Schallert – Schi aus Nenzing

Sein Beruf ist heute fast ausgestorben – Otto Schallerts ganzer Stolz ist eine altertümlich anmutende

In Nenzing kennt man einige Geschichten über Otto Schallert. So soll er etwa an einem Sonntag nach dem Kirchgang – standesgemäß in Anzug und Krawatte gekleidet – im Handstand auf dem Schornstein eines Hauses gesichtet worden sein. Das war in jungen Jahren, in seiner Zeit als aktiver Kunstturner, „zusammen mit dem Beck Toni”. Otto Schallert war auch zeitlebens ein begeisterter Tänzer, man kann mit ihm über Viehzucht und Obstbau ebenso wie über die Verarbeitung unterschiedlichster Holzarten fachsimpeln. Wenn er erzählt, funkelt der Schelm in seinen Augen. „Ich hatte mit 94 noch einen Arbeitsunfall”, deutet er auf einen ordentlichen Bluterguss direkt unter seinem rechten Auge. Erst kürzlich ist ihm bei der Obsternte im Garten eine hölzerne Stütze ins Gesicht geknallt. Doch solche Zwischenfälle nimmt der Nenzinger gelassen. Es hat sich schließlich gelohnt. Er zeigt stolz auf 40 Holzkisten, die bis oben hin mit Äpfeln gefüllt sind. Die mehr als 60 Jahre alten Obstbäume und den Gemüsegarten hält Otto Schallert selbst in Schuss. Für seinen perfekt gepflegten Garten wurde er denn auch im Oktober beim Gartenwettbewerb Flora zum Landessieger in der Kategorie „Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten” gekürt. „Ich habe mein Leben lang viel gearbeitet und nie aufgegeben”, erklärt der 94-Jährige, wenn man ihn nach seinem Gesundheitselixier befragt.                                                                       

Die hundert Jahre alte Wagner-Werkstatt im Elternhaus gleich nebenan war viele Jahre lang seine Haupt-Wirkungsstätte und ist bis heute sein besonderer Stolz. Wobei er die Lorbeeren für deren beeindruckende Ausstattung postwendend weiterreicht. „Die Maschinen hat mein Vater alle selbst gebaut. Der war ein Genie.” Otto Schallert begeistert sich bis heute für die vielen praktischen Details, die Christian Schallert ersann, als er 1920 seine Wagner-Werkstatt einrichtete. Die hundert Jahre alten Sägen und Bohrer, mit denen er fachmännisch Wagenräder, Werkzeug-Stiele und Schi herstellte, funktionieren bis heute.

Obwohl er sich ursprünglich mehr zur Landwirtschaft hingezogen fühlte und ihn die Mutter vor der Strenge des Lehrmeisters warnte, entschloss sich Otto Schallert, beim Vater das Wagner-Handwerk zu erlernen. Er war damals gerade einmal zwanzig Jahre alt, war vor der drohenden Kriegsgefangenschaft geflüchtet und zu Fuß beziehungsweise in Viehwaggons von Jugoslawien nach Hause zurückgekehrt. Die Arbeit in der Werkstatt ging Otto Schallert leicht von der Hand, hatte er doch schon als Kind überall mitgeholfen und bereits als 14-Jähriger die große Gattersäge bedient. Drei Jahre später stieg er als Geselle ins väterliche Unternehmen ein.  

Wie andere Berufskollegen im Land hatte Christian Schallert das wachsende Interesse am Schisport als Geschäftsfeld erkannt. Bereits 1921 stellte er die ersten Schi her. Ein Muster-Exemplar, das Schi-Pionier Hannes Schneider persönlich in der Nenzinger Wagner-Werkstatt abgab, hält sein Sohn bis heute hoch in Ehren. Er verweist auf die besondere Kehlung – Einkerbungen, mit denen die Laufeigenschaften des Sportgeräts verbessert wurden.

„Die Schi waren damals noch aus Vollholz”, hat der 94-Jährige die rasante Entwicklung bis hin zu modernen Sportgeräten live erlebt. „Die haben sich durch die Feuchtigkeit aber schnell verzogen und waren rasch nicht mehr zu gebrauchen”, erklärt er, während er ein antikes Stück aus Hickory-Holz fachmännisch dreht. Christian Schallert schaffte sich deshalb eine Presse an, mit der er mit dem Druck von 40 Bar mehrere Schichten Holz dauerhaft verleimen konnte. Der Metallofen auf dem Dachboden gleich daneben würde heute wohl jedem Brand-Sachverständigen einen sofortigen Herzinfarkt bescheren. Bis in die frühen 1960er-Jahre diente er dazu, das Wasser zu erwärmen, in dem die Schispitzen regelrecht gekocht wurden, damit sie sich anschließend nach oben biegen ließen. „Der Ofen war glühend heiß”, kann sich auch Mathilde Schallert erinnern, die ihrem Vater Otto früher öfters einen „Marend” in die Werkstatt brachte. „Trotz des vielen Holzes rundherum ist aber nie etwas passiert.”

Der Belag aus Polyethylen wurde anfangs aufgepinselt, bevor er dann in Rollen geordert und aufgebügelt wurde. Auf der Piste bewährten sich die Innovationen aus der Werkstatt Schallert bestens. „Vier Jahre lang stellten wir Nenzinger den Landessieger”, freut sich Otto Schallert, dass die Sportkanonen seiner Heimatgemeinde – allen voran Karl Schlattinger und der 2018 verstorbene Martin Heingärtner – in den 1950er und bis Mitte der 1960er-Jahre sogar den Profis aus der Arlberg-Region davonfuhren. Er war auch selbst Mitglied der Nenzinger Mannschaft, „aber leider einer der schlechtesten.” Dafür versorgte er die Talente stets mit dem besten Material. Favorit Heingärtner hatte denn auch ein extrem schlechtes Gewissen, als ein ganz besonderes Paar, das der Wagner für sich privat gefertigt hatte, bei einem Sturz in Brüche ging. „Dieser Schi war ein Möbelstück”, schwelgt Otto Schallert in Erinnerungen. Trotzdem sah er die Beschädigung  sportlich. „Das kann passieren, Hauptsache du bist heil”, tröstete er den Mannschaftskollegen damals nach dem Sturz. Trotz der Beschädigungen bewahrte er diese Schi auf. Dieses individuelle Sportgerät hatte er nämlich bei einer Schulung in einer Wiener Schifabrik fertigen dürfen. Die Oberfläche bestand aus fünf verschiedenen Hölzern. Ein durchsichtiger Belag machte es einzigartig. Dieses Schmuckstück verschwand allerdings irgendwann spurlos aus der Werkstatt.

Renn-Schi aus Nenzing waren gefragt

Schallert-Schi waren damals aber nicht nur im Walgau ein Renner. Nach einer Präsentation auf der Dornbirner Messe 1966 wollte etwa die Firma Kästle gleich 2000 Paar Kinder-Schi in Nenzing bestellen. So ein Auftrag hätte allerdings die Kapazitäten des kleinen Betriebs deutlich gesprengt. Der war schließlich mit einer Jahresproduktion von 250 Stück mehr als nur ausgelastet. Als die norwegische Nationalmannschaft sich 1963 von der Schiwerkstatt Schallert ausstatten ließ und dann auch einige Siege einfuhr, festigte dies ebenfalls den guten Ruf des Unternehmens. Doch weil es nicht üblich war, den Ausstatter zu bezahlen, kam diese Art von Werbung den Lieferanten teuer zu stehen. 1967 hatte Otto Schallert jedenfalls von dem immer härteren Konkurrenzkampf genug. Er stellte sein Fachwissen in den Dienst des damals größten Schweizer Schiherstellers – der Firma Schwendener in Buchs. Nach Feierabend eilte er trotzdem regelmäßig in seine Werkstatt, um hochwertige Werkzeug-Stiele nach bester Handwerkskunst zu fertigen. „Als Wagner braucht man vor allem ein gutes Augenmaß”, erklärt der 94-Jährige. Denn viele Details lassen sich nicht messen und müssen dann doch perfekt passen. Dieses Gespür kam dem Nenzinger zugute, als sein Arbeitgeber zwölf Jahre später das Unternehmen schließen musste. Aber – wie gesagt – Otto Schallert gibt nicht so leicht auf: Mit 53 Jahren erlernte er einen weiteren Beruf und wurde Fensterbauer. 

„Ich habe nie aufgegeben”, erklärt der 94-jährige Wagner. Man könnte Otto Schallert stundenlang zuhören, wenn er aus seinem langen Leben erzählt. Obwohl er auch so manchen Schicksalsschlag verkraften musste, wird eines offensichtlich: Otto Schallert strotzt nur so vor Lebensfreude.

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