Sommergäste im Anflug

Schmetterlinge wirken zart und filigran. Kaum zu glauben also, dass so mancher Falter alljährlich aus dem Mittelmeerraum oder sogar aus tropischen Gefilden anreist, um bei uns einen gemäßigten Sommer zu genießen. 

FOTOS: GERALD SUTTER, ULRICH HIERMANN

Im Frühjahr sind auf unseren Wiesen immer wieder Schmetterlinge zu entdecken, die etwas mitgenommen wirken, deren Farben verblasst und Flügel eingerissen sind. Diese Falter waren nicht in Kämpfe verwickelt. Sie sind vielmehr von einer langen Reise gezeichnet. Bei ihrem Flug gegen Norden haben diese „Sommerfrischler” mehrere tausend Kilometer zurückgelegt sowie – Wind und Wetter ausgesetzt – hohe Berge und andere Hindernisse überwunden.

„Diese Falter riskieren einiges, um Neuland zu erreichen”, erklärt Mag. Ulrich Hiermann. Der Biologe aus Rankweil spürt seit vielen Jahren den heimischen Schmetterlingen nach. Noch sind einige Fragen über das Leben der Wanderfalter offen. So können die Experten beispielsweise nur darüber spekulieren, wie die kleinen Falter ihren Weg finden. Bei Zugvögeln schließen sich unerfahrene Jungvögel beim ersten Rückflug gerne erfahrenen Artgenossen an, um die Flugroute kennenzulernen. Bei Schmetterlingen scheint der „Kompass” hingegen angeboren zu sein, sie können nicht voneinander lernen. „Wir gehen davon aus, dass sie sich mithilfe des Erdmagnetfelds, dem Sonnenstand und charakteristischer Landmarken wie Küstenlinien und Gebirgszügen zurechtfinden.” Sicher ist jedenfalls, dass Schmetterlinge alljährlich Taleinschnitte in Nord-Süd-Ausrichtung zu nutzen wissen, um den Alpenbogen zu überqueren. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ein Falterleben nur wenige Wochen dauert. 

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Falter sich auf die Reise machen. Biologen unterscheiden „Saisonwanderer”, die ihre angestammten Gebiete Jahr für Jahr geschlossen verlassen, um unter günstigen Bedingungen Nachwuchs zu zeugen, der dann vor dem Wintereinbruch in den Süden zurückfliegt. Zu dieser Gruppe zählt etwa der Admiral, der sich häufig am Nektar des Sommerflieders, der Brombeerstauden oder der Fetthenne in unseren Gärten bedient. Im Herbst labt er sich gerne am Fallobst sowie an den Blüten des Efeus. Die Raupen ernähren sich ausschließlich von Brennnesseln – einer Futterpflanze, die an vielen Standorten gedeiht. Wanderfalter können es sich nämlich nicht leisten, allzu wählerisch zu sein. „Sie müssen flexibel mit dem Angebot vor Ort zurechtkommen”, erklärt Mag. Hiermann, „sonst haben sie keine Chance”.


Mag. Ulrich Hiermann
… aus Rankweil hat an der Universität Innsbruck Biologie, Zoologie und Erdwissenschaften studiert. Er beschäftigt sich seit bald drei Jahrzehnten mit heimischen Insekten. Er gilt als der Schmetterlings-Experte im Land.

 

Andere „Saisonwanderer” wie der Russische Bär entkommen den trocken-heißen Sommermonaten, indem sie an kühlere Orte wandern. Bei der Rückreise im Herbst reifen die Eier heran und sie können sich dank frischem Grün fortpflanzen. Die Raupen entwickeln sich dann in der ursprünglichen Heimat an geeigneten Futterpflanzen – Taub- und Brennnesseln, Him- und Brombeere.

Weniger berechenbar sind die Binnenwanderer. Diese Gruppe reagiert spontan auf Veränderungen in ihrem gewohnten Umfeld. Wenn die Population zu groß wird, Futterpflanzen rar sind oder sich die Witterung verändert, machen sie sich auf den Weg. Der Schwalbenschwanz, der etwa auf dem Ludescherberg sehr häufig vorkommt, hat diesen Entdeckergeist. „Er ist sehr unstet”, weiß Mag. Ulrich Hiermann. 

Vor vier Jahren sorgten gut zehn Zentimeter große Raupen, die an den heimischen Oleander-Pflanzen beachtliche Kotbrösel und angeknabberte Blätter zurückließen, nicht nur bei den Besitzern von mediterran gestalteten Terrassen für Aufregung. Die Biologen im Land freuten sich, dass der Oleanderschwärmer wieder aufgetaucht war. Dieser große Nachtfalter kommt aus den Tropen. In Vorarlberg war dieser Binnenwanderer davor jahrzehntelang nicht mehr beobachtet worden. 

Ob es sich bei einem Schmetterling um einen Wanderfalter handelt, ist leicht zu erkennen. Denn während die beständigen Arten in ihrem Biotop ziellos von Blüte zu Blüte flattern,  fliegen Wanderfalter sehr zielgerichtet, in kurzen zeitlichen Abständen hintereinander in eine Richtung. 

Wer die Sommergäste beobachten möchte, dem bieten sich in unserer Region jede Menge Gelegenheiten. „Der Walgau mit seinen Südhängen ist klimatisch bevorzugt und deshalb ein Schmetterlingsparadies”, weiß Biologe Hiermann aus zahlreichen Beobachtungen. Weil 80 Prozent der heimischen Schmetterlinge nachtaktiv sind, ist der Rankweiler oft auch zu später Stunde im Dienste der Wissenschaft auf den Wiesen der Region unterwegs. Im Team mit seinem Kollegen Toni Mayr hat er für die 2017 erschienene Naturmonografie Stutz-Stutzberg-Bazora auf den Wiesen oberhalb von Frastanz insgesamt 730 verschiedene Schmetterlings-Arten aufgespürt. Weitere Schmetterlings-Paradiese sind für ihn die Bludescher Magerwiesen, der Ludescherberg und das Natura-2000-Gebiet Übersaxen-Satteins. Zwar hat sich die Landschaft in den letzten 50 Jahren vor allem durch die starke Siedlungstätigkeit massiv verändert. An den Hängen des Walgaus gibt es aber noch viele sonnenverwöhnte Plätzchen, die nicht gedüngt und nachhaltig bewirtschaftet werden. Dort findet man Magerwiesen mit einer vielfältigen Flora und auch vielen „Unkräutern”, die bei verschiedensten Insekten und eben auch bei Schmetterlingen beliebt sind. 

Gartenbesitzer können selbst dafür sorgen, dass sich die bunten „Sommerfrischler” in ihren Gärten wohlfühlen, indem sie dem Mähroboter Einhalt gebieten und zumindest ein „wildes Eck” zulassen. „Wo sich die Natur entwickeln kann, kommen auch die Schmetterlinge zurück”, macht Ulrich Hiermann Naturfreunden Mut. 

Doch – auch wenn kaum einer der heimischen Wanderfalter als gefährdet gilt, darf diese Tatsache über eines nicht hinwegtäuschen: Nur die stärksten Flieger sind den Strapazen einer solchen Wanderung gewachsen. Von den vielen tausend Schmetterlingen, die alljährlich in Nordafrika, im Mittelmeerraum oder sogar in den Tropen in Richtung Norden aufbrechen, kommt nur ein Bruchteil am Ziel an…

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