Der Stieglitz

Der Stieglitz inspiriert bis heute Künstler aller Genres. Er galt früher als Talisman gegen die Pest und andere Krankheiten. Aufgrund seines prächtigen Federkleids wurde er auf Königshöfen und in Bauernstuben im Käfig gehalten.

FOTOS: GERALD SUTTER, PRIVAT

In seinem Meisterwerk „Die vier Jahreszeiten” lässt Antonio Vivaldi den Gesang des Stieglitz von der Sologeige imitieren. Unter seinem „Zweitnamen” Distelfink ist der bunte Vogel Star eines berühmten Gemäldes sowie eines Bestsellers der zeitgenössischen amerikanischen Autorin Donna Tartt. Man begegnet ihm auf mittelalterlichen Marienbildnissen und Kreuzwegen. Wer sich mit dem gefiederten Gesellen beschäftigt, wird außerdem rasch auf eine Fabel stoßen, welche seinen bayrischen Beinamen „Zusammscharricht” erklärt: Der Überlieferung nach soll der Schöpfer nämlich alle Farbreste auf seiner Palette zusammengescharrt haben, um dem Stieglitz als letztem Vertreter der Vogelwelt ein buntes Federkleid zu verpassen. Bei uns ist eine Käfighaltung von Wildvögeln generell verboten, doch vielerorts lebt er – auch aufgrund seines hübschen Gesanges – in Gefangenschaft.

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(CARDUELIS CARDUELIS)

Der Stieglitz ist ein Vertreter aus der großen Finken-Familie, der fast auf dem ganzen Globus weit verbreitet ist. Wegen seiner Vorliebe für die Samen verschiedenster Distel-Arten wird er auch als Distelfink bezeichnet. 

Obwohl er sich gerne in menschlichen Siedlungen aufhält, ist der bunte Vogel ein seltener Gast an Futterhäuschen, weil er die harten Schalen etwa von Sonnenblumenkernen mit seinem zarten Schnabel nicht knacken kann. Stieglitze werden etwa zwölf Zentimeter groß, ihre Flügelspannweite beträgt bis zu 25 Zentimeter. Sie werden nur 14 bis 19 Gramm schwer.  Während die ausgewachsenen Vögel am Kopf eine deutliche Rotfärbung aufweisen, fehlt diese bei den Jungtieren gänzlich. Das Gefieder der Weibchen ist generell weniger intensiv gefärbt als das der Männchen. Der Gesang der weiblichen Tiere ist ebenfalls verhaltener als jener der männlichen Artgenossen.
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Dabei ist der Stieglitz alles andere als selten. Er kommt gerne in die Siedlungen. Allerdings findet er dort immer seltener geeignete Nahrung. Denn wer abgeblühte Pflanzen gleich zurechtstutzt, verhindert so, dass sich Samen entwickeln können. „Der Natur fehlt ein bisschen Unordnung in unseren Gärten”, appelliert denn auch Biologin Johanna Kronberger, mal ein Auge zuzudrücken, wenn die Pflanzen nicht mehr voll im Saft stehen und zu welken beginnen. „Würden wir unsere Gärten weniger aufräumen, müssten wir die Vögel im Winter nicht füttern”, macht sie bei Exkursionen immer wieder auf solche Zusammenhänge aufmerksam. Obwohl der erregte Ruf des Stieglitz in der Literatur als „zidi” beschrieben wird, findet die Ornithologin, dass sich der Gesang durchaus auch als „Stieg-litz” interpretieren lässt. Sie glaubt deshalb, dass er durch diese Lautmalerei zu seinem deutschen Namen gekommen ist. „Jedenfalls habe ich es mir so gemerkt”, bekennt sie sich zu ihrer Eselsbrücke.

JOHANNA KRONBERGER

…aus Sulz hat in Innsbruck und Wien Naturschutz und Biodiversität studiert.  Ihr ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Menschen wieder mehr Bezug zu den Vorgängen in der Natur um sie herum bekommen. Seit knapp drei Jahren engagiert sie sich als Obfrau von BirdLife Vorarlberg. In dieser Eigenschaft ruft sie im Jänner wieder zur „Stunde der Singvögel” auf.

Der Stieglitz liebt offene, baumreiche Landschaften. Deshalb kommt er gerne in Gärten mit Hochstamm-Obstbäumen und Beerensträuchern. Er ist bis in eine Höhe von 1300 Metern, in den letzten Jahren immer öfter sogar in noch höheren Lagen anzutreffen. Beim Fressen erweist sich der kleine Vogel als besonders wendig. Er pickt seine Nahrung nicht nur vom Boden auf, sondern hangelt sich sogar kopfüber an seine Lieblingssämereien heran. Besonders dünne Stängel beugt er mit seinem Körpergewicht herab, sodass die Samen senkrecht abstehen. Während er unreife Samen sofort verspeist, muss er reife Samen meist mühsam aus einem harten Spelz befreien. Wie sie das am besten anstellen, lernen Jungvögel von ihren Eltern.

Zweite Brut folgt rasch auf die erste

Die männlichen Tiere beginnen in der Regel im Februar/März damit, die Weibchen mit ihrem Gesang sowie dargebotener Nahrung zu umgarnen. Sind sich die beiden einig, machen sie sich gemeinsam auf die Suche nach einem geeigneten Plätzchen, wo das Weibchen dann Mitte April aus Moos, Halmen und anderen Pflanzenteilen ein Nest baut, in das es in der Regel fünf fein gesprenkelte Eier legt. Die Jungen schlüpfen nach spätestens zwei Wochen. Sie sind zu diesem Zeitpunkt noch blind und nackt. Doch schon acht bis 14 Tage später sind sie in der Lage, bei Gefahr das Nest zu verlassen. Noch während es den Nachwuchs gemeinsam mit dem Männchen versorgt, beginnt das Weibchen damit, ein zweites Nest für die nächste Brut zu bauen. 

Im Alter von knapp einem Monat sind die jungen Stieglitze selbstständig. Sie müssen allerdings stets auf der Hut sein. Denn bei Katzen, Mardern und Greifvögeln sind sie nur allzu beliebt. Freilebende Vögel werden maximal neun Jahre alt, während es Käfig-Tiere auf bis zu 17 Jahre bringen.

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Mitmachen bei der „Stunde der Singvögel”
8. bis 10. Jänner 2021

Alljährlich im Jänner rufen die Vogelschützer von BirdLife die Bevölkerung zur Mithilfe auf. Mit dieser Aktion möchten sie erheben, welche Singvögel den Winter bei uns im Siedlungsgebiet überdauern. Dabei kann jeder mitmachen, der sich am 8., 9. oder 10. Jänner 2021 eine Stunde Zeit nimmt. Gezählt wird am Fenster, am Futterhäuschen, im eigenen Garten oder im Haus. Pro Vogelart sollte dann die Höchstzahl an gleichzeitig gesichteten Tieren an BirdLife gemeldet werden. Auch die Meldung, dass sich in dieser Stunde kein einziger Vogel blicken ließ, ist für die Ornithologen von Interesse. 

Wer mitmachen möchte, findet weitere Informationen im Internet unter www.birdlife.at.

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