Nähen als Wellness-Angebot

Es ist schon ein lustiger Anblick, wenn die Gäste im Wellnesshotel mit Nähmaschinen, Schneider­werkzeug und Stoffen Einzug halten. Seit 2016 bietet Maria Atzmüller Nähkurse im komfortablen Umfeld an. Die Begeisterung ist ungebrochen.

„Manche produzieren wie am Fließband”, lacht Maria Atzmüller. „Zum Abschluss gibt es dann richtige Modeschauen.” Die Ludescherin kann die Begeisterung ihrer Kursteilnehmerinnen nachvollziehen. Schließlich wandert die Nähmaschine bei ihr jedes Mal ganz selbstverständlich mit ins Gepäck, wenn sie mit dem Wohnmobil in den Urlaub fährt. Ihr Mann Michael hat dafür eigens eine geeignete Stromversorgung im mobilen Zuhause installiert.

 Die Ludescherin wurde schon früh mit dem Nähvirus infiziert. Als Kind freute sie sich immer, wenn sie vom Textil-Unternehmen Welte Blusen im Ort Musterkarten ergattern konnte. Die kleinen Stoffstücke verarbeitete sie dann zu schmucken Kleidern für die Barbie, aber erst in der Schule für wirtschaftliche Berufe lernte sie, was es beim textilen Arbeiten zu beachten gilt. 

Maria Atzmüller wurde früh Mutter, an eine Ausbildung zur Schneiderin war neben dem Kinderhüten nicht zu denken. In der Freizeit, bei der Arbeit im „Pfaff Lädele” und als Angestellte der Firma Zima blieb sie mit der textilen Welt aber weiter auf Tuchfühlung. Als die beiden Söhne dann aus dem Gröbsten raus waren, rückte der Traum von der Schneiderlehre wieder ins Bewusstsein. Gesagt, getan. Neben Beruf und Familie besuchte Maria Atzmüller Kurse in Salzburg, um sich weiterzubilden, und holte sich Rat von befreundeten Schneiderinnen. Diese zeigten ihr so manchen Kniff und unterstützten sie auch moralisch, indem sie der Unermüdlichen Mut zusprachen, wenn diese von Zweifeln geplagt wurde oder alles einmal zu viel wurde. In Vorarlberg war nämlich kein Lehrbetrieb zu finden. „Vielleicht langt es ja” – mit diesem Gedanken trat Maria Atzmüller 2015 zur Lehrabschlussprüfung an – und bestand tatsächlich.

Wenig später hatte sie bereits ein Kleingewerbe als Änderungsschneiderin angemeldet und war fortan nicht mehr zu bremsen. Im Untergeschoss ihres Eigenheims wurden geeignete Räumlichkeiten eingerichtet, damit die leidenschaftliche Näherin die Aufträge ihrer Kunden erledigen konnte. Es sprach sich rasch herum, dass in Ludesch eine versierte Änderungsschneiderin ihre Dienste anbot, die Kunden ließen nicht lange auf sich warten. 

Doch Maria Atzmüller dachte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Schritt weiter. Neun Monate lang pendelte sie jeweils für mehrere Tage oder auch mal nur ein paar Stunden nach Salzburg, um sich dort das nötigste theoretische Wissen in Kursen anzueignen, um Schnitte zu zeichnen und selbst Kleidungsstücke von der Idee bis zur Anprobe maßzuschneidern. Sie drückte die Schulbank mit jungen Abgängerinnen der Textil-HTL, die ihr beim Entwerfen mehr als nur einen Schritt voraus waren. „Dafür kam mir die Praxis zugute, die ich beim Ändern gewonnen hatte”, erinnert sich Maria Atzmüller. Immerhin wusste sie damals bereits aus Erfahrung, dass kaum eine Frau exakt in eine genormte Konfektionsgröße passt. Als versierte Änderungsschneiderin konnte sie mit Kurven dort und da problemlos umgehen. Trotzdem musste sie zuhause viel Zeit investieren, um sich als das anzueignen, was für den Meisterbrief gefragt war. Doch sie nahm auch diese Hürde und hatte 2020 im Alter von 44 Jahren das begehrte Papier in der Tasche.

Stimmungsvolles Ambiente im Nähatelier

Das „Coronajahr” nutzte Maria Atzmüller, um sich in der ehemaligen Werkstatt ein gemütliches Nähatelier einzurichten. „Hier konnte ich ganz in meinen Farben schwelgen”, schmunzelt sie. Denn bei der Einrichtung ihres Zuhauses hielt sie sich mit zartem Pastell und verspielten Dekorationselementen zurück. Schließlich sollten sich ja auch die vier männlichen Familienmitglieder in den Räumen wohlfühlen. 

Heiratswillige Frauen, die sich vor allem in der Hochzeitssaison von April bis Oktober regelmäßig im Nähatelier einfinden, um sich das Kleid für den großen Auftritt auf den Leib schneidern zu lassen, wissen dieses Ambiente dafür umso mehr zu schätzen. 

„Ich liebe Spitze und Chiffon.” – Obwohl diese Materialien als heikel und schwer zu verarbeiten gelten, haben es Maria Atzmüller genau diese Stoffe angetan. Kein Wunder also, dass mehrere Anbieter von Brautmode ihr den Traum in Weiß anvertrauen, um ihn in allen Details an die Figur der Besitzerin anzupassen. Oft kommen Tanten, Mama und Schwester zur Anprobe mit und freuen sich, dass sie im Atelier in Ludesch ebenfalls passende Kleider, Röcke und Oberteile für diesen besonderen Anlass finden. Maria Atzmüller hat inzwischen nämlich eine eigene kleine Kollektion entworfen, welche die Hochzeitsgäste gerne ausführen. Natürlich glänzen auch diese Kleidungsstücke mit viel Spitze und Chiffon. 

Besonders viel Freude macht es Maria Atzmüller aber, wenn sie ihre Begeisterung fürs Nähen mit anderen teilen kann. Anfangs waren es vor allem Kinder, die sie in den Ferien dazu einlud, mit Nadel, Faden und Nähmaschine ihre Kreativität auszuleben. Seit einigen Jahren bietet die Ludescherin aber regelmäßig auch Kurse für Erwachsene an, die entweder die Grundbegriffe lernen oder sich professionellen Rat für schwierige Details wünschen. Diese finden dann meist abends im Nähatelier statt. „In sechs Stunden kriegt man schon etwas hin”, freut sich Maria Atzmüller mit ihren Kurs­teilnehmerinnen, wenn diese freudestrahlend mit einem selbstgeschneiderten Einzelstück von dannen ziehen. 

Vier Mal im Jahr zieht sie mit begeisterten Hobby-Näherinnen ins Hotel. „Ich wollte es einfach mal ausprobieren, ob so ein Kreativ-Wochenende in einem Wellnesshotel ankommt”, ließ sich Maria Atzmüller von Angeboten zu Mal- oder Yogareisen inspirieren. 2016 rückte sie zum ersten Mal mit einem Trupp nähbegeisterter Frauen im Hotel Valavier in Brand ein – und die Teilnehmerinnen waren begeistert. „Ich finde es toll, dass die Gastwirte so auf diese Idee einsteigen und Verständnis zeigen”, zollt sie ihren Gastgebern Respekt. Regelmäßig müssen Teppiche und Möbel aus dem Weg geräumt werden, um Platz zu schaffen. Zum Zuschneiden größerer Teile werden die Böden mit langen Stoffbahnen ausgelegt. Außerdem hat schon so manche „Fadenspur” den Weg vom Kursraum in die Hotelzimmer der eifrigen Näherinnen markiert. 

Anfängerinnen und versierte Hobby-Schneiderinnen werken gemeinsam

Einige Frauen sind bereits so etwas wie Stammgäste ihrer Kurse. Sie freuen sich über das Wiedersehen mit den Nähkameradinnen, jedes Mal lassen sich aber auch wieder einige andere kreative Damen auf das Nähabenteuer ein. Meist haben sie sich das Nähwochenende als Geschenk zu einem besonderen Anlass gewünscht. Sie genießen es, ein paar Tage lang dem Alltag zu entfliehen und mit eigenen Händen ein besonderes Kleidungsstück zu fertigen, das sie dann mit Stolz tragen. 

Die Vorbereitungen beginnen zuhause, wenn die Frauen ein spezielles Modell aussuchen, einen Schnitt und geeigneten Stoff sowie alles Zubehör besorgen. Fachkundig unterstützt von der Schneidermeisterin wollen die Kursteilnehmerinnen das Traumkleid für den besonderen Anlass, einen chicen Wintermantel, die spezielle Bluse, aber auch Rucksäcke oder andere textile Einzelstücke fertigen. Die Motivation ist entsprechend hoch.

„Nach einem Gläschen Sekt zum Willkommen werden die Nähmaschinen vorbereitet und erst einmal alle Kursteilnehmerinnen durchgemessen”, erzählt Maria Atzmüller. Weil der mitgebrachte Schnitt nur in den seltensten Fällen ganz genau passt, wird er von der Expertin korrigiert, bevor die einzelnen Stoffteile zugeschnitten werden. 

Um sicherzustellen, dass jedes Detail stimmt, geht es während des Nähprozesses mindestens zwei Mal zur Anprobe. Meist sind einige versierte Hobby-Schneiderinnen mit von der Partie, die den Anfängerinnen schon mal zeigen, wie sie den Faden in die Maschine einfädeln oder auch bei sonstigen Problemen weiterhelfen und damit die Kursleiterin entlasten. Besonders Fleißige setzen an so einem Wochenende gleich mehrere Projekte um, während andere sich ganz auf ein Werkstück konzentrieren. „Immer wieder fehlt dann im Näh­eifer sogar die Zeit, die Wellness-Angebote der Hotels zu nutzen”, schmunzelt Maria Atzmüller.

Kreatives und gemütliches Miteinander

Denn der Spaß kommt trotzdem nicht zu kurz. Beim gemeinsamen Nähen geht es locker zu. Da tauschen sich die Teilnehmerinnen zu allen möglichen Themen aus, lachen, tratschen und genießen die kreative Gemeinschaft. Etwas Süßes für den kleinen Hunger zwischendurch steht ebenfalls immer bereit. 

„Hin und wieder müssen wir allerdings improvisieren”, berichtet Maria Atzmüller, „dann wird es hektisch.” Denn nicht immer haben die Kursteilnehmerinnen alle benötigten Materialien und wirklich genügend oder geeignete Stoffe mitgebracht, um ihre Vorhaben oder auch spontane Ideen umzusetzen. Dann ist nicht nur Maria Atzmüllers Fachkenntnis, sondern ebenso ihre Flexibilität gefragt. „Doch bisher haben wir immer einen Weg gefunden”, sieht die Kreative solche Herausforderungen inzwischen gelassen. Eine gewisse Grundausstattung hat sie schließlich auch in ihrem „Außen­atelier” immer in petto.  

Die umtriebige Schneidermeisterin freut sich, dass ihr Handwerk wieder mehr geschätzt wird. Sie würde gerne auch andere ermuntern, diesen Beruf zu erlernen. „Wir haben viel zu wenige Änderungsschneider im Land”, weiß sie, dass der Bedarf weit höher wäre.

Sie selbst hat für Änderungsarbeiten – abgesehen von Brautmode – neben all ihren anderen Vorhaben keine Zeit mehr. Doch es ist gut möglich, dass Maria Atzmüller noch nicht den Gipfel ihrer Schneider-Karriere erreicht hat. Der Prospekt für ein Fernstudium Modedesign liegt jedenfalls bereits in ihrer Schublade…

Vorheriger ArtikelFitnesstipp: Gegen den inneren Schweinehund
Nächster ArtikelFitnesstipp: Zeit der Versuchungen