„Schumann macht mich regelrecht verrückt”

Als eingefleischter Michael Jackson-Fan wollte Christian Wachter eigentlich Gitarre lernen. Doch als die Mama ihn dazu überredete, doch einmal das Klavier auszuprobieren, sprang der Funke sofort über. Für den damals Neunjährigen stand fest: „Ich werde einmal Pianist.“ Diesen Traum hat der Bludenzer wahr gemacht. Er lebt und arbeitet seit vielen Jahren als Konzertpianist in Paris. 

FOTOS: TM-HECHENBERGER, PRIVAT

„Musik war bei uns in der Familie nicht wirklich präsent“, erzählt Christian Wachter aus seiner Kindheit. Seine Mama hörte zwar oft klassische Stücke, aber niemand in der Familie spielte ein Instrument. „Wir hatten anfangs nicht einmal ein Klavier.“ Denn der Papa wollte erst prüfen, ob die Begeisterung seines Sohnes wirklich anhalten und eine solche Investition rechtfertigen würde. Der Junge wollte von diesem Tag an aber tatsächlich kaum mehr etwas anderes tun, als Tonleitern und Sonaten zu klimpern. Zwar hagelte es in den ersten Monaten, in denen Christian zuhause mangels Klavier nicht üben konnte, ein paar Standpauken. Doch an der Musikschule Bludenz erkannte sein Lehrer Michael Plangg sofort das große Talent des Jungen, der wahrhaft besessen davon war, immer schwierigere Stücke zu meistern. 

Die Familie beschloss also, den Jungen bei der Umsetzung seines Traumes zu unterstützen. 2002 wurde der mehrfache „Prima la musica“ Landes- und Bundessieger an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien aufgenommen. „Das war echt hart“, erinnert sich Christian Wachter. Obwohl er die Bundeshauptstadt nach wie vor als „Musikwelthauptstadt“ schätzt, fühlte er sich damals sehr einsam. „Die Lehrer haben sich nicht wirklich um mich gekümmert,“ erinnert er sich. Das Leben im Studentenheim und die vielen Konzerteinsätze, die von ihm erwartet wurden, überforderten den 15-Jährigen. 

Später kam der Vorarlberger bei der Familie eines Musikers der Wiener Philharmoniker unter, bei der er sich wohl fühlte. Trotzdem war Christian Wachter froh, drei Jahre später wieder zu seinen Eltern zurückkehren zu können, die inzwischen nach Lindau übersiedelt waren. 

Erste Station Colmar

Dort vertraute sich der Musikbegeisterte einer russischen Pia­nistin an, die ihn die nötige Disziplin lehrte, ohne die auch das größte Talent in der Musikwelt zum Scheitern verurteilt ist. Also reiste er einmal in der Woche nach Colmar, um bei Réna Shereshevskaya zu lernen. Als die Pianistin dann nach Paris übersiedelte, machte sie ihm ein Studium an der École Normale Cortot schmackhaft, wo der Vorarlberger bald konsequent auf das „diplôme supérieur de sixième exécution“ hinarbeitete. Unterstützt wurde er dabei von der ungarischen Pianistin Gabriella Torma. Diese Mentorin des Jungmusikers  legte ebenfalls großen Wert auf Disziplin. „Dreieinhalb Jahre lang hat sie mich immer wieder mit dem Handy aufgenommen und mir dann das Ergebnis vorgespielt“, erinnert sich Christian Wachter mit Grauen an das tickende Metronom, das unerbittlich aufzeigte, wann immer er nicht ganz im Takt war. 

„Als Kind habe ich einfach Klavier gespielt, um Freude daran zu haben.“ Christian Wachter ist überzeugt davon, dass seine Liebe zum Klavier nur deshalb so lange angehalten hat. Heute unterrichtet er selbst zwei Kinder, um sich die Miete für seine Wohnung in Paris zu verdienen. Dabei versucht er in erster Linie, ihnen Freude am Klavierspiel zu vermitteln. Obwohl er selbst erfahren hat, wie hart es ist, sich in späteren Jahren schlechte Angewohnheiten wieder abzutrainieren, glaubt er nicht daran, dass es gut ist, Kinder zu früh zu „drillen“. Oft genug hat er beobachtet, dass talentierte Musiker ihr Instrument an den Nagel hängten, wenn zu viel Druck auf sie ausgeübt wurde.

„Obwohl ich in der Schule Französisch gelernt habe, hat mich Paris damals eigentlich nicht so interessiert“, sah Christian Wachter den Umzug damals eher gelassen. Während Wien ihn schon bei seinem ersten Besuch im Alter von elf Jahren regelrecht elektrisiert hat, brauchte er wesentlich länger, um mit der französischen Hauptstadt warm zu werden. Inzwischen hat er seit 16 Jahren in Paris seinen Lebensmittelpunkt. Freunden, die ihn besuchen kommen, empfiehlt er einen Spaziergang durch den Parc de Belleville, von dem aus man die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt von oben bewundern kann. Eine weitere grüne Oase, in der er persönlich zur Ruhe kommt, ist der Parc des Buttes-Chaumont mit seinen Felsen und Grotten, verschlungenen Wegen sowie Wasserfall, Tempel, Inselchen und Hängebrücke. Das Gelände eines ehemaligen Steinbruchs wurde Ende des 19. Jahrhunderts zum Landschaftspark umgebaut.

Viel Zeit für solche Ausflüge bleibt Christian Wachter allerdings nicht. Denn er übt weiterhin acht Stunden am Tag, um bei Konzerten zu brillieren. „In Paris waren es vor allem zwei Lehrer, die mich geformt und mir die Musikwelt näher gebracht haben“, ist Christian Wachter heute noch dankbar. Der Vorarlberger trifft immer wieder Menschen, die seine Musik lieben, ihn unterstützen und zu Konzerten einladen.

So hat ihn das Klavierspiel schon in viele Länder gebracht. Er konnte für ein paar Monate bei Musikliebhabern in Mexiko den Flügel nutzen und bei dieser Gelegenheit seine Schwester besuchen, er hat bereits in Russland, den USA und vielen europäischen Ländern gespielt. Vor zwei Jahren jobbte er in einem Schloss in Frankreich als klavierspielender „Haussitter“ und verdiente sich ein Taschengeld, indem er Touristen durch die historischen Räume führte. In den Anfängen seiner Karriere erspielte er sich mit jährlich 30 bis 40 Auftritten in französischen Altenheimen Konzertroutine. 

Christian Wachter lässt die Dinge gerne auf sich zukommen, hält nicht viel davon, einen Karriereplan zu verfolgen. Allerdings würde es ihn freuen, einmal vor einem größeren Publikum, vor 600 bis 800 Menschen, zu spielen. Aktuell genießen bei seinen Auftritten bis zu 300 Musikliebhaber sein Spiel. 

Seine freien Tage verbringt der junge Pianist am liebsten in Bernay – einem Ort in der Normandie, den auch die französische Sängerin Edith Piaf zu schätzen wusste. „Ich kann dort den Flügel in einem Gestüt nutzen“, erzählt Christian Wachter von Pferden, die neugierig durchs Fenster blicken, wenn die ersten Töne erklingen. Die Besitzerin glaubt an die Kraft der Musik. Sie will künftig pferdegestützte Therapien mit Klavierklängen intensivieren. Obwohl er sich inzwischen über zahlreiche Konzertangebote in verschiedensten Ländern freut – „seit zwei Jahren geht es richtig ab“ – ist der Vor–arlberger offen für solche Ideen. 

Sein Musikerleben genießt er in vollen Zügen. Die Werke von Schubert, Bach und Beethoven gehen ihm nach wie vor unter die Haut – und Schumann, den er er erst spät für sich entdeckt hat, „macht mich regelrecht verrückt“.

Eines ist bei all der Musikbesessenheit allerdings auf der Strecke geblieben. „Bevor ich mit der Musik angefangen habe, habe ich mich mit Technik voll ausgekannt“, erinnert er sich. Das ist jetzt vorbei und „voll peinlich“. Erst seit einem Jahr ist der Vollblutmusiker auf sozialen Medien zu finden und überrascht, welche Möglichkeiten ihm diese auch für seine Karriere eröffnen. 

In den letzten Jahren zieht es ihn immer wieder in die Heimat. Christian Wachter hat inzwischen die Angst überwunden, die ihn besonders dann befiel, wenn es darum ging, in Wien oder gar Bludenz auf der Bühne zu stehen. Dabei besucht er seine Heimatstadt extrem gerne. „Ich bin verliebt in die Berge“, gesteht er. Seit er sich vor vier Jahren allerdings auf der Piste „wie ein Zwölfjähriger benommen“, wilde Sprünge gewagt und den Preis dafür bezahlt hat, lässt er das Schifahren sein. Das Risiko, seine Hände zu verletzen, ist einfach zu groß.

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