Die stille Revolution

Der Walgau auf dem Weg in eine neue Bildungszukunft

Mehr oder weniger „still und leise” sind heuer am 15. Februar das Bildungszentrum Hofen in Frastanz und nach Ostern der Bildungscampus in Nüziders in Betrieb gegangen. Natürlich waren große Eröffnungsfeiern wegen Corona nicht möglich. Mehr Öffentlichkeit hätten sich diese Projekte aber schon verdient: Es sind nämlich Meilensteine auf dem Weg in eine neue Bildungszukunft. Ein Weg mit revolutionären Ansätzen.

FOTOS: LEANDER-RP.COM, TM HECHENBERGER, ISABELL RUDOLPH

Die allermeisten Besucher, die mit den Erinnerungen an ihre eigene Volksschulzeit in das Bildungszentrum Hofen eintreten, wähnen sich an einem falschen Ort. 

In hell und mit unbehandelten Weißholzböden freundlich ausgekleideten Fluren hocken Gruppen von Schülern beieinander und lauschen gespannt den Worten der Pädagogen. In Sichtweite „lümmeln” Schüler anderer Klassen, vertieft in ihre Bücher, in riesigen Sitzsäcken – von denen es im ganzen Bildungszentrum insgesamt 25 Stück zur freien Entnahme gibt. Andere spielen am Boden liegend mit Matador und Lego, während es sich zwei Mädchen mit ihrem Schreibzeug in einer breiten Fensternische gemütlich gemacht haben.

Klassenräume mit „ordentlich” angeordneten Bänken mitsamt brav dahinter sitzenden Schülern, welche die Lernbefehle von mit aller Macht ausgestatteten „Vorgesetzten” befolgen und brav ihre Hände heben, bevor sie sich zu Wort melden, sucht man hier vergebens. 

Und im Turnsaal? Da geht es nicht bei strammen Übungen um körperliche Ertüchtigung und das Heranführen der Kinder an den sportlichen Wettkampfehrgeiz: Die Turnsäle heißen heute Bewegungsräume und dienen – bestens ausgestattet mit verschiedensten Sportgeräten, Matten und Kletterseilen – schlicht dazu, dass sich die Kinder zwischen den Lerneinheiten – je nach Lust und Laune – beim Ballspiel austoben, auf einer Slackline ihr Gleichgewichtsgefühl testen oder in einer dicken Matte liegend ausruhen können.

Im Bildungszentrum Hofen gibt es gleich mehrere solcher Räume. Für die Kindergartenkinder sind sie altersgerecht ein wenig anders eingerichtet. Und während die „Kindergärtler” hier ihren Bewegungshunger stillen, halten die Ein- bis Dreijährigen von der Kinderbetreuung (Kibe) Hofen – räumlich gut getrennt und ungestört in abgedunkelten Ruheräumen – ihr so wichtiges Mittagsschläfchen. Die räumliche Gegebenheiten erlauben verschiedenste Betreuungsangebote. Die Pädagogen können auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingehen.

Die Kinder vom zweiten Lebensjahr bis zum Ende der Volksschulzeit werden im Bildungszentrum – momentan etwas coronagebremst – „unter einem Dach” betreut und alters­übergreifend gefördert. Im zentral gelegenen „Forum” oder beim Mittagessen, das allen Kindern bzw. deren Eltern täglich angeboten wird, treffen sich die großen und die kleineren „Pürzel”, man redet, spielt und lernt miteinander und voneinander.

„Es ist alles insgesamt viel ruhiger geworden”, berichtet  Volksschuldirektor Herbert Zottele von einer in dieser Form nicht erwarteten Folge der nicht nur baulich völlig umgestalteten Bildungseinrichtung. „Man hat das Gefühl, dass sich hier alle Kinder und auch die Pädagogen rundum wohlfühlen”, fasst er mit sichtbarer Freude zusammen. Auch seine Erleichterung darüber und ein gewisser Stolz auf das gelungene Werk ist ihm beim gemeinsamen Rundgang anzumerken. 

Gemeinsam mit Kindergartenleiterin Angelika Summer, Kibe-„Chefin” Beatrix Pedot und allen in diesen Einrichtungen tätigen Pädagogen und Betreuern sowie unterstützt von externen Fachleuten wurde seit dem Frühjahr 2013 das pädagogische Konzept für das Bildungszentrum ausgearbeitet. Im März 2015 präsentierten Pedot, Summer und Zottele dieses Konzept der Gemeindevertretung. Es folgten Grundsatzbeschlüsse, Raumkonzepte, ein Architektenwettbewerb sowie Bau- und Budgetbeschlüsse: Allesamt einstimmig gefasst. Darauf ist der damalige Bürgermeister Mag. Eugen Gabriel – als früherer Professor an der Tourismusschule in Bludenz mit dem „alten” Schulwesen bestens vertraut – besonders stolz: „Es haben immer alle an einem Strang gezogen und das bis dato teuerste Investitionsvorhaben in der Geschichte der Marktgemeinde voll mitgetragen.” Auch der amtierende Bürgermeister Walter Gohm war selbstredend immer eifriger Befürworter des Projektes.

Beatrix Pedot, Angelika Summer und Herbert Zottele erarbeiteten mit ihren Kollegen in der Kinderbetreuung, im Kindergarten und der Volksschule das pädagogische Konzept für die Förderung und Betreuung der Kinder unter einem gemeinsamen Dach.

Pädagogen und Politik auf einer Linie

Ganz ähnlich ist auch der Bildungscampus in Nüziders entstanden, wo seit Ostern der neue Kindergarten – integriert in die schon zuvor nach neuen pädagogischen Erkenntnissen komplett umgebaute Volksschule – in Betrieb genommen wurde. In Bludenz-Bings wurde im Herbst des Vorjahres die „Zwergenvilla” eröffnet: Sie bietet Platz für ganztägige Betreuung von Kindern des Kindergartens und der Kleinkinderbetreuung. Der zweistöckige Neubau ist unterirdisch mit dem Kindergarten und der Volksschule verbunden.

Blick in den neuen Bildungscampus Nüziders.

Schon eineinhalb Jahre zuvor, im Oktober 2019, wurde in Bludesch der Campus eröffnet. Auch hier sind Klein- und Kindergartenkinder sowie Volksschüler unter einem Dach und – auf Wunsch – ganztägig betreut.

In der Nachbargemeinde Ludesch soll bei der Volksschule ein solcher Campus entstehen. Im  Montessori Zentrum Oberland in Ludesch – einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht – ist man schon einen Schritt weiter: Geschäftsführerin und Vizebürgermeisterin Mag. Heike Hartmann konnte zu Beginn des laufenden Schuljahres einen Neubautrakt eröffnen, in dem auch Platz für Mittelschüler ist.

„Diese und weitere Projekte im Walgau, in Bludenz und im ganzen Land zeigen auf, wie sehr die Bildungslandschaft in Vorarlberg insgesamt in Bewegung ist”, erklärt dazu Schullandesrätin Dr. Barbara Schöbi-Fink. Sie ist voll des Lobes für das großartige Engagement der Gemeinden für deren Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen. „Dafür werden einerseits enorme Geldmittel in die Hand genommen, andererseits steckt aber auch überdurchschnittlich viel Engagement der beteiligten Pädagogen, vieler Eltern und der politisch Verantwortlichen in den Gemeindestuben dahinter”, betont die Landesstatthalterin und ist auch ganz begeistert vom dabei gezeigten „Mut zur Veränderung”. Mit Stolz kann sie anführen, dass das Land die Finanzierung solcher Projekte mit bis zu 40 Prozent fördert und so vieles auch erst möglich macht.

Dr. Barbara Schöbi-Fink, Landesstatthalterin

Die Institution Schule vergleicht sie sinnbildlich mit einem großen Tanker. „Veränderungen können hier nicht von heute auf morgen stattfinden, alles braucht seine Zeit”: Diese systemimmanente Trägheit erfordere sehr viel Geduld und nicht wenigen gehe es zu langsam. Andererseits bietet dieser „Tanker” allen Beteiligten auch Verlässlichkeit. Nicht Revolution und damit verbundene Unruhe, sondern Evolution, eine sorgsame und durchdachte Entwicklung sei in Sachen Kinderbetreuung und Schule gefragt: „Das Wohl der Kinder steht im Mittelpunkt”, betont Schöbi-Fink. Die dabei geforderte organisatorische und auch bauliche Weiterentwicklung müsse im größtmöglichen Konsens mit Pädagogen, Eltern und den politisch Verantwortlichen geschehen, damit sie nachhaltig bleibt. In diesem Sinne und anhand allein der jüngsten Veränderungen gerade auch im Walgau ist Barbara Schöbi-Fink zuversichtlich, was die Weiterentwicklung der „Modellregion Bildungsland Vorarlberg” betrifft. Der Landtag hat darin (unter anderem) den Wunsch nach einer gemeinsamen Schule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen definiert. „Der Bund hat dafür mit weitreichenden Beschlüssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen”, freut sich Schöbi-Fink.

„Bildungsdirektor Martin Netzer hat erst kürzlich erklärt, dass die Modellregion im Unterrichtsministerium kein Thema mehr sei. Er hat die Modellregion damit keineswegs in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil bestätigt, dass diese Rahmenbedingungen nach wie vor gelten”, stellt sie klar.

Dazu gehört, dass Mittelschullehrer und AHS-Professoren, die in Zukunft in solchen gemeinsamen Schulen eng zusammenarbeiten würden, in weiten Teilen eine gleichwertige (pädagogische) Ausbildung haben müssen. „Die Ausbildung der jungen Pädagogen wurde diesen Voraussetzungen entsprechend auch schon geändert”, berichtet die Schullandesrätin. Es wird aber naturgemäß noch viele Jahre dauern, bis diese „neuen Pädagogen” in ausreichender Anzahl bereitstehen. „Wir müssen in unserem Bildungstanker also noch einige Geduld aufbringen”, appelliert Schöbi-Fink. Als „Steuerfrau” ist sie aber überzeugt, dass man auf dem richtigen Kurs unterwegs ist. 

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