Wenn das zuvor hochgepumpte Wasser vom Speicher Silvretta über das Kraftwerk „Obervermuntwerk II” in den 311 Meter tiefergelegenen Speicher Vermunt abgelassen wird, fließen bis zu 150 Kubikmeter Wasser durch den auf diesem Foto im Rohbau befindlichen Druckstollen. Die Wassermassen setzen die beiden je 245.000 PS starken Turbinen in Bewegung – und erzeugen dabei Strom, der für die Energieversorgung in Vorarlberg und ganz Europa wichtig ist. Am gelungenen Werk – das Anfang Juni offiziell eröffnet wird – haben hunderte Spezialisten mitgearbeitet. Besonders viele Fachleute aus Bludenz und dem Walgau waren an vorderster Stelle mit dabei.
FOTOS: ILLWERKE VKW, HANDOUT BERTSCH
Fünf Jahre nach dem Baubeginn wird das Kraftwerk Obervermunt II der Illwerke am 7. Juni offiziell eröffnet. Das 500-Millionen-Euro Projekt ist ein Meilenstein für die bis 2050 angestrebte Energieautonomie Vorarlbergs und wird zur Energie-Versorgungssicherheit in ganz Europa beitragen. Der Bludenzer DI Gerd Wegeler widmete diesem Werk gute zehn Arbeits- beziehungsweise Lebensjahre und trug als Gesamtprojektleiter die Hauptverantwortung für dessen Gelingen.
Als junger Ingenieur hatte der gebürtige Bürser zuvor schon einige Jahre am Kopswerk II mitgearbeitet – das übrigens von der Leistung her noch einmal ein Drittel größer ist. Das Prinzip dieser beiden größten Vorarlberger Pumpspeicherkraftwerke ist das gleiche.
Kops II und Obervermunt II sind quasi gigantische wiederaufladbare Batterien. Überschüssiger Strom aus Wind- und Sonnenenergie in ganz Europa wird genutzt, um Wasser in die höher gelegenen Speicher zu pumpen. Bei Bedarf wird das Wasser wieder abgelassen, treibt dabei Turbinen und Generatoren zur Stromerzeugung an.
Die Dimensionen dieser „Batterien” sind schlichtweg gigantisch. Dazu ein paar Kenndaten zum Kraftwerk Obervermunt, mit dessen Bau im Mai 2014 begonnen wurde: Der Höhenunterschied zwischen dem Silvrettasee- und dem Vermuntspeicher beträgt durchschnittlich 291 Meter und (je nach „Füllstand”) maximal 311 Meter. Unter Volllast treiben bis zu 150 Kubikmeter Wasser je Sekunde (!) die beiden Francis-Turbinen mit einer Leistung von zusammen 360 Millionen Kilowatt an.
Innerhalb weniger Sekunden vom Pump in den Turbinenbetrieb
Fast noch beeindruckender: Wenn durch starke Winde oder verbreiteten Sonnenschein mehr Strom in das europäische Netz eingespeist als verbraucht wird, kann die Anlage innerhalb von wenigen Sekunden von Turbinen- in den Pumpbetrieb umgestellt werden: Dann werden zwei riesige Pumpen aktiv, die das Wasser vom Vermuntspeicher wieder in den Silvrettasee hochpumpen: Bis zu 135 Kubikmeter in der Sekunde! Zur Veranschaulichung: Eine überflutete 130 Quadratmeter-Wohnung wäre in gut zwei Sekunden leergepumpt. Der Vermuntspeicher mit seinen 5,3 Millionen Kubikmeter Volumen wäre in weniger als zehn Stunden in den und 300 Meter höher gelegenen Silvrettasee gepumpt.
In der Praxis passiert das nicht so oft – weil die Phasen zwischen Pump- und Turbinenbetrieb bzw. zwischen Stromüberangebot und Strombedarf kürzer sind. An einem Tag wird bis zu 15 Mal umgesteuert. Den steigenden und sinkenden Wasserpegel kann der genaue Beobachter beim Vermuntspeicher mit freiem Auge erkennen.
Teamgeist und Vertrauen
„Dass das Obervermunt II innerhalb des Zeitplanes und zu den vorgegebenen Kosten fertiggestellt werden konnte, das war nur durch die perfekte Zusammenarbeit aller Beteiligten möglich”, stellt der 42-jährige DI Gerd Wegeler klar. Zeitweise bis zu hundert Illwerke-Spezialisten verschiedenster Bereiche waren eingebunden – insgesamt leisteten sie rund 500.000 Arbeitsstunden.
Ein Mehrfaches dieser Stundenleistung kam von den Mitarbeitern der beauftragten Unternehmen dazu: Einmal in den Konstruktionsbüros und Werkstätten dieser beteiligten Firmen, wo die Bauelemente (vor-)gefertigt wurden, und dann auch direkt auf der Baustelle. Für die Koordination der Arbeiten vor Ort konnte sich Projektleiter Wegeler auf Ing. Herbert Schnetzer verlassen: Der 55-jährige Nüziger – in seiner Freizeit begeisterter Winzer mit 350 Rebstöcken in Bludesch – hatte als Oberbauleiter ebenfalls eine Schlüsselposition inne. Man kann sich auch als Laie vorstellen, dass die Bauleitung bei diesem Werk besondere Herausforderungen mit sich brachte.
Tausende Tonnen Gestein aus dem Berg geprengt
In der unterirdischen Baustelle auf rund 1.700 Metern Seehöhe waren bis zu 500 Fachleute im Dreischichtbetrieb und ohne Wochenend-Pausen am Werk. Tausende Tonnen Gestein mussten aus dem Berg gesprengt werden – allein für die Kaverne für das Krafthaus mit mehr als 125 Metern Länge und jeweils über 30 Metern Breite und Höhe waren das weit über 250.000 Tonnen. Dazu noch der Ausbruch für die insgesamt mehr als acht Kilometer langen Stollen mit Durchmessern von bis zu neun Metern…
Ein guter Teil dieser gewaltigen Ausbruchsmengen wurde direkt vor Ort in einem eigens dafür eingerichteten Werk zu Beton verarbeitet und direkt für den Kraftwerksbau verwendet. So konnten auch tausende LKW-Fahrten für Aushub-Transporte vermieden werden.
„Die möglichst umwelt- und ressourcenschonende Bauweise, die auch bestmöglich auf die Interessen der Anrainer im Tal achtet, war von vornherein eine Planungsvorgabe”, betont DI Wegeler. Dennoch ist der Baubeginn wegen diverser Einsprüche verzögert worden. „Ursprünglich wollten wir ja schon 2013 loslegen”, erinnert DI Wegeler – letztlich konnte der Bau erst im Mai 2014 (mit einer symbolischen Sprengung durch Tunnelpatin Sonja Wallner) feierlich gestartet werden.
Das „Verzögerungsjahr” wurde aber intensiv genutzt, um die Planungen entsprechend zu vertiefen: Eine entscheidende Rolle spielte dabei ebenfalls ein Nüziger: Sämtliche Pläne der verschiedensten internen und externen Fachleute landeten nämlich auf dem „Tisch” von Ing. Wolfgang Poiger: Als Planungskorrdinator hatte er mit seinen Mitarbeitern die Aufgabe, diese Pläne aufeinander abzustimmen und daraus ableitend zum Beispiel auch die Ausschreibungen für die einzelnen Gewerke vorzubereiten.
Was die leittechnischen Pläne für das Obervermuntwerk II und deren exakte Umsetzung angeht, so war auch hier ein Walgauer federführend. Der Ludescher Ing. Andreas Gabl hatte als Verantwortlicher für die gesamte Leittechnik die „Fäden” bzw. Kabel in der Hand – sein Team sorgte dafür, dass das Kraftwerk nicht nur funktioniert und Strom liefert, sondern dass die über 10.000 Signale richtig verarbeitet werden, damit alle Anlagenteile in jeder Sekunde überwacht sind und über eine übersichtliche Visualisierung bedient werden können.
Firmen aus dem Walgau federführend dabei
Bei der Umsetzung der Pläne packten Walgauer Firmen federführend mit an. Sicherheit und Verlässlichkeit ist das höchste Gebot im Kraftwerksbau. Das gilt für sämtliche Teile eines Kraftwerks. Die Nüziger Firma Wagner konnte schon beim Kopswerk II mit höchster Qualität und innovativen technischen Lösungen überzeugen. Auch in Obervermunt II setzten die Illwerke für ganz besonders sensible Bereiche auf die Nüziger Anlagenbauer. „Ich ziehe den Hut vor den Illwerken, allen Beteiligten und natürlich auch vor meinen eigenen Leuten. Es macht mich schon stolz, dass wir Teil dieses großartigen Projektes waren”, erklärt Firmenchef DI Martin Wagner. „Zu unserem Aufgabenbereich gehörte zum Beispiel die Planung und Montage der Kühlwasserkreisläufe.” Dass hier höchste Präzision erforderlich ist, versteht sich von selbst: Ein Totalausfall des Systems könnte katastrophale Folgen haben. Entsprechend werden in der Planung natürlich Reserven und mehrfach abgesicherte Notfallsysteme implementiert.
Ebenso wichtig ist das Lenzwassersystem – das ebenfalls im Hause Wagner und zwar in Modulbauweise direkt in Nüziders gefertigt wurde: Es dient dazu, das Krafthaus im Berginneren trocken zu halten – selbst wenn größere Mengen Wasser eindringen sollten. Auch diese Systeme sind mehrfach abgesichert. Schließlich vertrauten die Illwerke der Nüziger Firma auch das Sperrwassersystem an, das für den „reibungslosen“ Betrieb der Pumpen und Turbinen von größter Bedeutung ist.
„Die Rohre für diese verschiedenen Wasserkreisläufe mussten teilweise in das bis zu fünf Meter dicke Stahlbetonfundament im Krafthaus eingebaut werden. Wer sich ein bisschen auskennt, der kann sich vorstellen, wie sich diese Arbeiten in dem riesigen Stahlkäfig vor dem Auffüllen mit dem Beton angefühlt haben”, zieht Martin Wagner den Hut vor seiner Truppe. Unter der Leitung von Ing. Toni Mündle haben die „Wagnerianer” insgesamt rund 16 Mannjahre in das Projekt investiert.
1500 Tonnen Rohre aus Nüziders von Bertsch Energy
Auch die Firma Bertsch Energy war für das Kraftwerk im Einsatz. Insgesamt wurden in der Fertigung in Nüziders etwa 1500 Tonnen Druckrohrleitungen hergestellt. Der längste Teil des schweißtechnisch und qualitativ sehr anspruchsvollen Auftrags besteht aus einer etwa eintausend Meter langen Rohrleitung mit einem Durchmesser von knapp zwei Metern, welcher die Anbindung an das Kraftwerk Obervermuntwerk I bildet. Beim eingesetzten Material handelt es sich um einen hochfesten thermomechanisch gewalzten Feinkornstahl, der im Vergleich zu herkömmlichem Stahl etwa die dreifachen Festigkeitswerte aufweist und dadurch entsprechend dünner ausgeführt werden kann. Weitere Teile des Auftrags umfassten die Lieferung der Turbinenzulaufleitung, die für eine gleichmäßige Verteilung des Wasser auf beide Turbinen sorgt. Außerdem fertigte Bertsch Energy in Nüziders die geometrisch anspruchsvolle Wasserschlossdrossel, die sich am Beginn des Wasserschlosses befindet. Die Drossel sorgt bei der Umschaltung von Turbinen- auf Pumpbetrieb dafür, dass Druckschwankungen in der Druckrohrleitung und im Stollen ausgeglichen und gedämpft werden. Direkt nach den Turbinen und Pumpen befinden sich die von „Bertsch Energy” gelieferten sogenannten „Unterwasserverzugspanzerungen”: Sie bilden den dichten Übergang von der Krafthauskaverne bis zum Unterwasserstollen.
Sicherheit hatte immer Vorrang
Auch das Ingenieurbüro Brugger (Bludenz), die Stahlbauer Vonbank&Witwer (Nüziders), Stahlbau Rudigier aus Bludenz und weitere Unternehmer aus der „allerhand-Region” waren dabei. Nicht zu vergessen ist auch der Beitrag, den die Ludescher „SafeSide-Consulting” zum Gelingen des Werkes geleistet hat: Michael Nicolussi und sein Team waren als externe Spezialisten für die Arbeitssicherheit und die Überwachung der gesetzlichen Vorgaben verantwortlich.
Dass auf dieser Baustelle in vier Jahren unter härtesten Bedingungen keine tödlichen Unfälle passiert sind – das ist mit das Verdienst der Ludescher Firma: Vor allem aber ist diese Tatsache für alle Beteiligten noch viel bedeutender, als es die Einhaltung von Zeit- und Kostenplänen war.
So können sich alle uneingeschränkt auf die Eröffnungsfeierlichkeiten am 7. Juni und auf die Tage der offenen Tür am 8. und 9. Juni freuen.