Schneetreiben… Im Kinderland


Als Michael Türtscher 2017 erklärte, er wolle in Ludesch einen Schilift bauen, musste er einiges an Spott aushalten, fand im Wintersportverein aber auch Unterstützer. Mit viel Engagement wandeln sich die „Lehmlöcher” seither alljährlich zum Winterspielplatz. Im „Lockdown-Winter” wussten junge Familien das Angebot besonders zu schätzen.

FOTOS: TM-HECHENBERGER

„Ja, am Anfang war es schon hart”, lacht Michael Türtscher. Zumal der Winter 2017/18 so gut wie gar keinen Schnee bereithielt, der Lift im „Kinderland Lehm­löcher” gerade einmal an drei Tagen in Betrieb gehen konnte. „Das war schon Pech.” Michael Türtscher hatte zu diesem Zeitpunkt schon jede Menge Diskussionen hinter sich – von den aufwendigen Planungen und Behördengängen einmal ganz abgesehen – und war nun auch noch dem Spott des Dorfes ausgesetzt. 

Doch der damals 33-jährige Ludescher ließ sich nicht entmutigen. Der ausgebildete Schilehrer und zweifache Familienvater wollte für die Allerkleinsten Bedingungen schaffen, sodass ihre ersten Versuche auf Schiern wirklich Spaß machen. Der Wintersportverein Ludesch bietet seit vielen Jahren in den Weihnachtsferien Schikurse an, die bei den Familien im Ort und darüber hinaus sehr beliebt sind. Diese werden meist in Raggal, bei Schneemangel in Faschina durchgeführt. Als aber im Jahr 2008 der Bildstocklift in Raggal abgebrochen werden musste, stand für die Anfänger plötzlich kein geeigneter Übungshang mehr zur Verfügung, auf dem sie zudem nicht durch schnellere Sportler gefährdet waren. „Es geht darum, dass die Kleinen ungestört sind und das Gelände die Kinder stoppt”, erklärt Michael Türtscher. Weil sie anfangs noch keinen Pflug zustande bringen, gibt es ihnen Selbstvertrauen, wenn sie den Hang trotzdem ohne Sturz bewältigen. „Die nächsten Schritte gelingen dann ganz von selbst.”

Unterstützt von seinem Vater Lothar – ebenfalls ein begeisterter Schifahrer und langjähriger Schilehrer – machte er sich deshalb auf die Suche nach einem geeigneten Hang. Er hatte schon viele Jahre beobachtet, dass die Wiesen entlang des „Hängenden Steins” in seinem Heimatdorf noch lange winterlich anmuten, wenn weitum bereits die ersten Gräser sprießen. Deshalb nahm er über das geografische Informationssystem des Landes VOGIS etwa einen Hang unterhalb der St. Martinskirche unter die Lupe. Dieser wurde aber rasch als zu steil abgehakt. Direkt am Mühle-bach, gleich hinter dem Clubheim der Drachenflieger, fand sich aber eine geeignete Stelle. „Das Gelände gleicht einer Badewanne”, erklärt Michael Türtscher. Eine leichte Erhöhung in der Mitte bremst die kleinen Schifahrer ab, bevor sie noch einmal Fahrt aufnehmen und die Schi dann sanft auslaufen lassen können. Grundbesitzer Rupert Gassner ließ sich nach anfänglichen Bedenken für das Projekt begeistern, und einen passenden Lift hatte Michael Türtscher bereits im Internet ausgespäht. Die Bludescher Firma Pro-Alpin hat sich darauf spezialisiert, gebrauchte Schilifte abzubauen und weiterzuverkaufen. Einen 50 Meter langen Seilzuglift, der über viele Jahre in Hirschegg in der Steiermark gute Dienste geleistet hatte, war genau nach Türtschers Geschmack. „Die Kinder müssen sich selbst am Seil festhalten und lernen so ganz automatisch den richtigen Stand”, zieht er dieses System nicht nur aus finanziellen Gründen einem sonst oft gebräuchlichen „Förderband” eindeutig vor. Auf seiner „Einkaufstour” im Nachbardorf entdeckte er im Pro-Alpin-Lager zudem einen verkürzten Container, den er kurzerhand als „Talstation” für das Schigebiet in den Ludescher „Lehmlöchern” reservierte.

Als der Schibegeisterte im Wintersportverein seine Pläne präsentierte, waren viele skeptisch. Einzelne konnte er aber mit seiner Begeisterung anstecken. WSV-Obmann Walter Neßler ging sogar so weit, dass er den Ankauf des Liftes aus eigener Tasche finanzierte, indem er das Sitzungsgeld, welches er für seinen Einsatz als Gemeinderat erhält, für diesen Zweck zur Verfügung stellte. Lothar Türtscher wurde von seinem Sohn zum Betriebsleiter auserwählt, und es fanden sich weitere Engagierte, die bereit waren, während der Betriebszeiten am Lift zu stehen. Der ÖSV und zahlreiche Firmen erklärten sich bereit, das „Kinderland” als Sponsoren zu unterstützen. Bis das Schigebiet allerdings eröffnet werden konnte, waren noch einige bürokratische Hürden zu nehmen. Auch die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt wurden eingehend von Fachleuten geprüft. Am 29. Dezember 2017 – einen Tag nach der seilbahnrechtlichen Genehmigung durch die BH Bludenz – war dann aber der große Augenblick gekommen, zum allerersten Mal ging der Lift in Betrieb. 

Doch – wie gesagt – die Freude währte nicht allzu lange. Andauerndes Tauwetter versetzte den Engagierten rasch einen ordentlichen Dämpfer. Kein Wunder also, dass sich Michael Türtscher und seine Unterstützer bald den Kopf darüber zerbrachen, wie sie ihr Schigebiet „schneesicher” machen könnten. Im Internet fanden sie eine kostengünstige, gebrauchte Lanze – ein System, das die Technik eines industriellen Hochdruckreinigers mit einem Kompressor kombiniert. Allerdings müssen für die Schneeproduktion Luftfeuchtigkeit und Temperatur ganz genau zusammenspielen. „Das System ist extrem empfindlich”, erklärt Betriebsleiter Lothar Türtscher. Ist die Lanze erst einmal in Gang gesetzt, muss sie laufend neu positioniert werden, damit sich die Schneedecke gleichmäßig verteilt. Außerdem kontrollieren er oder sein Sohn alle drei bis vier Stunden, ob sich im Luftschlauch Kondenswasser angesammelt hat, das nun gefrieren könnte. Im „Container-Lifthüsle” hat Michael Türtscher ein Überwachungssystem installiert, das sofort Alarm schlägt, sobald das Wetter eine Beschneiung zulässt. „Wir haben viel Lehrgeld gezahlt”, berichten Vater und Sohn von diversen Nacht-Einsätzen, bei denen sie die Lanze aufgestellt hatten und kurze Zeit später wieder einpacken mussten. Doch inzwischen haben die beiden den Dreh heraus. Sie wissen: „Wenn wir keine Sterne sehen, müssen wir uns erst gar nicht auf den Weg machen.” Denn dann ändern sich die Verhältnisse innerhalb kürzester Zeit, sodass nur Wasser aus der Lanze spritzt anstatt Schnee.

Diesen Winter musste die Lanze, die übrigens aus dem Ortsnetz gespeist wird, nur vereinzelt in Betrieb genommen werden. Am 27. Dezember wurde die Schisaison eröffnet. Obwohl heuer kein Schikurs durchgeführt und die Familien nicht mit Tee oder Punsch versorgt werden durften, sprach sich schnell herum, dass  in den „Lehmlöchern” wieder regelmäßig Betrieb war. Mit Schi, Rodel und „Poppawaga” trudelten die Familien im Schigebiet ein. Im Jänner schickte Frau Holle dann fast zuviel des Guten. „Das Liftseil war gar nicht mehr zu sehen”, berichtet Michael Türtscher. Gut, dass sein Bruder Markus eigens eine Schneefräse angeschafft hatte, die er an seinen Traktor anhängen kann. Er ist nämlich dafür zuständig, dass im „Kinderland Lehmlöcher” beste Pistenverhältnisse herrschen. Die vier Töchter der beiden – Mia, Lara, Anna und Ella sind zwischen dreieinhalb und fünfeinhalb Jahre alt – bewältigen inzwischen bereits problemlos die Pisten in größeren Schigebieten. Doch zwischendurch kommen sie immer gerne ins „Kinderland”. Sie tollen dort mit Gleichaltrigen im Schnee. „Es ist genau so gekommen, wie wir uns das gewünscht haben”, berichten die Türtschers zufrieden und freuen sich über viele begeisterte Rückmeldungen. „Es ist ein richtiger Winterspielplatz entstanden.” Und Manfred Oberscheider, der so manches Wochenende als Liftwart Dienst tut, wirft ein: „Es gibt einem auch persönlich viel, wenn man sieht, welchen Spaß die Kinder haben.” 

Das Kinderland Lehmlöcher ist – bei entsprechender Schneelage – jeweils am Freitagnachmittag von 14 bis 16 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr geöffnet. Interessierte sehen unter www.wsvludesch.at auf einen Blick, ob der Lift läuft. Die Benützung ist kostenfrei. Aus versicherungstechnischen Gründen ist allerdings eine ÖSV-Mitgliedschaft Voraussetzung.

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