Wenn ein Informatiker und ein Architekt gemeinsam eine Bäckerei eröffnen, geht es nicht um Effizienz, Design und Automatisierung. Ganz im Gegenteil: In der Backsteinstube in Bludenz/Klarenbrunn überwachen Mathias Giacomuzzi und Michael Fuchs mit viel Geduld das lange Reifen ihrer Sauerteige, sie setzen auf bewährte Traditionen und legen Wert auf eine familienfreundliche Work-Life-Balance.
FOTOS: LEANDER RAMBICHLER-PRAXMARER
„Ich kenne viele Techniker, die gerne Brot backen”, findet Mathias Giacomuzzi nichts Ungewöhnliches an seinem langjährigen Hobby. Woran das liegt, kann er nicht wirklich erklären. Für ihn jedenfalls hat das Brotbacken etwas Meditatives. Einen Teig mit den Händen zu bearbeiten, erdet ihn. Schon im Alter von 14 Jahren hat er das Kochen und Backen für sich entdeckt. Als es dann um die Berufswahl ging, entschied er sich trotzdem für die HTL-Matura und ein Studium der Mess- und Regeltechnik in Buchs, hängte sogar einen Master in Informatik dran. Das Programmieren begeistert ihn bis heute. Doch der Drang, richtig gutes Brot zu backen, wurde immer stärker. Mathias Giacomuzzi besuchte verschiedenste Kurse bei namhaften Bäckern, lernte online jede Menge Kniffe, war zunehmend fasziniert vom Geschmack, der Verträglichkeit und den Möglichkeiten eines einfachen Sauerteiges, der lediglich viel Zeit braucht, um aus Mehl und Wasser etwas Schmackund Nahrhaftes entstehen zu lassen.
Über seine Freundin Bettina lernte er einen jungen Architekten kennen, der ebenfalls vom Back-Virus schwer infiziert ist. Michael Fuchs ist mit Bettinas bester Freundin liiert. Er kommt ursprünglich aus Meran und brennt für eine richtig gute Pizza – nicht den Take-away-Snack, mit dem man schnell den Magen füllen kann, sondern Teig und Belag aus richtig guten Zutaten. „In Rom wird die Pizza seit rund zehn Jahren von Feinschmeckern kultiviert – weg vom schnellen, günstigen Imbiss hin zu etwas richtig Feinem.“ – Michael Fuchs entdeckte in einem Urlaub in Süditalien gemeinsam mit seinem Vater, dass es in Italien Pizza-Schulen gibt, welche wichtiges Grundwissen schon in einem einwöchigen Kurs vermitteln. „Das war so ein Erfolgserlebnis”, erinnert er sich an den Moment, als er die ersten Pizzen aus dem Ofen holte, die genau nach seinem Geschmack waren. Über Jahre hat er in der Folge unzählige Rezept-Varianten ausprobiert und selbst entwickelt, weitere Kurse besucht, die Feste im Freundeskreis vor allem während des Studiums in Innsbruck mit seinen Backkünsten bereichert. Schon bald reifte der Gedanke, sich neben dem Architektur-Job als mobiler Pizzabäcker anzubieten. Es gestaltete sich nicht einfach, alle Anforderungen für die gewerbliche Bewilligung zu erfüllen, doch 2019 stand der mobile Backofen bereit, und Michael Fuchs stellte sich darauf ein, allerlei Festlichkeiten kulinarisch zu bereichern.
Der „PizzaFlizza” wurde allerdings von Corona abrupt ausgebremst. Von einem Tag auf den anderen gab es keine Veranstaltungen mehr, bei denen Michael Fuchs den Genießern seine Pizzen hätte servieren können. Er war froh, stattdessen im Homeoffice weiter planen zu können. Doch die Pizzabäcker- Idee hatte sich hartnäckig in seinem Hinterkopf festgesetzt. „Der Architekturberuf ist etwas sehr Schönes, wenn man ihn kreativ ausleben kann”, erklärt Michael Fuchs. „Man muss allerdings sehr dafür brennen, um wirklich etwas zu erreichen.” Während der Architekt Fuchs oft Mühe damit hatte, wenn er erfuhr, dass das Projekt, in das er viel Zeit und Hirnschmalz investiert hatte, gar nicht umgesetzt wird, freute sich der ambitionierte Pizzabäcker Fuchs über schnelle Ergebnisse, die auf Anhieb alle glücklich machten. „Wahrscheinlich brenne ich einfach zu wenig dafür,” fiel es ihm nicht allzu schwer, die Architektur zugunsten der Backkunst an den Nagel zu hängen, als Mathias Giacomuzzi bereit war, „das mit der Bäckerei durchzuziehen”.
Dies war vor rund zweieinhalb Jahren der Fall. „Als Erstes brauchen wir eine Location, damit es wirklich konkret wird”, waren sich die Freunde schnell einig. So besichtigten sie zunächst einmal eine leerstehende Bäckerei in Bludenz, bevor sie auf das ehemalige Dampfkesselhaus der Klarenbrunnfabrik aufmerksam wurden. Auf gut Glück schickten sie eine E-Mail an Inhaber Christian Leidinger.
Zwei Stunden später lag die Antwort auf dem Tisch: „Auf so eine Idee hat dieses Häuschen gewartet. Ich unterstütze euch gerne”, schrieb der vielbeschäftigte Unternehmer. „Ich bin vom Typ her eher ein Zweifler”, bekennt Mathias Giacomuzzi, „doch jetzt gab es irgendwie kein Zurück mehr.” In den darauffolgenden zweieinhalb Jahren, bis die Bäckerei am 21. April tatsächlich aufsperren konnte, gab es immer wieder Momente, in denen Zweifel durchaus angebracht waren, aber immer auch Menschen, welche den beiden Jungunternehmern Mut zusprachen und ihr Vorhaben mit Rat und Tat wohlwollend begleiteten.
Steiniger Weg zur Meisterprüfung
Nun hatten die beiden also einen konkreten Ort, an dem sie ihre Pläne in die Tat umsetzen wollten, als nächstes ging es um die Gewerbeberechtigung. Schon ein paar Jahre früher hatte Mathias Giacomuzzi nach Möglichkeiten gesucht, sich auf die Meisterprüfung als Bäcker vorzubereiten. Seine Bewerbung beim Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) war allerdings mehrfach abgelehnt worden. Normalerweise müssen die Kandidaten nämlich nachweisen können, dass sie mindestens sieben Jahre lang in einer Bäckerei gearbeitet oder die Bäckerlehre abgeschlossen haben. Beides traf auf den Informatiker natürlich nicht zu.
Mathias Giacomuzzi stieß allerdings im Internet auf einen Arzt, der bereits seit ein paar Jahren in Salzburg erfolgreich eine Bäckerei führt. Der konnte ihm bestätigen, dass das WIFI durchaus Einzelgenehmigungen erteilen kann. Mit diesem Wissen konnte der ambitionierte Quereinsteiger ein weiteres Nein schlussendlich in ein Ja wandeln – und handelte sich damit einiges an harter Arbeit ein. In den folgenden Monaten war neben Beruf, Familie, Hausbau und WIFI-Kurs an Freizeit nicht mehr zu denken. Er übte nächtelang das Formen von Handsemmeln, beherrschte bald das Flechten perfekter Zöpfe in verschiedensten Varianten, backte alle Arten von Brot und Kuchen. Vor allem die zeitlichen Vorgaben, in denen diese Aufgaben erledigt werden mussten, machten ihm ordentlich zu schaffen. „Ich war einige Male drauf und dran, alles hinzuschmeißen”, bekennt er. Vor allem Freundin Bettina bestärkte ihn aber stets, seinen Traum nicht aufzugeben. Die anfänglichen Befürchtungen, dass die späteren Berufskollegen den Quereinsteiger nicht gut aufnehmen würden, bestätigten sich nicht. „Die Trainer haben mich sehr unterstützt”, freut sich Mathias Giacomuzzi. Trotzdem rechnete er nicht wirklich damit, Lehrabschluss- und Meisterprüfung gleich im ersten Anlauf zu bestehen. Dem war aber so und damit ein weiterer großer Schritt geschafft.
Vom Dampfkesselhaus zur Bäckerei
Parallel dazu fochten die beiden Backbegeisterten so manchen Kampf gegen die österreichische Bürokratie, schrieben Businesspläne, knüpften Kontakte zu Lieferanten, kalkulierten, planten die Einrichtung ihrer Backstube.
Vermieter Christian Leidinger schaffte inzwischen den alten Öltank aus dem ehemaligen Dampfkesselhaus, renovierte das fast 140 Jahre alte Gebäude fachgerecht, entfernte Zwischenwände und Decken. In die Fensteröffnungen, die im Laufe der Jahrzehnte irgendwann zugemauert worden waren, baute er wieder originalgetreue Fensterflügel ein, die nun viel Licht in Laden und Backstube lassen. „Wir konnten sogar die ursprünglichen Beschläge verwenden”, ist der innovative Tischlermeister sichtlich zufrieden, dass das Kesselhaus nun zu dem Treffpunkt werden kann, den er sich für die Beschäftigten in der Klarenbrunnfabrik gewünscht hat. „Ich hatte immer wieder Anfragen für dieses Gebäude”, erzählt Christian Leidinger von Interessenten, die das ehemalige Dampfkesselhaus nur allzu gern als Atelier nutzen wollten. „Für mich war aber immer klar, dass ich nur vermiete, wenn die Nutzung einen Mehrwert für alle bringt.”
In dieser Hinsicht ist er sich mit seinen Mietern einig. Ein langer Holztisch lädt in der Backsteinstube zum geselligen Beisammensein ein. Brot, Pizza, Kuchen und Kaffee sind von Dienstag bis Freitag zwischen 9 und 18 Uhr zu haben. Das Sortiment ist allerdings beschränkt. Aktuell backen Mathias Giacomuzzi und Michael Fuchs rund 70 Brotlaibe pro Tag. Diese sind durchwegs aus besten Bio-Zutaten und meist ganz ohne Hefe gebacken. Die beiden Jungunternehmer setzen auf ein Konzept, das über Blogger Lutz Geißler sowie andere Brot-Liebhaber im Internet die Runde machte. „In Deutschland gibt es bereits eine Reihe solcher Tages-Bäckereien, die durchaus erfolgreich sind”, sind Mathias Giacomuzzi und Michael Fuchs optimistisch, dass sie mit der Qualität ihrer Backwaren auch in Bludenz überzeugen können. Semmel und anderes Stückgebäck werden sie in ihrer Bäckerei nicht anbieten. Die beiden haben sich nämlich geschworen, dass sie nicht in der Nacht arbeiten werden. Sie starten pünktlich um sechs Uhr in der Früh und wollen trotz Unternehmertum Freizeit genießen.
Dafür setzen sie auf eine traditionelle Backweise und Sauerteig als starken Verbündeten. Während herkömmliche Back-Hefe dafür sorgt, dass Teige rasch aufgehen, entwickeln sich in Sauerteigen nach und nach natürliche Milchsäurebakterien und Hefen, wodurch eine lockere Teigstruktur entsteht. Dies braucht allerdings jede Menge Zeit. So reift etwa der Pizzateig 24 Stunden lang im Kühlschrank, bevor er weiterverarbeitet wird.