Wenn zuhause dicke Luft ist, in der Schule alles schief läuft, der Chef Druck macht oder kleine Kümmernisse den Schlaf rauben: Sarah Ender und Stefan Gießauf haben immer ein offenes Ohr für Jugendliche ab zwölf und junge Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren.
Auf Facebook heißen sie Sarah Mühletor und Stefan Mühletor. Die Diplom-Sozialarbeiterin und der diplomierte Pädagoge möchten Jugendliche möglichst direkt auf ihren Informationskanälen erreichen. „Da bekommt man dann schon mal die Nachricht: „Mine Freundin hot gset, do ka ma reda. Ka i o ko?” – Und genau dafür sind die beiden da. Die Beratungsstelle des Instituts für Sozialdienste (ifs) in der Bahnhofstraße in Bludenz ist am Montag von 9 bis 12, am Dienstag von 13.30 bis 16.30 und am Donnerstag von 10 bis 13 Uhr besetzt. Wer keinen Termin vereinbaren mag, ist zu diesen Zeiten auch ohne Vorankündigung willkommen.
Breites Themenfeld
Meist kommen die jungen Leute wegen Konflikten in der Familie, Schwierigkeiten in der Schule, Ärger bei der Arbeit, Stress mit den Freunden,….. Sie brauchen Unterstützung bei der Suche nach einer Lehrstelle oder auch nur ein offenes Ohr, weil die erste Liebe nicht nur rosarote Wölkchen bereit hält. Sarah Ender arbeitet seit fünf Jahren in der Jugendberatungsstelle: „Ich hatte schon Mädchen, die zuhause geschlagen wurden, aber auch solche, die einfach nur wegen ihrer ersten Regel mit jemandem reden wollten.” Ihre Arbeitstage sind alles andere als Routine. „In der Ausbildung lernst du die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie man generell ein Gespräch führt, aber auf die Arbeit selbst kannst du dich nie zu hundert Prozent vorbereiten,” benötigt sie in ihrem Job doch vor allem viel Einfühlungsvermögen.
Freiwilligkeit ist Basis
Beiden Sozialarbeitern ist es wichtig, dass die Jugendlichen freiwillig hier sind und die Angebote ohne Druck von außen annehmen. Dazu muss Vertrauen aufgebaut werden.
Oft wird der erste Kontakt von Eltern vermittelt, die mit ihrem Latein am Ende sind. „Die Jugendlichen kommen dann nur ungern mit. Wenn sie aber die Erfahrung machen, die wollen wirklich wissen was ICH will, ist der Bann meist schnell gebrochen,” können Sarah Ender und Stefan Gießauf berichten. Schwieriger wird es manchmal, wenn sich in den Gesprächen herausstellt, dass der Jugendliche mit seinem „ungehörigen Verhalten” etwa auf partnerschaftliche Konflikte der Eltern reagiert. Mit dieser Rückmeldung können die Erwachsenen dann oft weniger gut umgehen. Dabei ist man im Mühletor bemüht, die Eltern einzubinden – wenn die Jugendlichen dies auch wollen.
Erste Anlaufstelle
Das Team des Mühletor sieht sich als erste Anlaufstelle. Wenn sich herausstellt, dass schlimmere Probleme bestehen, werden andere Institutionen wie die Drogen- oder Schuldenberatung, der Jugendschutz, Ärzte oder Therapeuten eingeschaltet. Aber auch auf diesen Wegen können sich die Betroffenen darauf verlassen, dass sie von Sarah und Stefan einfühlsam begleitet werden.
Klare Rahmenbedingungen und Schweigepflicht
Als Vertrauensperson so vieler Menschen ist man gefordert. Da wird es schwierig, sich in der Freizeit abzugrenzen. Im Normalfall sind die beiden Sozialarbeiter deshalb nur von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr am Handy erreichbar. Wer außerhalb dieser „Geschäftszeiten” eine Nachricht hinterlässt, kann sich aber darauf verlassen, dass er eine Antwort bekommt, sobald die beiden wieder im „Amt” sind. Supervision und wöchentliche Teambesprechungen helfen außerdem, die Probleme zu verdauen, mit denen die Sozialarbeiter bei ihrer Arbeit konfrontiert werden. Nach außen geht aber nichts. Denn selbstverständlich fühlen sich Sarah Ender und Stefan Gießauf zum Schweigen über so persönliches Wissen verpflichtet. Ihre Grenzen kommunizieren sie gleich beim ersten Treffen. „Du bist freiwillig hier. Aber wenn υ du im Begriff bist, dir oder anderen etwas anzutun, müssen gemeinsam weitere Schritte geplant werden.” Sarah Ender hat die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche durchaus auf Neues und eventuell auch Unangenehmes einsteigen, wenn man ihnen den Grund genau erklärt und klare Rahmenbedingungen vorgibt.
Stellungnahme in sozialen Netzwerken
Rund 500 bis 550 Beratungsgespräche finden pro Jahr im Mühletor statt. Dazu kommen gut 800 Kontakte mit Jugendlichen, die während des Journaldienstes zu einem kurzen Gespräch „vorbeischneien”, rund 120 Lehrlingscoachings und mehrere hundert Kontakte per Facebook. Denn Sarah und Stefan schreiben Jugendliche schon einmal an, wenn ihnen auffällt, dass da jemand im Internet auf Chef oder Lehrerin schimpft, sich halbnackt zeigt oder mit unrühmlichen Postings glänzt. Ohne mahnenden Zeigefinger wollen sie die jungen Leute darauf aufmerksam machen, dass sie sich nichts Gutes tun, wenn sie im Netz zu viel über sich preisgeben. „Da wird vielen erst bewusst, wer das alles liest und sich ansieht.” Außerdem nutzen die Sozialarbeiter die Sozialen Netzwerke, um ihre Informationen zu verbreiten. Sie schreiben etwa über die Angebote der Jugendberatungsstellen oder eine Stellungnahme zur „Bikini Bridge” – einem Trend, der junge Mädchen zum Mager-Wahn verführen könnte. Im Netz kursieren bereits viele Fotos, auf denen Mädchen sich liegend mit herausstehenden Beckenknochen präsentieren, über dem sich das Bikinihöschen wie eine Brücke spannt.
Freizeit-Angebote für Mädchen
Von der Stadt Bludenz wurde das Mühletor-Team außerdem beauftragt, Freizeitprogramme speziell für Mädchen zu organisieren. Da stehen dann Paragliding und anschließende Übernachtung im Zelt, Schweiß-Workshops, Graffiti-Kurse und ähnliche Aktivitäten auf dem Programm. Die Mädchen können so im geschützten Rahmen Bereiche kennenlernen, in die sie sich sonst nicht so trauen. Regelmäßig bekommt Sarah Ender dann als Rückmeldung „Gott sei Dank sin ka Buaba do.” Bei gemeinsamen Aktivitäten bestehe nämlich die Gefahr, dass die männlichen Teilnehmer zu sehr das Heft in die Hand nehmen.
Pflichtschulabschluss nachholen
Gerne genutzt wird außerdem die Möglichkeit, begleitet vom Team des Mühletor den Pflichtschulabschluss nachzuholen. Derzeit absolvieren 130 Teilnehmer die entsprechenden Kurse an der Volkshochschule. Sie büffeln jene Fächer, in denen sie negativ abgeschlossen haben. „Oft haben sie wegen Verhaltensauffälligkeiten keinen Abschluss erreicht. Es sind aber auch Mamas dabei, die einfach etwas für sich tun möchten”, erklärt Stefan Gießauf. Das Team des Mühletor ist vor allem in Sachen Motivation gefragt. Denn fast jeder der Teilnehmer hat irgendwann einmal einen „Durchhänger”, braucht Zuspruch oder Unterstützung bei einer kniffligen Aufgabe. Sarah Ender und Stefan Gießauf schauen regelmäßig auch in den einzelnen Klassen direkt vor Ort zum Rechten.
Sprachkompetenzen trainieren
Gute Deutsch-Kenntnisse sind für diesen Bildungsweg Voraussetzung. Die beiden Mühletor-Mitarbeiter haben darum eine Ausbildung bei der Initiative okay.zusammen leben absolviert. Sprachkompetenztraining steht seither im Mühletor regelmäßig auf der Tagesordnung. „Daran mussten wir uns erst gewöhnen”, bekennen die beiden Sozialarbeiter, dass sie anfangs Mühe hatten, vor der kleinen Gruppe als Lehrer aufzutreten. Die Themen des Deutsch-Trainings stimmen sie möglichst gut auf die Interessen und den Kenntnis-Stand der Teilnehmer ab. „Wir schauen uns zum Beispiel Handy-Verträge gemeinsam an, schreiben Bewerbungen und klären, wie man generell mit Texten umgeht, in denen viele Fremdwörter vorkommen.” Bei entsprechendem Bedarf wird auch leichtes Mathe eingebaut und ein bisschen Computertraining. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer sind zurzeit Menschen, die vor Krieg und Armut ins sichere Österreich geflüchtet sind. Doch zunehmend haben auch junge Leute, die in Österreich geboren sind, deutliche Sprachdefizite, welche ihre beruflichen Aussichten beeinträchtigen.
Präventivarbeit an den Schulen
Immer wieder einmal werden Sarah Ender und Stefan Gießauf aber auch in Schulklassen gerufen, in denen die Stimmung zu eskalieren droht. „Im Idealfall, bevor etwas vorgefallen ist,” versuchen sie die Wogen zu glätten, bevor „Mobbing” zu einem ernsthaften Problem geworden ist.
Wer sich für die Jugend einsetzt, hat also einiges zu tun. Doch Sarah Ender und Stefan Gießauf lieben die Abwechslung und ihre vielfältigen Aufgaben als Kummerkasten für die Jugend.
Fotos: TM-Hechenberger, Mühletor