ARTquer: Kunst als Ressource

Mit einer Holzbearbeitungsmaschine und ein paar Hängematten ist Erika Lutz vor 25 Jahren eingezogen. Heute ist das ehemalige Forstlager in der Frastanzer Felsenau ein Refugium für Menschen, die ihre Kreativität ausleben möchten – und manch einer von ihnen hat dadurch den Sprung in die Kunstszene geschafft. 

FOTOS: TM-HECHENBERGER, VEREIN ARTQUER

WolfGeorg ist einer von ihnen. Eigentlich heißt der junge Mann aus Feldkirch Georg Fitz. Weil er aber wilden Tieren und vor allem dem Wolf sehr zugetan ist, besteht er auf dem furchteinflößenden Künstlernamen. Aktuell sind es Greifvögel, die ihn persönlich begeistern und künstlerisch inspirieren. Stundenlang sitzt er – meist mit Kopfhörern in den Ohren – in der Werkstatt und hämmert ein Dreieck nach dem anderen als Federkleid auf die ausdrucksstarken Holzskulpturen. WolfGeorg kommt seit 14 Jahren regelmäßig zwei bis drei Mal in der Woche ins Kunstatelier ARTquer in der Felsenau. Das Geld, das er inzwischen mit seinen Werken verdient, investiert er in Flohmarkt-Stücke für weitere wilde Tiere und in Maschinen, die er benötigt, um neue Ideen umzusetzen. 

Erika Lutz öffnet ihre Werkstatt in Frastanz gerne für kreative Menschen.

„Entstanden ist diese Zusammenarbeit, als 2008 das IfS auf mich zukam”, berichtet Erika Lutz. Es ging darum, für Menschen mit Beeinträchtigung einen Werkraum und einen geschützten Arbeitsplatz zu finden. Doch die selbstständige Tischlerin merkte rasch, dass ihre Helfer wenig begeistert davon waren, an ihren Möbelstücken mitzuwirken, sehr wohl aber vom inspirierenden Ambiente. „Ich sammle alles”, lacht Erika Lutz, „Korken, Knöpfe, Pelzreste, allerlei Krimskrams aus der Brockenstube.”

Dieses vielfältige Sammelsurium stellt sie ihren Atelier-Gästen zur freien Entnahme zur Verfügung. Die Kreativen können in dem ehemaligen Fabriksgebäude nach Herzenslust mit Farbe hantieren, hämmern, sägen und werkeln, eine Vielzahl an Maschinen nutzen. Erika Lutz greift in den Schaffensprozess so wenig wie möglich ein, instruiert ihre Atelier-Kollegen nur, wenn es darum geht, dass sie die Maschinen ohne Sicherheitsrisiko bedienen können. Sie bietet auch Kreativ-Workshops für Schulen sowie im Auftrag von Institutionen wie dem Bildungshaus St. Arbogast oder dem Verein Amazone an. 

Kreativer Werdegang

„Ich habe mir das nicht ausgesucht, es ist auf mich zugekommen”, lacht Erika Lutz. Sie hat sich immer schon gerne auf Neues eingelassen. Die ausgebildete Kindergartenpädagogin aus Gaißau betätigt sich seit ihrer Kindheit kreativ. Nach einem Berufsjahr in einem Waldorfkindergarten und längeren Reisen studierte sie in der Meisterklasse für Malerei in Graz, fand im Laufe dieser Ausbildung allerdings heraus, dass ihr der Pinsel als Werkzeug eigentlich zu wenig ist. Erika Lutz wollte „schaffa”. 

So war es denn eine glückliche Fügung, dass es zu dieser Zeit mehr Kindergartenpädagoginnen als offene Stellen gab und das Arbeitsmarktservice zur Umschulung riet. In Fohnsdorf in der Steiermark erhielt sie Gelegenheit, das Tischlerhandwerk zu erlernen. „Eine tolle Zeit”, erinnert sich Erika Lutz an spannende Begegnungen und die vielen kreativen Möglichkeiten im Schulungszentrum. Neben Holzbearbeitern wurden dort unter anderem auch Metalltechniker ausgebildet. „Und wir konnten alle Werkstätten auch außerhalb des Unterrichts nutzen.” Den Gesellenbrief in der Tasche packte sie – wieder einmal – das Fernweh.  Gute acht Monate lang bereiste sie verschiedene Länder Zentralamerikas, arbeitete unter anderem für Kost und Logis in einem Waisenhaus in Guatemala.

Zurück im Ländle stand der Entschluss fest: Die junge Frau wollte sich als Tischlerin selbstständig machen. Was sie beim Bestellen der sperrigen Tischlermaschinen allerdings weniger im Blick hatte, war die Tatsache, dass der Kellerraum im Hause ihrer Oma, der fürs Erste als Firmensitz dienen sollte, mit seinen 25 Quadratmetern wenig Spielraum für die Umsetzung größerer Projekte bot. „Ich war also auf der Suche nach einer Werkstatt und nach einer eigenen Wohnung”, schmunzelt die Kunstbegeisterte. 

Durch ein Zeitungsinserat wurde sie auf das ehemalige Forstlagerhaus der Stadt Feldkirch aufmerksam. „Dieses Gebäude ist mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen”, erinnert sich Erika Lutz an die Enttäuschung, als sie erfuhr, dass ihr Gebot als deutlich zu niedrig abgelehnt wurde. Das Lagerhaus in der Felsenau war ursprünglich von der Firma Getzner gebaut und für die Rotgarnfärberei genutzt worden. Obwohl es alles andere als wohnlich war, konnte Erika Lutz sich gut vorstellen, im oberen Stockwerk ein Zuhause einzurichten und im kühlen Fabriksambiente im Erdgeschoss zu arbeiten. Und so kam es auch: Ein Jahr später war das Gebäude nämlich immer noch zu haben und die junge Frau hatte ein Grundstück geerbt, dessen Erlös genug einbrachte, sodass sie einen Kredit über die Kaufsumme aufnehmen konnte. „Ich bin also mit meinen Maschinen und ein paar Hängematten eingezogen.” 

Das ist nun 25 Jahre her. Nach und nach hat Erika Lutz das Gebäude an ihre Bedürfnisse angepasst, dort eigene Kunstprojekte verwirklicht sowie Bettgestelle, Regale und andere Möbelstücke auf Kundenwunsch gefertigt. Bis eben 2008 die Anfrage des Instituts für Sozialdienste (IfS) kam. 

Erika Lutz freut sich, wenn sie beobachtet, wie glücklich die unterschiedlichsten Menschen sind, wenn sie in ihrem Atelier ohne Vorgaben oder Erfolgsdruck Ideen umsetzen und dabei aus dem Vollen schöpfen können. „Gerade Kinder haben heute sonst meist nicht so die Möglichkeit”, beobachtet sie. Viele ihrer regelmäßigen Atelier-Gäste haben in den letzten zwei Jahren sehr darunter gelitten, dass auch ARTquer  immer wieder im Lockdown war. „Ich bin keine Therapeutin. Die Arbeit im Atelier hat aber therapeutische Wirkung”, ist sie überzeugt. Darum sorgt sie gerne für eine Umgebung, die zum Kreativsein inspiriert. Während ihres Studiums der Freizeitpädagogik wählte sie vor sechs Jahren denn auch den Titel „Kunst als Ressource” für ihre Semesterarbeit.

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