhalten. „Höhlenbrüter wie die Dohle sind sehr reinlich und säubern ihre Nester regelmäßig”, bedauert Johanna Kronberger, dass mit den „Schmutzfinken” auch die Dohlen vertrieben wurden. „In den 1980er-Jahren gab es noch eine große Kolonie mit knapp zwanzig Brutpaaren an der Ruine Neumontfort in Götzis”, weiß die Obfrau von BirdLife Vorarlberg. „Nach der Renovierung waren sie verschwunden.” Während Vogelkundler 1991 noch von einer Population mit 60 bis 70 Brutpaaren im Land ausgingen, wurde der Bestand zwanzig Jahre später nur noch auf 15 bis zwanzig geschätzt. Dass die Zahl in den letzten Jahren wieder anstieg, führen Experten vor allem auf Artenförderungsprojekte in der benachbarten Schweiz zurück. 

Dohlen suchen in der Regel den Boden nach Nahrung ab. Die Sonne verleiht dem schwarzen Gefieder der Dohle einen metallischen Schimmer. Männchen und Weibchen sind nur schwer zu unterscheiden.

„Die Vögel haben sich bei uns dann zum Teil recht verrückte Nistplätze gesucht”, berichtet Ornithologin Johanna Kronberger. Zur selben Zeit, als die ersten Brutpaare am Hängenden Stein entdeckt wurden, haben Dohlen etwa in Hohenems und Lustenau die Gegengewichte an großen Baukränen besiedelt. 

Die Vogelkundler gehen deshalb davon aus, dass der kleinste heimische Rabenvogel – er wird rund 33 bis 39 Zentimeter groß – hierzulande zwar noch genügend Futter findet, es jedoch an geeigneten Nistplätzen mangelt. Die Regionsmanagerin der Europaschutzgebiete im Rheintal, Petra Häfele, regte deshalb an, das Schweizer Artenschutzprogramm über der österreichischen Grenze weiterzuführen und holte dafür die Vogelschutz-Organisation BirdLife sowie das Team der Abteilung Umwelt- und Klimaschutz im Amt der Vorarlberger Landesregierung ins Boot. 

Im Dezember 2023 wurden insgesamt 40 Dohlennisthöhlen aus langlebigem Holzbeton geliefert und im Frühjahr an geeigneten Stellen sicher verankert. „Wir haben nach Standorten gesucht, an denen sich bereits Dohlen niedergelassen haben”, erklärt Johanna Kronberger. „Das sind vor allem der Kummenberg bei Koblach und im Walgau der Hängende Stein.” Weil Dohlen zum Brüten nun einmal luftige Höhen bevorzugen,  freuen sich die Projektleiterinnen Petra Häfele und Johanna Kronberger über die Unterstützung von Berg­rettung und Alpenverein sowie der Agrargemeinschaft Ludesch. Spezialisten der Firmen HTB sowie Berger & Brunner übernahmen das fachgerechte Anbringen der Nistkästen. 

Freizeitsportler sollten Abstand halten

Damit sich Kletterbegeisterte und Vögel nicht in die Quere kommen, werden die Freizeitsportler am Hängenden Stein nun mit Tafeln auf die Nistplätze der Felsenbrüter aufmerksam gemacht und gebeten, vom 15. März bis zum 15. Juni Abstand zu halten, alternative Routen gibt es schließlich genug. „Dohlen leben schon seit vielen Jahren in Siedlungen und sind deshalb an den Menschen gewöhnt”, erklärt Johanna Kronberger. „Doch wenn sie während der Brutzeit gestört werden, reagieren sie – wie die meisten Tierarten – äußerst empfindlich.” Obwohl Dohlenpaare sich in der Regel liebevoll um den Nachwuchs kümmern und ihr Nest mit vereinten Kräften verteidigen, könnte es sein, dass das Weibchen die Brut dann einfach aufgibt oder Jungvögel von ihren Eltern verlassen werden. „Wir hoffen sehr, dass die Freizeit­sportler diese kleinen Einschränkungen respektieren”, appelliert die Obfrau von BirdLife Vorarlberg und lädt Interessierte ein, beim Ausflug an den Hängenden Stein das Fernglas mitzunehmen und die Ohren zu spitzen. Denn Dohlen sind akrobatische Flieger, die regelrecht mit dem Wind spielen und dabei Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h erreichen. An senkrechten Felswänden spazieren sie mühelos hoch, indem sie sich mit Schwanz und Flügeln geschickt abstützen. Als Sänger verfügen sie über ein reiches Repertoire an Tönen und können sogar Geräusche aus ihrer Umgebung nachahmen. Weil sie zudem sehr intelligent und lernwillig sind, gehörten sie zu den Lieblings-Studienobjekten des österreichischen Zoologen und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz. 

Am Hängenden Stein zwischen Ludesch und Nüziders sollen Freizeitsport und Naturschutz möglich sein.

Stabiles „soziales Netz” in der Kolonie

Der renommierte Verhaltensforscher zeigte sich vor allem von dem ausgefeilten Sozialleben dieser Rabenart beeindruckt. Denn im Dohlenschwarm hat jedes Mitglied seinen festen Platz. Neben den Eltern kümmern sich auch andere erwachsene Tiere um den Nachwuchs, aber auch kranke Mitglieder in der oft mehrere hundert Vögel zählenden Kolonie. 

Jungvögel suchen sich bereits im ersten Lebensjahr einen Partner, dem sie von da an kaum mehr von der Seite weichen. Gemeinsam baut sich das Paar im zweiten Lebensjahr ein Nest, in welches das Weibchen Ende März/Anfang April vier bis sechs Eier legt. Ob sich eine Höhle zum Brüten eignet, stellen die angehenden Bauherren fest, indem sie etwas hineinfallen lassen und auf die Geräusche lauschen.

Dohlen sind äußerst gesellige Tiere und wählen ihre Partner fürs ganze Leben.

Während der 16 bis 19 Tage dauernden Brut wird das Weibchen von ihrem Partner gefüttert und sie krault ihn dafür im Nacken. Die Jungvögel ziehen nach gut dreißig Tagen von Zuhause aus, werden von ihren Eltern und deren Koloniekameraden aber noch weitere vier Wochen lang um­sorgt. Dohlen sind Allesfresser, die meist auf dem Boden nach Würmern, Käfern, Schnecken, Samen und Fallobst Ausschau halten. Weil die Jungvögel eine eiweißhaltige Kost benötigen, um sich gut zu entwickeln, legen die Dohleneltern oft weite Strecken zurück, um insektenreiche Wiesen „abzuernten“. Auch im Müll der Menschen forschen sie nach Leckerbissen, selbst Aas wird von Dohlen nicht verschmäht. Aufgrund dieser Flexibilität sind Naturschützer zuversichtlich, die Meisterflieger in der Region wieder öfter beobachten zu können.

Turmdohle (Coloeus monedula)

Vogelkundler gingen lange Zeit davon aus, dass die Dohle eng mit den Krähen und dem Kolkraben verwandt seien. Seit genetische Untersuchungen dies aber widerlegt haben, trägt sie – wie schon in früheren Jahren – einen eigenen Gattungsnamen, der sich vom griechischen Wort für „gestutzt” ableitet. Der kurze Schnabel hat ihr dieses „coloeus” eingebracht. Der Beiname „monedula” bedeutet so viel wie „Mönchlein”. Das schwarze Gefieder mit der grauen Kapuze hatte die Namensgeber anscheinend an eine Mönchskutte erinnert. 

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