Sebastian Rauch und Thomas Rösler brennen für ihre einzigartigen Fliesen und mindestens ebenso sehr für ihre besondere Art zu wirtschaften. Die beiden Geschäftsführer der Karak Fliesenmanufaktur haben den Anspruch, dass sich die Ästhetik ihrer Produkte in ihrer Arbeitsumgebung und im Miteinander widerspiegelt.
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So ist denn auch die Esse, in der die glühend heißen Rohlinge unter viel Gezische und Rauch in Sägemehl vergraben werden, mit Blattgold überzogen. „Wir haben zu dritt 18 Stunden daran gearbeitet”, erklären die Karak-Chefs stolz. Denn diese Schufterei war es ihnen wert. Sie sind schließlich überzeugt davon, dass es nicht egal ist, in was für einem Umfeld man arbeitet. Die goldene Esse soll jeden einzelnen Mitarbeiter immer wieder daran erinnern.
Das rund 130 Jahre alte Prunkstück steht in der ehemaligen Schlosserei der früheren Getzner-Spinnerei in der Bludenzer Klarenbrunnstraße. Das altehrwürdige Gebäude beheimatet heute mehrere innovative Unternehmen. Karak ist vor zwei Jahren dorthin übersiedelt. „Das war wie zuhause ausziehen”, lacht Sebastian Rauch. Er emfand den Standortwechsel als Abnabelung vom Familienbetrieb in Schlins. Denn Keramik war in seiner Jugend immer präsent.
Sein Vater – der Schlinser Lehmbau-Pionier Martin Rauch – und seine Mutter – Keramik-Künstlerin Martha Rauch-Debevec – haben den Sohn jedoch nicht in diese Richtung gedrängt. Im Gegenteil: „Mich hat das Handwerkliche lange gar nicht interessiert”, erinnert sich Sebastian Rauch an seine kindliche Begeisterung für alles Digitale. Nach der Ausbildung zum Druckvorstufentechniker zog es ihn zum Grafik-Studium nach St. Pölten und danach zum Arbeiten in die Bundeshauptstadt. Schon damals hat er viele Nächte lang mit seinem WG-Mitbewohner Thomas Rösler über gesellschaftliche Fragen philosophiert. Mit dem ausgebildeten Werkzeugmacher und Produktdesigner aus Nenzing verbindet ihn eine langjährige Freundschaft.
Als Karak-Gründerin Martha Rauch-Debevec vor sieben Jahren verkündete, dass ihr die Arbeit langsam zu anstrengend wird und sie in Pension gehen möchte, sahen die beiden Freunde deshalb nicht nur die Chance, einen florierenden Kleinbetrieb zu übernehmen, sondern auch eine Gelegenheit, ihre Vorstellungen von einem besseren Miteinander und sinnstiftender Arbeit auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen. „Es war ja eigentlich alles schon da”, sehen sich die beiden nicht als Helden, die den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben. Martha Rauch-Debevec hatte ursprünglich für das eigene Heim in Schlins Fliesen in traditioneller japanischer Raku-Technik gebrannt. „Der Architekt war damals sehr dagegen”, berichtet Sebastian Rauch, „doch meine Mutter hat sich durchgesetzt.” Besagter Architekt zeigte sich später aber so begeistert von der Wirkung, welche die Fliesen mit ihren großflächigen Mustern in dem ansonsten schlichten und geradlinigen Lehmbau entfalten, dass er bald Fliesen für andere Projekte bei der Keramikkünstlerin orderte. Produziert wurden diese in der Lehmbau-Werkstatt von Martin Rauch. Die Muster lieferte schon damals immer wieder Sohn Sebastian.
Diese Entstehungsgeschichte hat wesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Firma Karak. Davon sind Thomas Rösler und sein Co-Geschäftsführer zutiefst überzeugt. Sie wollen dieses Prinzip beibehalten: „Wir überlegen nicht, was sich am Markt gut verkaufen würde, sondern entwickeln Ideen für uns selbst und freuen uns, wenn diese auch anderen gefallen.” So experimentiert Sebastian Rauch momentan in Zusammenarbeit mit der Tischlerei Koje an einer „Keramik-Intarsie”, mit der er sein Zirben-Bett verzieren möchte. Kann sein, dass diese Technik einmal ins Karak-Sortiment aufgenommen wird. Doch vorerst ist dies nicht das Ziel.
Ähnlich verhält es sich mit den grafischen Mustern, welche er für die Fliesen am Computer zeichnet. Die Entwürfe sind durchschnittlich zwei Jahre alt, bevor sie für ein Projekt vorgeschlagen und dann tatsächlich produziert werden. Von deren zeitloser Ästhetik müssen die Karak-Mitarbeiter dann aber niemanden überzeugen, „sie ziehen ganz von selbst interessante Menschen an.” Oft sind es Architekten, die bei Karak-Fliesen ordern, meist wenn sie ihr eigenes Zuhause planen. Die Manufaktur-Mitarbeiter erklären sich diesen Umstand damit, dass die Planer bei ihren eigenen Häusern weder dem Zeitgeist entsprechen oder ein vorgegebenes Budget einhalten müssen. Denn Karak-Fliesen sind eine Investition für Generationen. „Sie werden mit dem Alter sogar noch schöner.”
Ihre Kunden stoßen auf Messen, über das Internet und zunehmend auch über Mundpropaganda auf die bis zu 28,5 x 28,5 Zentimeter großen und bis zu vier Kilo schweren Keramikfliesen mit der angenehmen Haptik und den auffallenden grafischen Ornamenten. 2020 fielen die Messeauftritte zwar aus, doch „das hat unserer Produktion gutgetan.” Sebastian Rauch und Thomas Rösler haben die Zeit genutzt, um wieder mehr darüber nachzudenken, wie die Arbeitsprozesse verbessert werden können, wie es mit Karak weitergehen soll. Sie wünschen sich ein langsames, organisches Wachstum, das Zufälle zulässt, aus denen sich etwas Neues entwickeln kann.
Optik wird vom Zufall beeinflusst
Schließlich sind es ja genau die kleinen Abweichungen vom Perfekten, die den Reiz traditioneller Raku-Keramik ausmachen. Der Sauerstoff-Entzug nach dem Brennen und der dabei entstehende Rauch wirken intensiv und jedes Mal anders auf die Oberfläche ein. Die Farbe ändert sich je nach Glasur und schwärzt ihre hauchdünnen Risse. Diese Prozesse machen jede einzelne Karak-Fliese zum Unikat.
Bis diese verlegt werden kann, wandert sie mindestens 30 Mal durch die Hände der Manufaktur-Mitarbeiter. Für den Rohling werden verschiedene Ton- und Lehmerden, Quarzsand und Schamott sorgfältig gemischt und in Form gepresst, kleine Unebenheiten anschließend retuschiert. Auf der Rückseite wird jede Fliese mit dem Karak-Zeichen gestempelt. Diese Vorgangsweise haben sich die Unternehmer bei den Barock-Baumeistern abgeschaut. Damals war es üblich, die eigenen Erzeugnisse gewissermaßen zu signieren. „Bis zum Bauhaus gab es keine Designer”, erklärt Sebastian Rauch. Die Handwerker haben sich selbst um ansprechende Ergebnisse bemüht. Diese Gestaltungskompetenz will man bei Karak wieder in die Hände der Handwerker zurückholen.
Nach dem ersten Brand im tausend Grad heißen Elektro-Ofen werden die Fliesen per Siebdruckverfahren mit der Glasur versehen. Nun wandern sie ein zweites Mal in den Ofen, aus dem sie dann einzeln mit einer Zange entnommen und sofort im Sägemehl in der Esse vergraben werden. Auf diese Weise werden sie vom Sauerstoff abgeschnitten. Bei diesem hektischen Treiben rund um die glühend heißen Öfen kann einiges schiefgehen. Doch wie genau sich dieser letzte Schritt und der Temperaturschock auf die Oberfläche ausgewirkt haben, erkennen die Mitarbeiter erst, wenn die Fliesen mit Wasser und Bürste sorgfältig gesäubert wurden.
Produktionsleiter und Lehrling in einer Person
Milorad „KeraMik” Krajisnik hat während des gesamten Herstellungsprozesses immer ein Auge auf die Esse, die Öfen und das Wasserbad. Er zeichnet als Produktionsleiter verantwortlich – und ist gleichzeitig der erste Lehrling des Betriebs. Der 36-jährige Werkzeugmacher und Familienvater aus Bludesch hat sich bei Karak für das Keramikhandwerk begeistert. Dafür nimmt er es sogar auf sich, jedes Jahr drei Monate lang in der Steiermark die Schulbank zu drücken – als einer von insgesamt vier Keramiker-Lehrlingen österreichweit. Seine Chefs unterstützen ihn bei dieser Neuorientierung nach Kräften, obwohl es auch für sie bedeutet, dass sie über Wochen auf ihn verzichten müssen. Sie können nachvollziehen, was ihn antreibt. „Obwohl das Keramikerhandwerk zu den ältesten Berufen zählt, gibt es immer noch Neues zu entdecken.” Außerdem haben sich Sebastian Rauch und Thomas Rösler ja vorgenommen, dass sie auf die Lebenssituation ihrer aktuell neun Mitarbeiter eingehen. „Wir wollen Leben zulassen und nicht raus-optimieren”, fasst Thomas Rösler den Tanz auf dem schmalen Grat zwischen Ordnung und Chaos zusammen, auf dem er und sein Freund Sebastian das Unternehmen aufbauen. Den ausgebildeten Freizeitkapitänen ist durchaus bewusst, dass sie Verantwortung übernehmen und eine Richtung vorgeben müssen. Doch es gibt auch Spielräume, und die wollen sie nutzen. Eine Mitarbeiterin hat es einmal so formuliert: „Ihr habt ein Talent dafür, Räume zu gestalten, in denen man sich entfalten kann.” Dieses Kompliment ist den beiden Antrieb in jeder Hinsicht.