Aus einem Mangel kann oft etwas ganz Besonderes entstehen. Musikalisch geriet Thomas Andreatta rasch an seine Grenzen. Weil der Bludenzer aber so schnell nicht aufgibt und auch gern einmal etwas Neues ausprobiert, fertigt er heute Mundstücke für Saxophone und Klarinetten, die von Berufsmusikern in aller Welt geschätzt werden.
FOTOS: TM-HECHENBERGER
„Das Saxophon ist ein Instrument für Individualisten”, weiß Thomas Andreatta. Während die einen warme, weiche Klänge bevorzugen, kann es für die anderen nicht hart und schräg genug sein. Wesentlichen Einfluss auf die Klangfarbe eines Blasinstruments hat das Mundstück. Während früher alle Mundstücke aus Holz gefertigt waren, sind sie heute vielfach aus Kunststoff, manchmal sogar aus dem 3-D-Drucker. Puristen vermissen aber das weiche Timbre, das nur ein Holzmundstück einem Saxophon oder einer Klarinette entlocken kann.
Ein Holzmundstück ist allerdings gar nicht so leicht zu bekommen. Weil sich Holz durch Feuchtigkeit verziehen kann, haben moderne Produzenten diesem Werkstoff vielfach abgeschworen. Von all dem wusste Thomas Andreatta nur wenig, als er vor acht Jahren von einem Bekannten ein Saxophon geschenkt bekam. Schon als Kind hatte er Saxophon oder Klarinette lernen wollen. Damals blieb es bei der Blockflöte, doch jetzt wollte er sich diesen Traum verwirklichen.
Die Ernüchterung kam rasch. „Es war einfach zu schwierig und zu spät”, musste sich der damals fast 50-Jährige eingestehen. Viel Zeit zum Üben hatte er außerdem nicht. Der Familienvater beschloss deshalb, auf Klarinette umzusteigen. Weil er dieses Instrument nicht, sehr wohl aber eine alte Blockflöte zur Hand hatte, machte er sich kurz entschlossen ans Werk. Schließlich hat der studierte Landschaftsgärtner und Sozialarbeiter von seinem Vater nicht nur das Elternhaus, sondern auch eine gut ausgestattete Tischler-Werkstatt übernommen. Mit einem selbst gefertigten, neuen Mundstück sollte die Blockflöte zur Klarinette mutieren. Leider war auch dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt. „Die Ton-Physik hat sich durch das veränderte Mundstück total verändert”, erklärt Thomas Andreatta.
Ganz hatte er das Projekt aber noch nicht aufgegeben, als er zufällig im Radio ein Interview mit einem international erfolgreichen Kärntner Saxophonisten hörte. Thomas Andreatta war fasziniert von dem, was Edgar Unterkirchner aus seinem Berufsleben verriet. Er machte kurzerhand dessen Telefonnummer ausfindig und rief ihn an. Als der Bludenzer im Laufe einer netten Plauderei von seinem gescheiterten Versuch mit dem Klarinettenmundstück berichtete, wurde der mehrfach ausgezeichnete Musiker hellhörig. Der Saxophonist war nämlich schon länger auf der Suche nach einem Holzmundstück, um seinem Saxophon ein besonders warmes Timbre zu verleihen. „Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm eines schicke”, berichtet Thomas Andreatta und freut sich noch heute über das Feedback des Berufsmusikers. Der fand es nämlich „für einen ersten Versuch erstaunlich gut” und schickte ein Fachbuch über Saxophone nach Bludenz.
Die Werkstatt im Keller wurde zum Versuchslabor
Weil Landschaftsgärtner im Winter nicht so viel zu tun haben, fertigt Thomas Andreatta in der kalten Jahreszeit Schindeln für traditionelle Holzhäuser. In diesem Winter verbrachte er außerdem jede freie Minute in der Werkstatt, um an seinen Holzmundstücken zu tüfteln. Die Ergebnisse überzeugten Edgar Unterkirchner immer mehr und bald auch andere seiner Kollegen. So kam es, dass Thomas Andreatta eine neue Drechselmaschine anschaffte, die Schindeln ad acta legte und heute regelmäßig zu Musikfachmessen reist.
„Die Musiker bekommen dort alle große Ohren, wenn sie zu meinem Stand kommen, sind am Anfang aber meist skeptisch”, muss Thomas Andreatta auch heute noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Das Vorurteil, dass sich Holzmundstücke leicht verziehen, hält sich hartnäckig. „Es kommt aber auf die Verarbeitung an”, ist Thomas Andreatta überzeugt. Er fertigt seine Mundstücke aus Olivenholz, das er in der Nähe des Geburtsorts seines Vaters am Gardasee bezieht. Olivenholz ist extrem hart und verzieht sich kaum. Der Bludenzer verwendet nur die besten Stücke, achtet penibel auf die richtige Faserung und darauf, dass kein noch so kleines Astloch die Perfektion beeinträchtigt.
„Man lernt aus Fehlern und wird immer sensibler”
Es sind aber die Feinheiten der händischen Verarbeitung, welche ausschlaggebend sind für den perfekten Klang – je nach gewünschter Spielweise. Dabei geht es um Bruchteile von Millimetern. „Man lernt aus Fehlern, wird mit der Zeit immer sensibler und perfektioniert die Feinheiten”, erklärt Thomas Andreatta seine Herangehensweise. Die besondere Qualität seiner Mundstücke hat er sich durch eigene Versuche erarbeitet.
Dabei setzt Thomas Andreatta auf den ständigen Austausch mit seinen Kunden. Die erhalten meist mehrere Mundstücke zum Ausprobieren, damit ihr Instrument wirklich exakt das Timbre erhält, das sie sich wünschen. „Jetzt weiß ich, worauf es ankommt.” – Obwohl er seine Lehrzeit seit über einem Jahr als abgeschlossen sieht, lernt Thomas Andreatta auf diese Weise immer noch dazu. Er gibt sein Wissen inzwischen bei Workshops an der Instrumentenbauschule im deutschen Ludwigsburg weiter.
Mit seinen Söhnen arbeitet der Bludenzer zurzeit an einer eigenen Homepage mit Online-Shop, nach der coronabedingten Zwangspause freut er sich außerdem wieder auf viele nette Begegnungen bei Fachmessen im Herbst. Seit kurzem kann er dort neben seinen edlen Mundstücken auch geeignete Blättchen in verschiedenen Stärken präsentieren. Denn wie es der Zufall will, wächst in dem Ort, von dem Thomas Andreatta alljährlich einen Anhänger voll Olivenholz mitbringt, auch genau jenes Schilfrohr, aus dem traditionell die Blättchen gefertigt werden, welche Klarinettisten sorgfältig ins Mundstück spannen. Da ist es doch nur konsequent, dass sich Thomas Andreatta auch mit deren Fertigung beschäftigt. Schließlich hat auch dieses Verschleißteil Einfluss auf die Schwingungen. Er stellt sie jetzt in allen gewünschten Stärken her.
„Winter-Arbeit”, die viel Freude bereitet
In seiner Werkstatt sind aber vor allem Mundstücke für Saxophone, Bohin-Klarinetten, Deutsche Klarinetten und Deutsche Klarinetten Wiener Art fein säuberlich aufgereiht. Eine Bekannte strickt außerdem wollene Hauben, welche die fein geölten Kostbarkeiten vor Beschädigung schützen. Aktuell fertigt der Bludenzer durchschnittlich hundert Mundstücke im Jahr. Von der Nachfrage her könnten es auch mehr sein. Dann bräuchte Thomas Andreatta allerdings Unterstützung. Sein erworbenes Fachwissen würde er gerne an Interessierte weitergeben. „Aber bis jetzt hat noch niemand angebissen.”
Die Mundstück-Produktion soll aber bis auf Weiteres seine „Winter-Arbeit” bleiben. Denn in der warmen Jahreszeit genießt der Landschaftsgärtner die Zeit in der freien Natur. Das Drechseln, Schleifen und Feilen ist für ihn aber der perfekte Ausgleich und „macht einfach viel Freude”.