„Es ging mir nie darum, der Hero zu sein.”

– Mit seinen Hilfsprojekten möchte Extrembergsteiger Theo Fritsche nicht sich selbst in den Vordergrund rücken, sondern den Menschen in Nepal für die außergewöhnlichen Erlebnisse sowie Ein- und Ausblicke, welche diese ihm in ihrem Land ermöglichten, etwas zurückgeben. 

FOTOS: THEO FRITSCHE, PRIVAT, TM-HECHENBERGER

Theo Fritsche ist in einer Landwirtschaft in Ludesch aufgewachsen. Für seine Leidenschaft, die höchsten Gipfel seiner Heimat zu erobern, hatte anfangs kaum jemand Verständnis. „Ich wollte schauen, was als Mensch machbar ist, die Grenzen immer weiter rausschieben”, erzählt er von einem inneren Drang, der ihn bis heute nicht losgelassen hat. Er baute sich in Nüziders eine bürgerliche Existenz auf, absolvierte eine Tischlerlehre, machte sich selbstständig, gründete eine Familie. Doch in seiner Freizeit konnte er es nicht lassen, sich mit der Natur zu messen. Sein erster Gipfel war der Hohe Frassen, die erste Klettertour führte ihn auf die Zimba. Doch die Vorarlberger Berge waren dem äußerst aktiven Mitglied von Alpenverein und Bergrettung schon bald zu niedrig. Im Laufe seines Lebens hat Theo Fritsche die höchsten Berge der Welt erklommen, alle Kontinente bereist, größte körperliche Strapazen in Kauf genommen – und wurde mit spektakulären Ausblicken und Erlebnissen belohnt. 

„Free solo” am Everest

In den frühen 1990er-Jahren war er erstmals in Nepal, die legendären „Seven Summits” hat er 2009 mit einem strahlenden Sonnenaufgang auf dem Gipfel der Carstensz Pyramide auf Bali komplettiert. Alpinisten zollen dem Nüziger vor allem dafür Respekt, dass er den „Second Step” auf der Nordseite des Mount Everest „free solo” ohne Seil und Sauerstoff meisterte. Dafür musste er auf mehr als 8.600 Metern Seehöhe eine rund 40 Meter hohe, teilweise fast senkrechte Felswand hinaufklettern. Das hat ihm bis heute niemand nachgemacht. Kein Wunder also, dass er von Alpinbegeisterten und von Fernsehteams aus aller Welt als Expeditionsleiter angefragt wird, sobald es um anspruchsvolle Kletterrouten und Touren in großen Höhen geht.

Theo Fritsche war es immer wichtig, seine Wege ohne technische Hilfsmittel zu meistern. „Es ging mir nie darum, am Berg der Hero zu sein”, erklärt er. Stattdessen wollte er „auf sportlich-athletische Art etwas erreichen, das nicht immer machbar ist.” Der Gipfelsieg ist dem Nüziger zweitrangig, die Kameradschaft am Berg dafür umso wichtiger. „Wir hatten nur einen kleinen Bleistift und ein Stück Papier und haben uns bestens unterhalten”, erzählt er etwa von vier Tagen, die er – eingeschneit – in einem kleinen Zelt mit Menschen verbrachte, deren Sprache er nicht verstand. 

Der Himalaya ist Theo Fritsches zweite Heimat.

Weil er seine Touren selbst finanzierte und dadurch nie irgendwelchen Sponsoren einen Rekord oder ein Gipfelfoto „schuldete”, konnte er sich eine Gelassenheit bewahren, die ihn bei widrigen Umständen – wenn auch schweren Herzens – umkehren ließ. „Am Everest spürst du, wie klein du als Mensch bist”, hat der Extrembergsteiger von seinen Touren eine gewisse Demut mitgebracht. „Es reicht, eine halbe Stunde zu spät dran zu sein, dann bist du erfroren.” Glücklicherweise hätten ihm körperliche Anstrengung und Kälte nie allzu viel ausgemacht.

Theo Fritsche kennt das Himalaya-Gebiet und die anderen Bergregionen weltweit noch aus einer Zeit, als man deutlich abenteuerlustiger sein musste, Wetterumschwünge absolut nicht vorhersehbar waren, Grenzen willkürlich geschlossen wurden, und man sich selbst darum kümmern musste, den richtigen Weg zu finden, Verpflegung und medizinische Versorgung zu organisieren. In den letzten Jahrzehnten hat der technische Fortschritt die höchsten Berge leichter zugänglich gemacht. Theo Fritsche freut sich über die neuen Möglichkeiten, die ihm die Planung und Organisation von Expeditionen deutlich erleichtern, beklagt aber andererseits, dass die Kameradschaft am Berg darunter gelitten habe, dass der Gipfelsieg zum Geschäft geworden ist. Trotzdem gilt auch heute noch: 

„Ob man am Gipfel ankommt, ist zu fünfzig Prozent davon abhängig, ob man sich genügend Kondition antrainiert hat und zu vierzig Prozent von der mentalen Stärke. Die restlichen zehn Prozent entscheiden das Wetter und andere äußere Einflüsse.”
– Theo Fritsche

Theo Fritsche hat mehrfach erlebt, dass Bergsportler gut gemeinte Ratschläge in den Wind schlugen, sich großen Gefahren aussetzten und ihren Ehrgeiz im schlimmsten Fall sogar mit dem Leben bezahlten. Auch wenn eine Situation manchmal ausweglos schien, versuchte er immer, sich seinen Optimismus zu bewahren, und diese Einstellung hat ihm unglaubliche Erfahrungen und zahllose Begegnungen mit ganz besonderen Menschen beschert. In seinem 2017 erschienenen Buch „Auch ganz oben bist du nicht allein” schildert er dies eindrücklich.

Die Gelassenheit und Freundlichkeit, welche die Männer, Frauen und Kinder im Himalaya an den Tag legten, haben ihn besonders beeindruckt und nachhaltig geprägt. „Die Nepalesen sind ein angenehmes, liebenswertes Volk”, schwärmt er von unermüdlichem Fleiß und unerschütterlichem Glauben an das Gute. Über die zunehmende Beschwerdementalität in Europa kann er nur den Kopf schütteln, wenn er daran denkt, wie die Menschen in den abgelegenen Gebirgsregionen unter ärmlichsten Bedingungen leben und sich trotz Erdbeben und Hungersnöten ihren Optimismus bewahren. Vor fast dreißig Jahren hat er sich dazu entschlossen, dem Land, das ihm so viele atemberaubende Momente und wunderbare Erlebnisse schenkte, etwas zurückzugeben. Er startete mit kleinen Hilfsaktionen, die einzelnen Familien zugute kamen, hielt Vorträge und sammelte Spenden für Menschen, die kaum das Nötigste zum Leben besitzen. „Man kann in Nepal auch mit relativ geringen Mitteln viel bewegen.”

Bildung gilt dort als wichtigstes Tor zu einem besseren Leben. Trotzdem lernt ein Großteil der Nepalesen weder schreiben noch lesen. Denn in dem weitläufigen Land gibt es kaum Schulen, und die Menschen in abgelegenen Tälern können das Schulgeld oft nicht aufbringen. In den unteren Klassen beträgt dies rund 400 Euro, ab der 10. Schulstufe sind 1.200 bis 1.600 Euro im Jahr zu bezahlen. Dabei verdient ein Lehrer  beispielsweise nur rund 180 Euro im Monat. 2001 gründete Theo Fritsche die erste Schule. 

„Ich bin täglich in Kontakt mit Nepal”, erklärt er. Vor 13 Jahren schloss er den Tischlereibetrieb, den er 31 Jahre lang erfolgreich geführt hatte. Seither organisiert er Trekking­reisen und widmet sich voll und ganz seinen Hilfsprojekten. Schließlich gibt es einiges zu tun. Inzwischen weist sein Jahresbericht Aktivitäten in 16 Schulen aus, an denen rund 4.500 Kinder unterrichtet werden. In den kommenden Wochen wird eine Photovoltaik-Anlage installiert, welche von der Raggaler Firma Licht und Wärme gesponsert wurde. Diese wird eine Computerklasse mit Strom versorgen – in einer Gegend, die nicht ans Stromnetz angeschlossen ist. Drei Krankenstationen und drei Krankenhäuser wurden bereits gebaut, ein weiteres entsteht gerade. Seit rund zwanzig Jahren unterstützt Theo Fritsche außerdem ein Waisenhaus und wollte nicht länger zusehen, dass die Kinder dieses Zuhause ohne irgendwelche Perspektiven verlassen müssen, sobald sie den 18. Geburtstag gefeiert haben.  Deshalb gründete er eine Technical Academy, an der sich Jugendliche zum Informatiker, Bäcker, Konditor, PV-Techniker, Elektriker, Holzschnitzer oder zur Service-Kraft weiterbilden können. Vor wenigen Wochen konnte eine weitere „Technical Academy” in Betrieb genommen werden.

„Die Nepalesen sind sehr fleißig.” – Mit Stolz beobachtet Theo Fritsche, dass seine Aktivitäten Kreise ziehen. So wurde etwa einer jungen Ärztin mit Spendengeldern eine vierjährige Augen-Fachausbildung ermöglicht. Im Oktober wird der Nüziger dabei sein, wenn der Grundstein für die neue Augen-Klinik (Kostenumfang rund 300.000 Euro) gelegt wird. Nach zirka eineinhalb Jahren Bauzeit kann Dr. Sabina Parajuli dann mit ihrem Team die Arbeit in der neuen Augen-Klinik aufnehmen. Eine Handvoll Jugendlicher hat außerdem ein Internetcafé gegründet, das immer noch gut läuft und ihnen als Sprungbrett in verschiedene Berufsausbildungen dient. Abseits der Großprojekte griff Theo Fritsche immer wieder Notleidenden unter die Arme, bezahlte das Schulgeld für die Kinder, half beim Wiederaufbau des Hauses, besorgte Medikamente und Lebensnotwendiges.

Rasche Hilfe bei Naturkatastrophen

Gerade in den letzten Jahren war diese Hilfe wichtiger denn je. Die Coronakrise hat das Land schwer gebeutelt. Schließlich leben ganze Regionen allein vom Tourismus, der von einem Tag auf den anderen versiegte. Ein Erdbeben in einer abgeschnittenen Region Nepals im November 2023 kostete mehr als 150 Menschenleben und zerstörte die Lebensgrundlagen vieler weiterer Bewohner. Wie sehr die Hilfe aus Vorarl­berg geschätzt wird, zeigt allein die Tatsache, dass einige der Kinder täglich zwei Mal den zweieinhalbstündigen Schulweg in Kauf nehmen, um dem Unterricht beizuwohnen, und ihre Familien jeden Cent zusammenkratzen, um das Schulgeld aufzubringen.

Um langfristig etwas bewirken zu können, war es Theo Fritsche immer wichtig, die örtliche Bevölkerung, die politisch Verantwortlichen und die Behörden mit ins Boot zu holen. Die lokalen Verwaltungen müssen deshalb stets mindestens zwanzig Prozent der Investitionen selbst tragen. Außerdem verpflichten sie sich zur Übernahme der Kosten für das Personal, das mindestens zur Hälfte weiblich sein muss, und den weiteren Erhalt der einzelnen Einrichtungen. „Wir haben inzwischen gute Verbindungen zu den lokalen Entscheidungsträgern aufgebaut”, freut sich Theo Fritsche, der bei der Umsetzung seiner Projekte auf ein engagiertes Team vor Ort vertraut und zwei bis drei Mal im Jahr anreist, um sich selbst ein Bild zu machen. 

„Es spricht sich schnell herum, wenn Theo in Nepal ist”, lacht Wolfgang Hartmann, der sich im vor zwei Jahren gegründeten Verein „Schul- und Hilfsprojekte Theo Fritsche” als Schriftführer engagiert. Er hatte im Vorfeld seines 60. Geburtstags seine Gratulanten dazu aufgefordert, Fritsches Nepalhilfe zu unterstützen anstatt für ihn Geschenke zu kaufen. So kam er mit dem ehemaligen Geschäftspartner und Alpenvereins-Kollegen wieder in Kontakt, den er davor etwas aus den Augen verloren hatte. Nach der Pensionierung 2018 begleitete der Sicherheitstechniker aus Bludesch Theo Fritsche erstmals nach Nepal und begeistert sich seither ebenfalls für Land und Leute. Außerdem engagieren sich Björn und Günter Berchtel aus Schnifis im Vereinsvorstand. Damit lastet das Hilfsprojekt nicht länger nur auf Fritsches Schultern.

Wolfgang Hartmann unterstützt Theo Fritsche seit seiner Pensionierung.

Hilfe ist nötiger denn je

Dem Quartett ist es wichtig, dass wirklich jeder Euro, der dem Verein anvertraut wird, zu hundert Prozent dort ankommt, wo er gebraucht wird. Alle Helfer arbeiten ehrenamtlich und tragen sämtliche Kosten – etwa auch für die Reisen nach Nepal – selbst. „Aufgrund der schlanken Organisation und der direkten Kommunikation nach Nepal sind wir in der Lage, in dringenden Fällen sehr rasch zu reagieren”, erklärt Theo Fritsche. Dadurch sei es möglich, bei Unfällen oder Katastrophen rasch Hilfe zu leisten. Dank vieler kleiner und größerer, oft anonymer Geldgeber, denen er auf diesem Wege herzlich danken möchte, konnte er in den letzten dreißig Jahren rund 3,8 Millionen Euro für die Menschen in Nepal einsetzen.

Das Spendenaufkommen ist in den letzten Jahren allerdings zurückgegangen. Theo Fritsche führt dies auf den Ukraine-Krieg, aber auch auf zunehmenden Egoismus der Gutsituierten in der westlichen Welt zurück – eine Entwicklung, die er mit Besorgnis beobachtet. Der Nüziger hofft sehr, dass ihm die Menschen weiterhin vertrauen, damit er in einer Region, die immer wieder von Katastrophen heimgesucht wird und angesichts des Klimawandels einer unsicheren Zukunft entgegen sieht, weiterhin Gutes bewirken kann.

Weitere Informationen zu den Aktivitäten des Vereins Schul- und Hilfsprojekte Theo Fritsche gibt es unter www.theofritsche.at.

Spendenkonto Nepal-Schulprojekte:
IBAN: AT03 3745 8000 0578 9441,
BIC: RVVGAT2B458 bei der Raiffeisenbank Walgau / Großes Walsertal.

Vorheriger ArtikelSeit 100 Jahren auf Erfolgskurs
Nächster Artikel„Es liegt nur an uns und unserem Handeln.”