Nach vielen Jahren als umsichtiger Bankberater hat Dietmar Frei 2009 die Welt der Zahlen, Zinsen und Renditen hinter sich gelassen. Im Ruhestand hat er eine neue Berufung gefunden, sieben Jahre lang für den Lehrabschluss gebüffelt, und die Prüfung 2018 mit Auszeichnung bestanden. Als leidenschaftlicher Schnitzer und Bildhauer freut er sich tagtäglich über die Ergebnisse seines handwerklichen Geschicks.
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„Ich war gerne Banker”, stellt Dietmar Frei klar. Sein Vater – er betrieb in Nüziders eine Wagnerei – drängte ihn, zu lernen. Und das war auch gut so. Denn Dietmar Frei hatte immer schon Freude daran, sich neue Kenntnisse anzueignen. So gehörte der gelernte Einzelhandelskaufmann etwa zu den wenigen, die Ende der 1960er-Jahre einen mehrjährigen EDV-Kurs durchstanden, bei dem sie sich – unter anderem – das Programmieren von Lochkarten aneigneten. Dietmar Frei war damals in der Buchhaltung der Brauerei Fohrenburg angestellt. Ein anderer Kursteilnehmer, der bei der Creditanstalt in Feldkirch beschäftigt war, nahm ihn immer wieder im Auto zum EDV-Kurs nach Dornbirn mit. Auf einer dieser Fahrten erwähnte er, dass bei der CA eine Stelle frei wäre – und so wurde Dietmar Frei 1971 zum Banker. Zwei Jahre später wechselte er zur Hypo Bludenz und fand dort seine endgültige berufliche Bestimmung. „Die Anlageberatung war 36 Jahre lang mein Leben”, schwärmt der Nüziger. Nur eines vermisste er während seiner beruflichen Tätigkeit. Er hatte schon als Kind im väterlichen Betrieb immer gerne mit Holz gearbeitet, für solche Tätigkeiten blieb aber neben Beruf und Familie viele Jahre lang nur wenig Zeit.
Die nutzte er dann nach seiner Pensionierung umso intensiver. Das von Kopfschütteln untermalte „Wieso tust du dir das an?” seiner Altersgenossen wischte er ebenso zur Seite wie die Tatsache, dass die Mitschüler an der Schnitzschule Geisler-Moroder in Elbigenalp im Durchschnitt halb so alt waren wie er selbst. Er schrieb sich im Tiroler Lechtal für die Ausbildung zum Bildhauer ein, studierte die Materialeigenschaften unterschiedlicher Holzarten, büffelte Steinkunde, Wappenkunde, Kunstgeschichte, Ornamentik und Anatomie, lernte den Umgang mit Schnitzmesser, Hammer und Meißel. Modellieren mit Ton, Marmorieren und Vergolden standen ebenfalls auf dem Lehrplan. Brav lieferte er auch die immer diffizileren Werkstücke, die als Hausübung gefordert waren. Stressen ließ sich Dietmar Frei von all dem allerdings nicht. Er nahm sich drei Jahre länger Zeit als seine Studienkollegen. Schließlich war er ja offiziell im Ruhestand, während die anderen sich meist innerhalb von vier Jahren neben ihrem Hauptberuf Zimmerer oder Tischler Zusatzqualifikationen erarbeiteten.
Lehrabschluss mit Auszeichnung
Trotzdem: Grad nur so zum Spaß wollte Dietmar Frei sich nicht angestrengt haben. Am 19. Februar 2018 trat er in Wien zur Lehrabschlussprüfung an. Das offizielle Zeugnis, das ihm eine ausgezeichnete Leistung ausweist, hängt in der Werkstatt mitten unter unterschiedlichsten Werkstücken, die in den letzten Jahren entstanden sind. Dort – im untersten Geschoss des Einfamilienhauses, das er mit seiner Frau Erna bewohnt – verbringt er tagtäglich viel Zeit.
Während es den Nüziger anfangs eher zum Holz hinzog, findet er heute immer mehr Gefallen an der Steinbearbeitung. „Du wirst noch danach süchtig werden”, hatte ihm sein Lehrer in Elbigenalp prophezeit, als er zum ersten Mal einen Marmorbrocken mit dem Meißel bearbeitete. „Ich hatte einen ganzen Tag lang auf den Stein eingeschlagen, um ihm eine glatte Fläche abzuringen, und konnte meine Arme kaum mehr heben”, erinnert sich der Bildhauer-Geselle. Damals hatte er sich kaum vorstellen können, dass sein Lehrer recht behalten sollte. Inzwischen genießt er es, bei der Arbeit die besondere Energie des Steins zu spüren.
Doch auch beim Holz ist der Kreative wählerisch. So freut er sich etwa immer, wenn ihm ein Bekannter aus dem Kaunertal ein Stück Zirbe mitbringt. „In diesen Höhen wachsen die Bäume sehr langsam, das wirkt sich auf die Struktur des Holzes aus”, ist Dietmar Frei regelrecht fasziniert, wenn er 200 bis 300 Jahre altes Holz in Händen hält. Oft erfasst er dann gleich ganz intuitiv, welche Form er diesem speziellen Stück geben möchte. Der Schnitzkünstler liebt es, immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen.
Ideen holt er sich im Internet oder auf Reisen. So hat er sich etwa von einer vier Meter hohen Skulptur im Foyer des Hotels Continental in Wien inspirieren lassen. Sie hat sich im Miniaturformat zu seiner Sammlung gesellt.
Am liebsten fertigt Dietmar Frei Figuren, die eine gewisse Größe haben – zumal sie kaum mehr Arbeit machen als kleine, filigrane Werkstücke. „An einem Schäfchen für die Krippe bin ich fast einen ganzen Tag dran”, weiß er. Er ist deshalb froh, dass er nicht von dieser Arbeit leben muss. So steht er nicht unter Druck, unter allen Umständen den Geschmack anderer treffen zu müssen und kann nach Herzenslust experimentieren. „Ob ich das Stück verkaufe oder es im Ofen landet, ist mir letztlich egal.”