Stimmwunder Zaunkönig

Einer der kleinsten unserer einheimischen Vögel trumpft als Sänger groß auf. 

FOTOS: GERALD SUTTER, PRIVAT

„Würde man den Zaunkönig auf die Größe einer Kuh aufblasen, wäre er noch in China zu hören“, lacht Johanna Kronberger, „so heißt es jedenfalls unter uns Ornithologen.“ Tatsache ist: Der maximal zwölf Gramm schwere Vogel hat eine äußerst kräftige Stimme, die er schon mal zu einer Lautstärke von 90 Dezibel anschwellen lässt. Er ist damit lauter als so manche Hauptverkehrsstraße und kommt fast an den Lärm einer Holzfräsmaschine ran. Mit einem lautstarken Zischen schlägt der Winzling sogar Hauskatzen in die Flucht. Sein aufgeregt schmetternder Gesang ist noch in fast fünfhundert Metern Entfernung wahrzunehmen. 

JOHANNA KRONBERGER aus Sulz engagiert sich seit vielen Jahren als Obfrau von BirdLife Vorarlberg für den Schutz der Vogelwelt. Die begeisterte Ornithologin hat in Innsbruck und Wien Naturschutz und Biodiversität studiert.

Es sind vor allem die Männchen, die solche Rekorde aufstellen – und noch dazu in aller Herrgottsfrühe. Während der Brutzeit erheben sie ihre Stimme oft schon bei Tagesanbruch und bis in die späten Abendstunden. Das Weibchen stimmt dann des Öfteren zu einem Duett ein. Wäre er nicht so laut, würde man den Zaunkönig wohl schon aufgrund seiner Größe kaum entdecken. Dabei ist er bei uns weit verbreitet und hält sich oft in der Nähe des Menschen in Parks und Gärten auf. Allerdings bevorzugt er eine buschige Vegetation, hält sich in dichtem Gestrüpp, Hecken, Sträuchern oder an begrünten Fassaden gut versteckt. 

Insgesamt trumpft der Zaunkönig mit einem selbstbewussten Auftreten auf, hält sich aufrecht und streckt den kurzen Schwanz stets steil in die Höhe. „Man kann ihn gar nicht verwechseln“, nennt Johanna Kronberger sein wichtigstes Erkennungsmerkmal. Vielleicht ist es auch dieses zur Schau gestellte Selbstbewusstsein, welches dem kleinen Vogel seinen Namen bescherte. Laut einer Fabel, die auf den altgriechischen Dichter Äsop zurückgehen soll, hatte er zudem einige Tricks auf Lager. Als nämlich die Vögel beschlossen, denjenigen zum König zu ernennen, der am höchsten fliegen kann, wähnte sich der Adler bereits siegreich, als sich plötzlich der Zaunkönig aus seinem Gefieder erhob. Er hatte sich in den Federn des Adlers gut versteckt gehalten, flatterte nun noch ein Stückchen weiter hinauf und rief: „Der König bin ich.“ Auch in einem Märchen, welches von den Gebrüdern Grimm überliefert wurde, überlistet der kleine Vogel die anderen Tiere. Lange Zeit wurde der gewitzte Sänger „Winterkönig“ genannt, weil er auch während der kalten Jahreszeit zu hören ist. Dies erklärt, warum wir noch heute die Redewendung „er freute sich wie ein Schneekönig“ benutzen.

Der Zaunkönig hält sich bevorzugt am oder in der Nähe des Bodens auf.

Der wissenschaftliche Name des Zaunkönigs bedeutet hingegen so viel wie „der in Höhlen schlüpft/in Höhlen wohnt“. Sobald es wärmer wird, sucht das Männchen sich ein Brutrevier, das es gegen Konkurrenz vehement verteidigt. Dort beginnt es mit dem Bau von bis zu acht kugelförmigen Nestern aus Moos, Blättern und kleinen Holzstückchen. Diese liegen meist auf dem Boden oder in Bodennähe unter Bruchholz und Baumwurzeln versteckt, im dichten Buschwerk, in alten Mauern oder Stallungen.

Erst wenn diese Rohbauten fertig sind, lädt das Zaunkönig-Männchen mit engagiertem Gesang Artgenossinnen dazu ein, die Nester zu prüfen. Kommt es zur Paarung, ist es Aufgabe des Weibchens, das Nest mit Moos, Wolle und Federn weiter auszubauen. Das Männchen verlegt sich derweil schon auf das Anpreisen seiner anderen Bauten und übernimmt auch während der Brut keinerlei Pflichten. 

Gute zwei Wochen lang sitzt das Weibchen im April/Mai auf fünf bis acht rostrot gesprenkelten Eiern. Es muss sich in dieser Zeit selbst mit Nahrung versorgen. Die geschlüpften Jungvögel sind blind und nackt. Erst ab dem vierten Tag öffnen sie die Augen. Die Bettelrufe, welche der Nachwuchs nach rund acht Tagen ausstößt, nimmt auch der Vater wahr. Trotzdem unterstützt er das Weibchen unzuverlässig beim Füttern, während er beim Ausfliegen gewöhnlich die Führung übernimmt. 

Zaunkönige bevorzugen tierische Kost

Mit seinen langen Krallen und kräftigen Zehen kann der Zaunkönig senkrecht an einem Baumstamm emporklettern.

Auf  Zaunkönigs Speiseplan steht in erster Linie tierische Kost. Mit dem langen, spitzen Schnabel stochert der kleine Vogel Spinnen, Weberknechte, Heuschrecken, Asseln, Tausendfüßler, kleine Falter, Libellen, Ameisen, Fliegen und Mücken aus kleinsten Ritzen. Weil die Ausbeute dort das ganze Jahr über gegeben ist, macht er sich vor allem in der Nähe von Gewässern auf Nahrungssuche. Weibchen halten sich dabei ganz an das, was sich in Bodennähe aufhält, während Männchen durchaus mal das Geäst hoher Bäume auf Essbares untersuchen. Nur gelegentlich erntet der Zaunkönig Beerensträucher oder Weinreben ab und labt sich an kleinen Pflanzensamen. 

Die Jungvögel sind bereits im Alter von 14 bis 18 Tagen in der Lage, das Nest zu verlassen, und bleiben in der Regel noch einige Zeit beisammen, wenn sie bereits flügge sind. Ihre Mutter kümmert sich dann bereits um die nächste Brut, die Ende Juni/Anfang Juli schlüpft. 

Auf seine Eier muss das Weibchen stets ein wachsames Auge haben. Denn sie gehören zu den Lieblingsspeisen von Rabenvögeln, Eichelhähern, Ratten, Mäusen und Igeln. Die Jungvögel sind beliebte Beute von Katzen, Mardern, Eichhörnchen, Ratten, Füchsen und Greifvögeln. Gefahr droht dem Nachwuchs außerdem vom Kuckuck, der eigene Eier ins Zaunkönigsnest steckt. Das deutlich größere Kuckucks­junge beansprucht viel Platz und sprengt das Nest, wenn es bei der Fütterung mit den Füßen strampelt. 

Dank der unermüdlichen Bemühungen der Weibchen ist der Zaunkönigsbestand weltweit trotzdem insgesamt relativ stabil. In der Region kommt der Winzling bis zur Waldgrenze vor allem in abwechslungsreichen Aulandschaften, aber auch in Parks und Gärten vor. Weil diese Art auf eine abwechslungsreiche Landschaft mit „unordentlichen“ Elementen und dem dort vorhandenen Nahrungsangebot angewiesen ist, verkleinert sich ihr Lebensraum aber stetig. „Wer dem Zaunkönig etwas Gutes tun möchte, räumt nicht zu viel im Garten auf und lässt krautige Gewächse stehen, auch wenn sie schon abgeblüht sind“, appelliert Johanna Kronberger. Der kleine Vogel lohnt es den Gartenbesitzern, indem er sie mit lauter Stimme weckt.

Zaunkönig (Troglodytes troglodytes)

Der Zaunkönig gilt – gleich nach Winter- und Sommergoldhähnchen – als drittkleinster Vogel Europas. Die Körper ausgewachsener Tiere sind maximal knapp elf Zentimeter lang, die Flügel­spannweite beträgt 14 bis 15 Zentimeter. Zaunkönige werden maximal sieben Jahre alt, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei drei bis vier Jahren. 

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