Mimin mit sozialer Ader

„Kunst ist immer mehr als die Darstellung der Realität”

Irgendwann Ende dieses Jahres jährt sich die Gründung des Theatervereins teatro caprile Düns-Wien zum 30. Mal. An das genaue Datum erinnert sich keiner mehr. Hingegen steht fest, dass Katharina Grabher dafür verantwortlich ist, dass die 400-Seelen-Gemeinde Düns im Vereinsnamen in einem Zuge mit der Bundeshauptstadt genannt wird. Die gebürtige Frastanzerin zog einst aus, um in Wien ihr Studium der Sozialarbeit abzuschließen und entdeckte dort eine völlig neue Welt. Sie kämpft seither auf der Theaterbühne gegen Ungerechtigkeit und das Vergessen an.

FOTOS: W. KEGELE, DIETMAR HURNAUS, VICTOR MARIN, ADRIAN LEITER, SANDRA KRAFT, DARKO TODOROVIC, MIKAEL LE BOURHIS, TM-HECHENBERGER

„Der letzte Sommer war die Hölle”, berichtet Katharina Grabher von vor Nässe triefenden Kleidern, Kälte und Erschöpfung, von 500 Höhenmetern, die im Laufschritt zurückzulegen waren, um dem Publikum immer einen Schritt voraus zu sein. Sie erzählt von körperlichen Strapazen – und strahlt. Die Rede ist von ihren Auftritten im Montafon, wo das teatro caprile heuer im zehnten Jahr wieder für Gänsehaut und betroffene Gesichter bei Touristen und Einheimischen sorgen wird. Was als einmalige Produktion geplant war, gehört nämlich längst zu den kulturellen Highlights im Tal. Der verregnete Sommer 2021 prüfte Darsteller und Zuschauer gleichermaßen, verlieh den Inszenierungen von „Auf der Flucht” aber auch ungeheuren Pathos. Katharina Grabher hofft zwar auf besseres Wetter im Jubiläums-Sommer, schwärmt aber gleichzeitig von Nebelschwaden, welche jede Bühnentechnik in den Schatten stellten. 

Im vorarlberg museum würdigte das Ensemble rund um Katharina Grabher den von den Nazis verfolgten Vorarlberger Künstler Rudolf Wacker.

Solch ein Zusammenspiel von Natur und Schauspiel gehört zu den Spezialitäten des teatro caprile, welches die Frastanzerin federführend mitbegründet hat. „Auf der Flucht” basiert auf historischen Tatsachen und spielt in einer Zeit, die die schlechtesten, aber auch die besten Eigenschaften des Menschen ans Licht brachte. Bergführer und Dorfhistoriker Friedrich Juen hatte den Schicksalen jener Menschen nachgespürt, die in den Jahren 1938 bis 1945 vor der Verfolgung durch die Nazis von Gargellen aus über die Sarotla in die Schweiz flüchten wollten. Und auch den Geschichten jener, die sie gejagt, beschützt, an der Einreise ins neutrale Nachbarland gehindert oder diese unter größten Gefahren für das eigene Leben ermöglicht haben. Katharina Grabher und ihre Schauspielkollegen ließen gemeinsam mit Bergführer Juen jene Szenen wieder aufleben, die sich auf diesen Pfaden tatsächlich abgespielt haben – ergänzt mit eloquenten Texten bekannter Autoren. 

„Wir beschäftigen uns schon lange mit den Themen Flucht und Verfolgung”, erzählt Katharina Grabher. Dies mag ihrer sozialen Ader geschuldet sein, die sie nach der Matura am BORG Feldkirch an die „SozAk” führte. Der Liebe wegen beendete die Frastanzerin ihre Ausbildung in der Bundeshauptstadt, wo sie auch einige Zeit in einem Jugendzentrum arbeitete. Während der Studienzeit hatte sie sich immer wieder etwas Geld dazuverdient, indem sie den angehenden Malern an der Akademie der bildenden Künste Modell stand. Auf diese Weise lernte sie den Wiener Andreas Kosek und in weiterer Folge dessen theaterbegeisterten Freund Mark Német kennen – und damit war das Trio komplett, das irgendwann Ende des Jahres 1992 den Theaterverein teatro caprile Düns-Wien gründen sollte. Denn Andreas Kosek studierte Theaterwissenschaften, und Katharina Grabher erkannte bald, dass sie bei den Theater-Workshops, welche sie im Jugend­zentrum ins Leben rief, schnell an ihre Grenzen gelangte. „Ich wollte den Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Empathie zu schulen, indem sie in eine andere Rolle schlüpfen und Dinge ausprobieren können”, erinnert sich die ehemalige Sozialarbeiterin an diese Zeit. „Ich hatte jede Menge inhaltliche Ideen, es scheiterte aber an der Umsetzung.” Kurzentschlossen inskribierte die Frastanzerin erneut und fand ihre Berufung. 

Ungewöhnliche Spielorte

Das Schauspiel-Diplom in der Tasche, widmete sie sich verschiedensten Projekten, die sie in viele Länder führten und mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt brachten. Es war aber eine Produktion, die aus verschiedenen Gründen gar nicht realisiert werden konnte, welche die drei Gründer des teatro caprile nachhaltig inspirierte: Im Winter 1991 sollten Katharina Grabher, Andreas Kosek und Mark Német auf Burg Wildegg im Wienerwald an der Inszenierung von Michael Endes „Die Spielverderber: oder das Erbe der Narren” mitwirken. Diese Erfahrung, sich ganz auf die vorhandene (Natur-)Kulisse einzulassen, hat das Trio ungeheuer beeindruckt und beeinflusst ihre Arbeit bis heute. „Es hat einen ganz eigenen Reiz, vorhandene Örtlichkeiten zu bespielen”, erzählt Katharina Grabher. „Wir reisen mit leichtem Gepäck und nutzen das, was wir vor Ort vorfinden.” 

Sie ist keine Anhängerin von theatralischen Auftritten und „Schock-Effekten um des Schockes willen”. Stattdessen setzt sie auf subtile Gesten, wie sie normalerweise vor der Filmkamera gefragt sind. „Wir sind so nah am Publikum dran, dass die Leute jede Regung in meinem Gesicht sehen”, beschreibt die Schauspielerin ihre Arbeitsweise, „übertriebene Gesten wirken da schnell aufgesetzt.” Der Rhythmus spielt ebenfalls eine große Rolle bei ihrem Spiel. Dies hat sich Katharina Grabher unter anderem von ihrer Schwester – Tänzerin Ruth Grabher – abgeschaut.

Den Kontakt zur Heimat hat die Mimin niemals abbrechen lassen. Und so hat auch die Gründung der freien Bühne teatro caprile ihren Ursprung im Ländle. Ein Auftritt mit Andreas Kosek bei einem Fest, welches Marketing-Profi Arno Sprenger 1991 anlässlich seines Eintritts bei der Sparkasse Bludenz gab, lieferte den Anstoß. Denn die Rückmeldungen der Gäste – unter ihnen auch der damalige Landesrat für Kultur – waren derart positiv, dass das Land Vorarlberg Subventionen für eine Theaterproduktion in Aussicht stellte. Das eigens ausgearbeitete Konzept überzeugte, sodass das teatro caprile am 20. Mai 1993 zur Vorpremiere der allerersten Produktion nach Düns lud. „Der letzte Stich” basierte unter anderem auf einem Text von Woody Allen. „Meine Großeltern hatten in Düns ein Hüsle, in dem wir gerne unsere Ferien verbrachten”, erklärt Katharina Grabher die Wahl des ersten Aufführungsortes. „Außerdem war der damalige Dünser Bürgermeister sehr kulturaffin.” Die Premiere fand zwei Tage später in Schlins statt. 

Katharina Grabher und ihren Mitstreitern ging es stets darum, auch Menschen zu erreichen, die nicht so leicht mit dem Theater in Kontakt kommen. Sie wollen ohne erhobenen Zeigefinger auf gesellschaftliche Entwicklungen und historische Zusammenhänge aufmerksam machen. Anfangs nutzten sie dafür vor allem die Ausdrucksmöglichkeiten des Absurden Theaters und beschäftigten sich intensiv mit den Werken osteuropäischer Autoren. Als sich Katharina Grabher und Regisseur Andreas Kosek 1998 entschlossen, hauptberuflich Theater zu machen, taten sie dies auch aufgrund von Anfragen aus dem Ausland. Eines der Prinzipien des teatro caprile ist es deshalb, dass alle Stücke „tourneetauglich” konzipiert werden. Oft wird zudem das Publikum in die Handlung mit einbezogen.

 Die Produktion „1914/15 – Das erste Jahr des Krieges, die letzten Tage der Menschheit” – eine theatral-performative Annäherung an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges – führte die Truppe beispielsweise in die Frastanzer Museumswelt ebenso wie nach Teheran. Entsprechend flexibel müssen alle Mitwirkenden mit sich ändernden Bedingungen umgehen können.

Die Theatermacher lassen sich nicht nur von historischen Ereignissen und den Texten unterschiedlichster Autoren inspirieren. Oft liefern die Räumlichkeiten selbst die Basis für das Schauspiel. Für einen Jugendstil-Bau etwa, der einzig zu dem Zweck erbaut wurde, dass Kaiser Franz Josef I. ungesehen und trockenen Fußes in die Wiener Stadtbahn einsteigen konnte, wurde extra ein Stück in Auftrag gegeben, das mit dem oppulent ausgestatteten Gebäude auf ungewöhnliche Weise korrespondierte. Das Theater-Ensemble entwickelt aber auch im kleineren Rahmen spannende Ideen, indem die Schauspieler etwa bei Weinverkostungen und anderen Anlässen ein kulturelles Zwischenspiel liefern sowie in Zusammenarbeit mit Künstlern anderer Metiers ihre Kreativität ausleben. 

Derzeit ist das teatro caprile oft im Walgau. In Zusammenarbeit mit der Villa Falkenhorst entsteht ein Stück über die „Fabrikler”, die das Leben in der Region Anfang des 19. Jahrhunderts ordentlich umkrempelten. Es soll 2023 an verschiedenen Spielorten aufgeführt werden. Außerdem ist Katharina Grabher am 31. Mai, am 2., 3. und 4. Juni in der Artenne Nenzing zu sehen, wo sie als „Papiersammlerin” im „Refugium Karton” auf das Leben einer Gastarbeiterin aus der Vojvodina (Serbien) zurückblickt. Man darf auf diese Produktion gespannt sein, die einen Bogen zwischen der Arbeit des Vandanser Künstlers Alois Galehr und den Texten des ungarischen Schriftstellers Ottó Tolnai spannt. Für Katharina Grabher ist diese Kombination nicht ungewöhnlich. In den Vereinsstatuten des teatro caprile ist die Zusammenarbeit mit Künstlern anderer Sparten schließlich fest verankert… Der Name „caprile” – rätoromanisch für Ziegenstall – steht übrigens für das Interesse der Truppe für Sprachinseln sowie Literatur abseits des Mainstreams und spielt außerdem auf die finanzielle Situation freier Theatergruppen an.

Interessierte finden alle Termine unter teatro-caprile.at

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