Gipfelsturm in Gold und Silber

„Ideen suchen sich Personen.” – Als Christopher Graf im Bestseller „The Creative Act: A Way of Being” über diese Aussage des berühmten Musikproduzenten Rick Rubin stolperte, wusste er: „Genau das ist mir passiert.” Mit viel Herzblut produziert der studierte Industriedesigner und Produktmanager Schmuckstücke, die ganz persönliche Bergerlebnisse und Gipfelsiege feiern.

FOTOS: TM-HECHENBERGER, FAIRMINED ASSOCIATION, FA. KALMAN HAFNER

Die Initialzündung für dieses Engagement lieferte ein bewegender Moment in seinem eigenen Leben. Christopher Graf, in Ludwigshafen Nähe Mannheim aufgewachsen, lebte vor gut vier Jahren noch in Berlin. Gemeinsam mit seiner aus Bludenz stammenden Lebensgefährtin flüchtete er während des Lockdowns aus der Großstadt in die Berge und nahm dort seine erste richtige Wanderung in Angriff. „Wir sind vom Lünersee aus über die Schesaplana und die Mannheimer Hütte in den Nenzinger Himmel abgestiegen”, erinnert er sich noch ganz genau an Glücksgefühle und wunderschöne Ausblicke, aber auch daran, dass seine Freundin während der Tour immer wieder an ihre Grenzen gelangte. Der Grund für das konditionelle Tief wurde erst offenbar, als die beiden schon wieder zurück in Berlin waren: Silvia Latzer war zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger. 

„Meine Mutter hat mir dann er­klärt, dass man Frau­en zur Ge­burt Schmu­ck schen­­kt”, er­zählt Ch­­r­i­s­­to­ph­­er Gr­af wei­ter. Die­ser Gedan­ke wi­­der­­stre­bte ihm an­fangs. Er wollte sich schließ­lich nicht von seinen Va­ter-Pflichten „freikaufen”. Doch dann nistete sich die richtige Idee in seinem Kopf ein:

Der angehende Vater besorgte sich Satellitendaten des Rätikongebirges und entwarf ein zweieinhalb mal einen Zentimeter großes Mini-Relief, auf dem man die damalige Wanderroute der beiden mit dem Finger nachzeichnen kann. Einen Monat lang tüftelte der Industriedesigner an der Umsetzung des digitalen Modells, das er dann in Gold produzieren ließ – „in der Hoffnung, dass es funktioniert.” 

Es hat funktioniert – und zwar auf allen Ebenen. Silvia hat die Kette mit dem Anhänger seit der Geburt der kleinen Tochter kaum mehr abgelegt, und Christopher Graf freut sich tagtäglich darüber, wieder einmal mit den Händen etwas Schönes geschaffen zu haben. „Das hatte ich seit dem Studium nicht mehr.” Erfahrungen in der Autobranche hatten ihn nicht wirklich erfüllt, seinen Lebensunterhalt verdient er sich deshalb schon seit Jahren als Produktmanager im Bereich der Softwareentwicklung. Ein Wasserschaden und eine sich über viele Monate hinziehende Renovierung der Berliner Wohnung befeuerten schließlich den Entschluss, nach Vorarlberg umzuziehen. Seit Dezember 2021 lebt die junge Familie in Nüziders – und hat die Berge stets vor Augen.

Kein Wunder also, dass die Idee nun so richtig über den jungen Mann herfiel. „Ich dachte mir, wir können doch nicht die Einzigen sein, die so eine emotionale Bindung zu den Bergen haben”, überlegte er sich, krempelte die Ärmel hoch und startete sein „Integrationsprojekt”. Bis heute ruft er immer wieder spontan Menschen an, um sie zu Kaffee und Austausch einzuladen. „So habe ich inzwischen ein ziemliches Netzwerk aufgebaut und viel gelernt”, lacht er. Den „Zuzügler” erkennt man nur noch am Dialekt. 

Genau die Menschen, die er auf diese unkomplizierte Weise kennenlernte, haben ihm – abgesehen von seiner Lebensgefährtin – immer wieder Mut gemacht und ihm weitergeholfen, wenn es schwierig wurde. Freunde wiesen ihn etwa darauf hin, dass er eine Punze registrieren muss, um die Reinheit der verwendeten Edelmetalle genau nachzuweisen, wenn er Schmuck verkaufen will. Gerade rechtzeitig bevor die ersten Kontrolleure bei ihm klingelten, hatte der Neo-Schmuckdesigner eine geeignete Methode gefunden, um die Punze in den 3D-Druck zu integrieren. 

Parallel zu seinem Job als Produktmanager, den er im Home­office erledigen kann, und seinem Engagement als junger Vater wagte Christopher Graf vor einem Jahr den Schritt in die Selbstständigkeit. Unter dem Label „BERG.KETTE” produziert er seither Armbänder und Anhänger aus Gold und Silber, die er je nach Bedarf personalisiert. Einige der beliebtesten Vorarlberger Gipfel – Piz Buin, Kanisfluh, Zimba, Rote Wand, drei Türme und Schesaplana – gehören zu den Klassikern seiner Kollektion. Doch auch den Karren mit dem Dornbirner Marktplatz und den Großglockner gibt es bereits als „Bergkette”. Seine Kunden können unter verschiedensten Kartenausschnitten wählen, und auch individuelle Gravuren sind kein Problem. Prinzipiell kann Christopher Graf jedes Relief in Schmuck verwandeln. Die topo­graphischen Daten, die er dafür benötigt, gibt es im Internet.

Am angemieteten Schreibtisch in den Muut Offices in der Bludenzer Werdenbergerstraße bereitet der Jungunternehmer die Daten so auf, dass ein 3D-Modell aus Wachs gedruckt werden kann. Dieses dient als Platzhalter für einen Gipsabdruck, der wiederum das flüssige Gold aufnimmt. 

Dieser Arbeitsschritt wird von der Firma Kalman Hafner in Pforzheim erledigt. Christopher Graf hat sich für diesen Partner entschieden, weil er in der näheren Umgebung kein geeignetes Unternehmen ausfindig machen konnte und diese Firma Edelmetalle mit dem Fair Mined- und Fair Traded-Zertifikat verarbeitet. 

Dies ist dem BERG.KETTE-Chef wichtig. Er hat ausgiebig recherchiert, unter welchen Bedingungen Gold und Silber mancherorts abgebaut werden, und will mit Kinderarbeit, sozialer Ausbeutung, Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung durch Chemikalien nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Christopher Grafs Philosophie ist es nicht, mit der Idee, die ihn gesucht hat, möglichst viel Gewinn zu machen. Er ist der Meinung, dass jeder Unternehmer, der von der Natur profitiert, auch etwas zurückgeben sollte. 

Einen Teil des Verkaufserlöses überweist er deshalb dem Alpenverein und an lokale Aufforstungsprojekte. Sein großes Vorbild ist Theo Fritsche, der in Nepal Schulen und Krankenhäuser baut, um sich für die vielen wunderbaren Berg­momente zu revanchieren, die der Nüziger Extrembergsteiger in diesem Land erleben durfte. Auch mit ihm hat Christopher Graf bei einem spontanen Kaffee bereits vereinbart, dass er zehn Prozent des Gewinns, den er mit den Bergen in Nepal macht, an den Verein Schul- und Hilfsprojekte Theo Fritsche überweist.

Knapp 150 Schmuckstücke hat Christopher Graf inzwischen an Bergbegeisterte in verschiedenen Ländern ausgeliefert. Seine „Berketten” sind online, im Shop des Messner Mountain Museums in Firmian bei Bozen und beim Alpenverein erhältlich. Außerdem bietet der Jungunternehmer sie auf verschiedenen Märkten in der Region an. „Mein Traum wäre es, langfristig Menschen anzustellen, die den Schmuck hier produzieren”, erklärt der Designer. Er würde sich gerne ganz dem „BERG.KETTE-Geschäft” widmen, Arbeitsplätze in der Region schaffen und den ökologischen Fußabdruck seiner Produkte weiter verringern. Zusätzliche Märkte zu erschließen, hat er sich ebenfalls vorgenommen. „Es gibt schließlich überall Topographien, auf welche die Menschen stolz sind.” Anfragen aus Hawaii und Frankreich gibt es bereits. 

Die Idee, die ihn heimsuchte, hat Christopher Grafs Leben ordentlich umgekrempelt. „Ich stehe morgens auf und denke an Schmuck und gehe abends zu Bett und denke an Schmuck”, gesteht der Kreative.

Vorheriger ArtikelEinzug in den Gesundheitscampus steht unmittelbar bevor
Nächster Artikel30 Ringe zum Jubiläum