Libellen – Luftakrobatik in schönster Form

Die Blaugrüne Mosaikjungfer ist die häufigste Libelle in der Region. Sie sticht gerne Treibholz an und legt ihre Eier dort ab.
Die Blaugrüne Mosaikjungfer ist die häufigste Libelle in der Region. Sie sticht gerne Treibholz an und legt ihre Eier dort ab.

Fossilienfunde bezeugen: Vor über 300 Millionen Jahren – also mehr als 170 Millionen Jahre vor den ersten Dinosauriern – jagten bereits riesige urzeitliche Libellen über die Erde. Die Flügelspannweite dieser urzeitlichen Monster betrug mehr als 70 Zentimeter!

Die modernen Nachfahren dieser Tiere sind deutlich zierlicher. Heimische Kleinlibellen werden bis zu fünf Zentimeter, Großlibellen bis zu zehn Zentimeter groß. Weltweit gibt es rund 5900 verschiedene Arten, knapp 80 davon kommen in Österreich vor. Im Walgau wurden immerhin 58 Libellen-Arten nachgewiesen. Das erwachsene Insekt lebt nur cirka sechs bis acht Wochen, den größten Lebensabschnitt (einige Monate bis zu fünf Jahre) verbringen Libellen als Larven im Wasser. Die Vorlarve schlüpft Wochen bis Monate nach der Eiablage. Die Larven von Kleinlibellen atmen unter Wasser durch drei große Kiemenblättchen am Hinterleibsende, während die Larven von Großlibellen Kiemen am Enddarm haben. Mit ihrer Fangmaske – einer Art Greifmechanismus in der Unterlippe, der wie eine Kinderrollpfeife blitzschnell nach vorne schnellt – erbeuten sie Insektenlarven, Wasserflöhe, Kaulquappen, Würmer und andere Nahrung. Die Larven sind von einer elastischen Hülle umgeben. Nach bis zu zwölf Häutungen suchen sie sich – meist abends – ein geschütztes Plätzchen an Land. Dort schlüpft das beflügelte Insekt. Es kann sich allerdings erst in die Lüfte erheben, wenn Luft und Körperflüssigkeit in die Flügel gepumpt und diese ausgehärtet sind.

Die riesigen Komplexaugen von Libellen bestehen aus bis zu 30.000 identisch gebauten Einzelaugen.

Mag. Paul Amann
Mag. Paul Amann

Mag. Paul Amann hat sich im Rahmen seiner Arbeit für die Naturmonografie der Jagdberggemeinden sowie für andere Forschungsaufträge intensiv mit den heimischen Libellen befasst. Der Biologe lebt in Schlins. Er unterrichtet an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in Feldkirch.

Der Walgau bietet einer Vielzahl an besonderen und oft geschützten Libellen Lebensraum. „Das liegt an den vielen Wiesenbächen und Quellgräben in Hanglagen mit sauerstoffreichem Wasser”, erklärt Biologe Mag. Paul Amann. Ihre Vorliebe für solche Biotope ist aber auch die größte Gefahr für die farbenprächtigen Insekten. Denn während große Naturschutzgebiete gut behütet sind, wird das kleine Gerinne, das quer über das Grundstück führt, zugeschüttet, ohne dass jemand davon Notiz nimmt oder sich etwas dabei denkt.

Diese kleine Maßnahme rottet unter Umständen aber eine Libellenart in diesem Gebiet aus. Denn Libellen verbringen einen Großteil ihres Lebens als Larven im Wasser. Es dauert je nach Art bis zu fünf Jahre, bis die Larve an Land krabbelt und als völlig verändertes Wesen die Larvenhaut verlässt. „Als geflügeltes Insekt kann sie kurzfristig verschwinden, wenn Gefahr droht”, erklärt Paul Amann, „doch die Larven sterben.”

Gefahr durch Baumaßnahmen und intensive Bewirtschaftung

Der Schlinser Biologe hat schon oft beobachtet, wie Libellen das Weite suchten, wenn eine Wiese intensiv bewirtschaftet wurde. So erinnert er sich etwa an eine Stelle, an der er an einem Tag 70 Beobachtungen registrierte – Libellen im Paarungsrad und bei der Ei-Ablage,… Einen Tag später nichts mehr dergleichen. In der Zwischenzeit wurde auf dieser Wiese Gülle ausgebracht. Und diese gelangte ins Gewässer.

Trotzdem ist Paul Amann zuversichtlich. In den letzten Jahren haben sich die zwei Prachtlibellenarten im Walgau deutlich ausgebreitet. Die Gründe sind unklar. Seit einigen Jahren kann auch die Sibirische Winterlibelle im Walgau gesichtet werden. Während alle anderen Libellenarten bei uns im Ei- oder im Larvenstadium überwintern, verfügt diese Libellenart über eine Art Frostschutzprotein, mit dem sie kalte Temperaturen übersteht. Dies verschafft ihr einen Startvorteil bei der Eiablage. Die Sibirische Winterlibelle beendet ihre Winterstarre Anfang April und nimmt die Fortpflanzung sofort in Angriff. Denn Ende Mai ist das Leben dieser Generation bereits zu Ende, die nächste verlässt Ende Juli die Larvenhaut. Andere Arten, die als Larven überwintern, sind deutlich später dran. Sie beginnen mit der Paarung und Eiablage frühestens im Juni.

Helm-Azurjungfer ist der Starunter den Walgauer Libellen

Besonders freut sich Paul Amann über das Auftreten der Helm-Azurjungfer. Sie kommt in Vorarlberg nur an drei Standorten vor, sonst gibt es sie nirgendwo in ganz Österreich. In den nächsten Wochen wird der Biologe in der Nachbargemeinde Nenzing nachforschen, ob die Helm-Azurjungfer am bekannten Platz noch zu finden ist.

Diese zierliche Libellenart hat eine Flügelspannweite von drei bis vier Zentimetern. Sie lebt an dicht bewachsenen Bachläufen mit sauberem, kalkhaltigem Wasser. Das erwachsene Insekt ist in den Monaten Mai bis August zu beobachten.

Nur ganz selten entfernt sich die Helm-Azurjungfer mehr als hundert Meter von „ihrem” Gewässer. Die Larven benötigen für ihre Entwicklung zum Insekt ein bis zwei Jahre. Diese Standort-Treue macht sie besonders anfällig. Die Helm-Azurjungfer gehört europaweit zu den schützenswertesten Libellenarten.

Die Gestreifte und die Zweigestreifte Quelljungfer ist ebenfalls eine schützenswerte Art. Im Walgau und im Großen Walsertal sind diese gelb-schwarz gestreiften Großlibellen relativ häufig zu beobachten, während sie im übrigen Vorarlberg eher selten anzutreffen ist. Eine weitere Verwandte, die Westliche Keiljungfer, scheint vor mehreren Jahren in den Walgau eingewandert zu sein. Sie hat sich in dieser Zeit weite Gebiete erobert. Der Südliche und der Kleine Blaupfeil und die Gebänderte Heidelibelle sind weitere Besonderheiten, die etwa am Baggerloch in Satteins beobachtet werden können. Rote Feuerlibellen hat Paul Amann auf seinen Streifzügen durch den Walgau ebenfalls schon ausgemacht.

Facettenaugen liefern Rundumblick

In Sachen Nahrung sind Libellen wenig wählerisch. Die wendigen Jäger nutzen das lokale Angebot – kleinere Insekten, Spinnen, aber auch andere Libellen stehen auf ihrem Speiseplan. Mit ihren riesigen Augen und dem extrem beweglichen Kopf haben sie den totalen Überblick. Sie können ihre Beute sogar noch in einer Entfernung von bis zu 20 Metern entdecken. Die beiden Komplexaugen mit bis zu 30.000 identisch gebauten Seheinheiten liefern ihnen bis zu 300 Bilder pro Sekunde. Zum Vergleich: Das menschliche Auge nimmt zwar deutlich detailreichere und schärfere Bilder auf, schickt aber nur rund 60 bis 65 Bilder in der Sekunde ans Gehirn. Libellen können deshalb wesentlich schneller auf Bewegungen reagieren. Dies kommt ihnen bei der Jagd ebenso zugute wie ihre Flugkunst.

In 0,3 Sekunden von 0 auf 15 km/h

Denn kein anderes Insekt ist so wendig. Libellen beschleunigen in 0,3 Sekunden von 0 auf 15 km/h. Würde man dies hochrechnen, übertrifft die Libelle selbst die Renn-Boliden der Formel 1. Während diese im Schnitt 2,5 Sekunden benötigen, um aus dem Stand auf 100 km/h zu beschleunigen, schafft die Libelle das in zwei Sekunden – allerdings nur theoretisch. Denn Libellen fliegen maximal 50 Stundenkilometer schnell – trotzdem beachtlich für ihre geringe Körpergröße.

Libellen-Flügel sind ausgeklügelt gebaut. Bei geringstem Materialeinsatz sind sie trotzdem äußerst stabil. Kein Wunder also, dass die Libelle bei der Konstruktion von Leichtflugzeugen als Vorbild dient. Da Vorder- und Hinterflügel getrennt bewegt werden, ist das Insekt zudem extrem manövrierfähig. Manche Arten können sogar rückwärts fliegen. Im Flug werden die Beine nach hinten geklappt. Sie bilden dabei eine Art Kescher, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Abseits dieser Höchstleistungen sind Libellen eine Augenweide und „einzigartig für den Walgau”. Biologe Paul Amann appelliert deshalb an alle Grundbesitzer, kleine Gerinne auf ihrem Grundstück nicht einfach gedankenlos zuzuschütten oder in Rohre zu leiten. Landwirte können mithelfen, die Libellen zu erhalten, indem sie darauf achten, dass Gülle oder Mist nicht direkt in Wiesen-Bächlein gelangen.

Zwei Drittel der heimischen Libellen sind gefährdet, jede fünfte Art sogar vom Aussterben bedroht!


Mitarbeiter der Inatura Dornbirn arbeiten zurzeit an einer „Roten Liste” der gefährdeten Libellenarten. Dabei sind die Forscher auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen. Wer also im Garten oder bei einem Spaziergang wenig bekannte Libellen sichtet, ist gebeten, ein Foto mit genauen Angaben zum Fundort an die Inatura (E-Mail: naturschau@inatura.at)
zu senden.


Fotos: Gerald Sutter, Paul Amann

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