„United” – Mit Workshops und dem Druck einer Broschüre ist das „Kunst am Bau”-Projekt an der Bürser Volks- und Mittelschule nun abgeschlossen. Die Idee dahinter soll aber weiterhin im Schulalltag präsent sein.
FOTOS: TM-HECHENBERGER, MICHAEL SALER, GRAFIK: MARIA ANWANDER
„Das da ist die türkische Fahne”, erklärt die Zweitklässlerin selbstbewusst. „Die kenne ich, weil ich Türkin bin.” Mit ihren Klassenkameraden steht sie vor einem dunklen Fleckerlteppich aus Fahnen, aus dem Sterne, Monde und andere „Himmelskörper” hervorleuchten. Auch die Flagge der Arabischen Emirate kann sie ausmachen, obwohl der Hintergrund nur bei genauem Hinschauen sichtbar ist. Ihre Schulkameradin erkennt das Schwarz-Rot-Gold, das ihr vom Besuch bei der Großmutter in Deutschland vertraut ist. Die Buben erkennen die Herkunftsländer ihrer Lieblings-Fußballklubs. Alle sind sich einig, was die österreichische Fahne angeht…
„Kinder aus 15 verschiedenen Nationen besuchen unsere Schule”, erklärt Volksschul-Direktor Michael Saler. „Wir sehen das als Bereicherung.” Und als eine Herausforderung, die er und sein 18-köpfiges Lehrerkollegium gerne annehmen. Denn Bürs ist in den letzten Jahren bunter geworden. „Als ich vor zehn Jahren hier anfing, hatten wir in jeder Klasse ungefähr drei Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache. Jetzt sind es mehr als 50 Prozent.” Verschiedenste aufmunternde Botschaften und Grußworte hängen deshalb in unterschiedlichsten Sprachen an Schildern und Mobiles in den Gängen. Die vom gesamten Team anfänglich abgelehnten Deutsch-Förderklassen haben sich in der Praxis als sehr positiv erwiesen. „Es ist erstaunlich, wie viel die Kinder durch diese besondere Förderung gelernt haben”, ist Direktor Saler heute davon überzeugt, dass es Sinn macht, Schüler, die kaum Deutsch können, aus der Klasse zu nehmen, um sie gezielt im Spracherwerb zu unterstützen. Umso mehr muss man aber darauf achten, dass die betroffenen Schüler im Klassenverband gut aufgehoben sind. Michael Saler will an seiner Schule mit einer positiven Grundstimmung Gruppenbildung vorbeugen und ein Klima des gegenseitigen Respekts erzeugen.
Deshalb gefällt ihm persönlich auch die künstlerische Idee so gut, welche Maria Anwander im gesamten Gebäude umgesetzt hat. Sieben Künstler hatten sich am Wettbewerb zum „Kunst am Bau”-Projekt beteiligt. „Aber Maria war gleich unsere absolute Favoritin”, kann er sich an die Jury-Sitzung 2012 noch gut erinnern. „Ihre Idee spiegelte den Geist an unserer Schule am besten wider.”
„United” begleitete die gesamte Bauphase
Öffentliche Bauträger sind ab einer gewissen Investitionssumme verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz für „Kunst am Bau” auszugeben. Dieser Verantwortung kam die Gemeinde Bürs nach, als sie die Volks- und die Unesco-Mittelschule zu einem „Bildungscampus” um- und ausbaute, der bei der Eröffnung im Frühjahr 2017 viel Aufsehen erregte. Die Kunst hielt aber schon früher Einzug.
Denn es war ausdrücklicher Wunsch der Auftraggeber, dass das Kunstprojekt die gesamte Bauphase begleiten sollte. „Ende 2013 wurde der erste Leuchtkasten montiert, in den Jahren darauf folgten die anderen. Das Wandbild im Turnsaal wurde 2016 geklebt”, erinnert sich Maria Anwander an ihre Einsätze immer zum Abschluss einer Bauphase.
Auseinandersetzung anregen
Die Künstlerin aus Bregenz, die schon einige Jahre in Berlin lebt, suchte das Gemeinsame in den mehr als 200 Flaggen der Staaten auf dieser Welt. Viele von ihnen sind mit Monden, Sternen und anderen Gebilden, die an Himmelskörper erinnern, bestückt. Maria Anwander hob diese mit LED-Licht hervor, während sie alle anderen Elemente der Fahnen zu einem fast schwarzen „Nachthimmel” verband. Gemeinsam bilden die Flaggen so einen vereinten Sternenhimmel, der in der Schule in mehreren riesigen Schaukästen und im Turnsaal – in farbiger Ausführung ohne Hintergrund an der Wand – präsent ist. „United” nennt sie dieses Werk – und eine Aufforderung zur Gemeinschaft soll es sein.
Dies konnte sie den Schülern im letzten Jahr in mehreren Workshops erklären. Insgesamt sieben Klassen – vor allem der Volksschule – waren mit Begeisterung dabei. „Bei einem Kunst am Bau-Projekt ist so eine geplante Vermittlung in Form von Workshops eher unüblich”, erklärt Maria Anwander, „aber die Arbeit mit den Schülern war sehr schön.” – Und vor allem den Pädagogen ein wichtiges Anliegen. „Die Kinder waren fasziniert davon, dass eine echte Künstlerin bei uns an der Schule war und haben ihr ein Loch in den Bauch gefragt”, lacht Michael Saler. Sie haben aber auch mit Eifer mitgezeichnet und überlegt, wie sie selbst die Sternenbilder im Sinne einer Botschaft für die Gemeinschaft ergänzen können. Diese Arbeiten sind nun in die Broschüre eingeflossen, die Maria Anwander kurz vor Ferienbeginn an der Schule abgab.
Ihr ist es wichtig, dass sie ihre Kunstwerke nicht einfach nur jemandem vor die Nase setzt, sondern damit eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht und anstößt. Die Künstlerin erhofft sich, dass sich der eine oder andere Schüler irgendwann daran erinnert, „dass man politische Ideen mit Kunst verbinden kann.” Wenn dann ihr Kunstwerk auch noch im Geografie-Unterricht eingesetzt werden kann, ist das ein Zusatz-Nutzen, der ihr persönlich sehr gefällt.
Friedenserziehung hat auf dem Lehrplan einen fixen Platz
Einige ihrer Workshop-Künstler wechseln in den nächsten Wochen in die Klassenzimmer des anderen Gebäudeflügels. Nicht nur durch Maria Anwanders Leuchtkästen und den Sternenhimmel im Turnsaal werden die Schüler dort an den Grundgedanken von „United” erinnert. Denn als Unesco Mittelschule hat sich diese Bildungseinrichtung der Friedens- und Demokratieerziehung besonders verpflichtet. Im Leitbild der Schule hat Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 einen fixen Platz:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.”