Georg Praxmarer hat viele entlegene Winkel der Erde gesehen. Er ist den Amazonas hinaufgefahren, mit Eisbrechern in die Antarktis vorgestoßen und mit dem „Traumschiff” durch die Welt getourt. Während es ihm früher nicht exotisch und turbulent genug sein konnte, zieht er heute bodenständiges Landleben vor – in Ludesch und auf einem Bergbauernhof in seinem Geburtsort Kaunertal.
FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT
Wenn Georg Praxmarer von der Ögg spricht, ist er kaum mehr zu halten. Er schwärmt von der „Rauchkuchl”, in der seine Base einst am Herd stand, von den traditionellen Tonnenöfen, die das gesamte Haus unter Rauch setzten, wenn man es warm haben wollte, und von Holz, das die Jahrhunderte überdauert. Sechs Jahrhunderte, um genau zu sein. So alt ist der Bergbauernhof auf 1440 Metern Seehöhe, den ihm ein Verwandter einst schenkte, den er mit viel Aufwand renoviert und zu einem Seminar- und Ferienhof mit ganz eigenem Flair ausgebaut hat. „Ich wusste immer schon, dass die Ögg ein besonderer Ort ist”, erzählt er.
Trotzdem zog es ihn in seiner Jugend vor allem in die Ferne. Schon als kleiner Junge wollte er Koch werden „und dann aufs Schiff”. Georg Praxmarer ist nur einen Spaziergang entfernt von den Ögg Höfen, im Ortsteil Vergötschen der Gemeinde Kaunertal aufgewachsen. Im Hotel seines Onkels wurde er zum Koch und Kellner ausgebildet, dann kehrte er dem Tal den Rücken.
Es folgten Einsätze in München, später zog es den Tiroler nach Degersheim in der Schweiz, wo er im Magic Casino ebenso wie die Gäste über die damals größte mechanische Orgel der Welt, die Zauberer, Bauchredner und Tänzer der Hollywood-Show staunte. Mit knapp zwanzig Jahren wagte er sich ins Büro einer Personalagentur für Kreuzfahrtschiffe. „Mir war damals egal, auf welchem Schiff man mich einsetzt”, erinnert sich Georg Praxmarer. Man schickte ihn, der noch nie zuvor ein Flugzeug bestiegen hatte, nach Hongkong, wo er sich bald an Bord eines schwimmenden, 300 Meter langen und 16 Stockwerke hohen 5-Sterne-plus-Hotels und in einer komplett neuen Welt wiederfand. Die 700 Passagiere an Bord zahlten 180.000 Dollar für eine drei Monate lange Reise um die Welt, Landausflüge und Getränke exklusive. Dafür kümmerten sich 450 Mitarbeiter rund um die Uhr um ihr Wohl. Als Georg Praxmarer sich in der Kombüse meldete, trat genau das ein, was er insgeheim befürchtet hatte. Der Küchenchef teilte ihn, der außer Saibling und Forelle kaum einen Fisch aus der Nähe gesehen hatte, dem 54-köpfigen Team als Fischkoch zu. Der junge Tiroler lernte schnell, war bald über den Saibling hinaus und zum 1. Fischkoch befördert. „Die Küchen der Kreuzfahrtschiffe waren damals fest in österreichischer Hand”, erinnert sich Georg Praxmarer. Im Service waren viele Spanier im Einsatz, während die Offiziere durchwegs aus Skandinavien oder Großbritannien kamen. Privater Kontakt zu den Passagieren war streng verboten. Auf den weniger eleganten Schiffs-Etagen hatte die Crew ihre eigene Küche sowie Disko, Theater, Kino, Swimmingpool…, um die wenige Freizeit zu genießen. Es war damals üblich, dass die Besatzungsmitglieder sechs Monate durcharbeiteten, ohne einen freien Tag. Nach zwei Monaten Urlaub flogen sie dem Schiff hinterher und gingen in einer anderen Hafenstadt wieder an Bord.
Georg Praxmarers nächste Station war die Royal Viking Star. „Die Passagiere waren im Durchschnitt 70 Jahre alt, sehr anspruchsvoll und kamen alle aus Amerika”, erinnert er sich an den unglaublichen Luxus, der in krassem Gegensatz zu seiner Jugend stand. Jeder Kabine war ein eigener Butler zugeteilt, der den Gästen jeden Wunsch von den Lippen ablas. Abgesehen von seltenen Ausflügen in die Heimat verbrachte der junge Koch seinen Urlaub immer in jenem Land, in dem das Schiff gerade lag, wenn sein Vertrag auslief. Er verbrachte viel Zeit in Südostasien, in Australien und Südamerika. Nach einigen Saisonen hatte der Tiroler vom hektischen Treiben in der Schiffsküche genug. Er wechselte ins Service und wurde von den Passagieren ein Jahr später unter 5000 Kollegen zum „Kellner des Jahres” der Royal Viking Line gekürt. „Ich habe damals gelernt, dass es unzählige Arten gibt, ein simples Ei zuzubereiten”, lacht er in der Erinnerung an seine Einsätze am Frühstücks-Buffet: „over-easy, sunny side up, well done, scrambled egg, œuf cocotte, …”
150 Tonnen Lebensmittel an Bord
Wieder einmal auf der Suche nach einer Veränderung, bewarb sich der Tiroler um die Position eines Assistenten des Proviantmeisters und fand sich bald mit der Herausforderung konfrontiert, die 150 Tonnen Lebensmittel an Bord zu verwalten und dafür zu sorgen, dass die Vorratslager immer gut gefüllt waren. Die einzelnen Posten wurden mit Bleistift im Lagerbuch notiert. Da sah Georg Praxmarer plötzlich eine Verwendung für den PC, den er 1987 in Hongkong erstanden hatte. „Der war damals noch doc-basiert, nicht einmal Windows lief darauf.” Trotzdem leistete der Computer bald gute Dienste – und brachte ihm selbst die Beförderung zum Proviantmeister ein. Nach einem drei Monate langen Studium des „Food and Beverage Management” in New York wurde er zum Stellvertretenden Direktor ernannt und stieg damit in den Offiziersrang auf. „Das brachte schon ein paar Vorteile”, schmunzelt Georg Praxmarer. Während sich die anderen Crewmitglieder zu acht eine Kabine teilten, hatte er nicht nur eine eigene Unterkunft, sondern zudem einen Steward, der sich um seine Kleider und die Reinigung der Kabine kümmerte, zur Verfügung. Nach Zwischenspielen bei anderen Gesellschaften – unter anderem bei einer italienischen Firma, welche das Catering für 7000 Mitarbeiter auf 240 Containerschiffen, zwanzig Bohrinseln und 36 Passagierschiffen organisierte – landete er 1993 als Hoteldirektor auf dem „Traumschiff”. „Das war am Anfang ganz schlimm”, erinnert sich Georg Praxmarer. Der Kostendruck und ein gewisser Schlendrian, der die Crew erfasst hatte, machten ihm zu schaffen. Und dass für die deutschen Passagiere immer Lebensmittel aus der Heimat an Bord sein mussten, machte die Sache auch nicht einfacher. Als in Asien das deutsche Bier ausging und das Containerschiff, welches dem Kreuzfahrtdampfer mit Proviant hinterherfuhr, wegen eines Defekts ausfiel, musste er einiges an Verhandlungsgeschick und einige Stangen Zigaretten auffahren, damit die Gäste schlussendlich auf nichts verzichten mussten. Viel Unruhe, aber auch spannende Einblicke, bescherte das Film-Team der Fernsehserie, bei dem die Crew-Mitglieder regelmäßig als Statisten anheuerten. Nach sechs Weltreisen und unglaublich vielen Erlebnissen in allen Teilen der Welt reifte in dem jungen Mann dann aber doch die Idee einer ruhigeren Zukunft. Mag sein, dass dies auch mit seiner heutigen Frau Brigitte zusammenhing, die er auf dem „Traumschiff” kennengelernt hatte. Sie war als Betreiberin des Friseur- und Kosmetiksalons an Bord für das stets perfekte Aussehen vor allem der weiblichen Passagiere zuständig. In ihrer Begleitung nahm Georg Praxmarer ein letztes Engagement auf der „Mozart” an, deren Route von Passau ans Schwarze Meer führte. Danach tourte das Paar sechs Monate lang mit einem Wohnmobil durch Australien. In diesen Kontinent hatte Georg Praxmarer drei Jahre zuvor auswandern wollen.
Doch dann kam ihm eben die Ögg dazwischen. Er hatte die Papiere für den Auswanderungsantrag bereits beisammen, als er auf Landurlaub im Kaunertal das Gespräch mit dem Cousin seiner Mutter suchte. Georg Praxmarer wünschte sich den Ögg Hof als Refugium, in das er immer wieder zurückkehren könnte. Der Verwandte wollte von einer Vermietung aber nichts wissen. Er hatte keine Nachkommen und keine Verwendung für das alte Haus. Er schenkte es dem jungen Mann.
Vom Bergbauernhof zum Seminarhof
Zurück aus Australien überlegte Georg Praxmarer nun, den Hof mit der Traum-Aussicht zur Jausenstation umzubauen. „Damals stellten sich die Gemeindepolitiker quer”, berichtet er und ist heute froh darüber. „Ich hätte damals sicher einiges zerstört.” Stattdessen zog es ihn mit seiner Familie nach Vorarlberg, wo er anfangs in Hotels am Arlberg arbeitete, bevor er sich mit einem Kollegen selbstständig machte. Im Jahr 2000 besuchten täglich mehr als tausend Gäste das In-Lokal „George@Joe” und die Disco „Factory” in der Lünerseefabrik in Bürs. Doch der Erfolg forderte seinen Tribut. Georg Praxmarer trennte sich von seinem Partner, übernahm ein Lokal in Dornbirn und arbeitete später als Hoteldirektor in Brand. 2011 folgte die Diagnose Burnout, und er besann sich auf das, was ihm am Herzen lag: Seine Familie, mit der er seit 15 Jahren in Ludesch lebt, und wieder einmal die Ögg. Im Team mit hervorragenden Handwerkern legte er unter den strengen Augen des Bundesdenkmalamts rund 6500 Stunden selbst Hand an, bis sich der Hof in eine heimelige Unterkunft verwandelt hatte, in der man der Vergangenheit nachspüren kann und trotzdem auf fließend Wasser und andere Bequemlichkeiten nicht verzichten muss. Georg Praxmarer heißt dort seine Gäste herzlich willkommen. Nur selten erzählt er von seinen Reisen. Stattdessen hütet er seine Bienen, Hühner und Ziegen und forscht über seine Ahnen nach, die einst den Grundstein für dieses Kleinod inmitten einer atemberaubenden Natur legten. Und wer einen Ausflug zum Gletscher plant, kann ihn im „Seepanorama” besuchen, wo er seine Gäste mit Knödeln und anderen bodenständigen Spezialitäten verwöhnt.